Bochum. Die Flut-Katastrophe in Bochum hat Menschen in Dahlhausen hart getroffen. Schaulustige filmen ihre Häuser. In der Ruhr schwimmt eine Kuh.
Mitten in der größten Flut-Katastrophe Bochums seit Jahrzehnten hat Herbert Friedrich Lappe, der wohl zurecht in Dahlhausen nur „Happy“ gerufen wird, das Lächeln nicht verloren. In kniehohen grünen Gummistiefeln stapft der 82-Jährige energisch auf Treppen zu seinem Flur hinab, hüfthoch steht da schon das braune Wasser im Wohnzimmer. Das Haus, in dem er seit den 60er Jahren lebt, ist – so sagt man das hier – abgesoffen.
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Den Fernseher hatte er sich noch geschnappt und in der Nacht in den Opel gelegt, wichtige Papiere, Fotos, Erinnerungen sind auch noch rausgekommen. Und der Rest? „Muss weg. Das wird ‘ne ganz schöne Maloche. Wir warten erstmal, bis das Wasser weg ist“, sagt Happy und zuckt mit den Schultern. „Zum Glück hatte ich das Wohnzimmer noch nicht gestrichen.“
Die ganze Nacht war Happy wach, hat hilflos mit ansehen müssen, wie die Ruhr erst in seinen Vorgarten schwappte und dann im Keller stand. „Jetzt kommen die Fische von allein ins Haus. Wir müssen gar nicht mehr angeln gehen,“ scherzt sein Enkel Lukas.
Hochwasser in Bochum-Dahlhausen: Nachbarin hat Tränen in den Augen
Eine Nachbarin hat Tränen in den Augen, kann ihre Verzweiflung kaum in Worte fassen. Mitten in der Nacht hatte Bianca Hinz noch den Sportlern des Linden-Dahlhauser Kanu-Clubs nebenan geholfen, ihre Boote zu sichern. Nun fließt ein rauschender Bach ins Heim ihrer Karnevalvereins Ruhrlandbühne. Die Musikinstrumente hatte der Verein noch retten können, aber die Computer, die Kühlschränke, die ganze Technik im Keller – „alles hin“. Die 42-Jährige sieht ihr geliebtes Hobby vor dem Aus. „Mein Kind liebt das Trommeln. Wenn der Junge nicht proben kann, dann bricht für ihn eine Welt zusammen.“
Direkt an der Ruhr hatte auch ein Obdachloser sein Lager. Er floh – so erzählt es Bianca Hinz – mit seinem Handy und dem, was er am Leibe trug. Das hellblaue Zelt und seine wenigen Habseligkeiten: weggerissen von den tosenden Fluten. Am Nachmittag schwimmt eine ausgewachsene Kuh in der Ruhr um ihr Leben, so erzählen es Anwohner. Vorher wurde sie am Kemnader See gesichtet. Doch jeder Rettungsversuch wäre zwecklos.
Schule dient als Treffpunkt für evakuierte Anwohnerinnen und Anwohner
In der Theodor-Körner-Schule treffen sich evakuierte Anwohnerinnen und Anwohner. Bis zu 15 Menschen sind dort, die meisten kamen bei Familie und Freunden unter. Dorette Bickert (64) zieht sorgenvoll die Stirn in Falten und schaut auf ihr Handy. Mit Ehemann Ralf lebt sie in einem Haus an der Straße „Ruhrort“. Dort sprudelt seit Stunden das Wasser aus der Kanalisation. Die Straße hat sich gesenkt, ist gesperrt und unpassierbar. Bereits am Morgen wurden die Bickerts aus ihrem Haus geholt. Im Keller steht eine Pumpe, die das Wasser eigentlich rausholen kann. „Aber der Strom ist ja auch abgestellt, jetzt läuft alles voll.“ Und wohin nun? Zur Schwester ins Sauerland? „Da sieht es auch nicht besser aus.“
Große Sorge ums Neubaugebiet
Nur wenige Meter von der zerstörten Straße am Ruhrort entfernt, steht das große Neubaugebiet im Trockenen. Um diese Häuser hatte sich die Feuerwehr in der Nacht zu Donnerstag die meisten Sorgen gemacht. Doch der kleine Hügel, auf dem die Ein- und Mehrfamilienhäuser stehen, der hat sie wohl vor den Fluten aus den Gullys gerettet.
In einem kleinen weiß gestrichenen Einfamilienhaus direkt neben den überfluteten Bahngleisen packt Martin Wyrwol (34) seine Frau mit Tochter Natalia (6) und dem vier Wochen alten Milan ins Auto. Sie fahren zu den Schwiegereltern, die in Hattingen auf einem Hügel leben. „Momentan ist zwar noch nichts vom Wasser zu sehen, aber wenn man es merkt, dann ist es schon zu spät.“ Wie eine Insel würde dann das Neubaugebiet aus dem Wasser ragen.
Die Feuerwehr war zuvor umhergefahren und hatte die Menschen gebeten, sich auf eine Evakuierung vorzubereiten und aufmerksam zu sein. Den Strom hat Martin Wyrwol sicherheitshalber schon abgestellt. „Mit dem Baby brauchen wir Strom. Deshalb fahren wir“, sagt er und setzt sich in den Zweitwagen, um der Familie hinterherzufahren.
Direkt an der Ruhr warten Happy und seine Nachbarn weiter darauf, dass sich das Wasser wieder zurückzieht. Sie ertragen gleichmütig die Schaulustigen, die mit ihren Handys in die überschwemmten Wohnungen filmen. „Das wird noch Tage dauern“, sagt Happy. „Und dann geht die Arbeit los.“
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