Arnsberg/Brilon. Beinahe wäre er Maurer geworden. Und ein Waffelstand hat geholfen, ihn bekannt zu machen. So hat das Sauerland Friedrich Merz geprägt.
Fast wäre er Maurer geworden. Der Lehrvertrag beim Bauunternehmen Josef Thiele in Brilon lag schon unterschriftsreif in der Schublade. Sein Vater hatte die Nase voll von den Eskapaden des pubertierenden Sohnes im ehrwürdigen Briloner Gymnasium Petrinum. Dort ließ sich der Zögling in der letzten Reihe beim Doppelkopf von den Ausführungen der Lehrkräfte nicht beirren. Entsprechend mau die Noten. Das Abi schien in unerreichbarer Ferne. Doch dann schritt die Mutter ein: Friedrich Merz ging nicht auf den Bau, sondern wechselte die Schule.
Ob Merz ein guter Maurer geworden wäre, wissen wir nicht. Jedenfalls verdiente er sich als Schüler in den Ferien auf dem Bau sein Taschengeld. Und auf der neuen Penne verbesserten sich auch die Noten. Jetzt ist er Kanzlerkandidat der Union und hat den Gipfel seiner politischen Karriere erreicht. Fast.
Viele Bilder: Friedrich Merz und seine Heimat, das Sauerland
Ohne das Sauerland ist diese Karriere aber wohl kaum zu denken. Friedrich Merz mag der starke Mann in Berlin sein, mit Wirtschafts- und Staatenlenkern auf der ganzen Welt zu tun haben - aber das Sauerland war nur wenige Jahre seines Lebens nicht sein Lebensmittelpunkt. Im Schnelldurchlauf: Aufgewachsen mit drei Geschwistern in Brilon als Sohn eines Richters und Enkel des früheren Bürgermeisters. Dann Jura-Studium in Bonn und Marburg. Kurze Tätigkeit als Richter in Saarbrücken und dann als Syndikus beim Verband der Chemischen Industrie in Frankfurt und Bonn.
Doch dann wird der aufstrebende CDU-Politiker 1989 Europaabgeordneter für Südwestfalen, 1994 dann Bundestagsabgeordneter für den Hochsauerlandkreis - die Heimat hat ihn nun wieder, auch in den Jahren, in denen er sich aus der Politik verabschiedetet und in der Wirtschaft gutes Geld verdient. Mit seiner Frau Charlotte (heute Direktorin des Amtsgerichts Arnsberg) und den drei (inzwischen erwachsenen und woanders lebenden Kindern) wohnt er in Arnsberg. Ortsteil Niedereimer, 1900 Einwohner, gut-bürgerlich, naturnah, aber auch die Autobahn 46 ist nicht weit entfernt. Quasi als Startrampe für die vielen Verpflichtungen in der Republik und der halben Welt.
Heimat Niedereimer
Dieses Niedereimer ist und bleibt die Heimat für „den Friedrich“. Uschi Kirss darf Merz beim Vornamen nennen. Man duzt sich. Sie ist seit mehr als 20 Jahren die Vorsitzende der Ortsunion Niedereimer-Breitenbruch mit gerade mal gut 50 Mitgliedern. Aber eben auch mit einem der prominentesten. „Wir begrüßen das natürlich sehr, dass Friedrich Merz das jetzt durchzieht“, sagt sie.
Die beiden verbindet eine lange gemeinsame Geschichte: Als Merz damals neu ist im Dörfchen Niedereimer und in den Bundestag strebt, da klingelt er bei Uschi Kirss an der Tür. Sie ist damals schon zweite Vorsitzende des Ortsverbands, das weiß er. Die beiden sind fast Nachbarn, eine Straße trennt sie. „Er war damals schon sehr selbstbewusst“, sagt die, die beschloss, Merz zu helfen. „Damit wir ihn hier vor Ort bekannt machen können, haben wir erstmal einen Stand am Busbahnhof aufgestellt und ich habe Waffeln gebacken“, erinnert sie sich. „Und weil da natürlich nicht alle vorbeikommen, sind wir noch gemeinsam durchs Dorf.“ Hier klingeln, dort klingeln, Hände schütteln. Sie macht den Neuen bekannt, empfiehlt der Familie mit ihren drei Kindern den richtigen Tennisverein in der Umgebung.
„Er war damals schon sehr selbstbewusst.“
Sie hat das Gefühl, dass er die Dienste von damals zu schätzen wusste und weiß. „Wenn wir uns heute sehen, dann sagt er immer: ,Ich begrüße meine erste Vorsitzende‘. Das ist eine nette Geste, finde ich“, sagt sie und lacht. Vergangenen Sonntag erst haben sie sich in der Kirche beim Gottesdienst gesehen. Merz fährt traditionell mit dem Fahrrad vor. Wenn er am Wochenende daheim ist und Zeit hat, holt er morgens auch die Brötchen aus dem Nachbarort.
Kirss und Merz sprechen nach dem Gottesdienst darüber, dass er ja noch seine Ehrennadel und die Urkunde für 50 Jahre CDU-Mitgliedschaft überreicht bekommt. Aber das verschieben sie vielleicht ins nächste Jahr, jetzt stehe zu viel an. Wobei: Gilt das nicht auch für das nächste Jahr? Dann ist Bundestagswahl und Merz‘ Chancen stehen gut, dass er als Bundeskanzler daraus hervorgeht. Und Uschi Kirss will sich noch einmal für zwei Jahre zur Ortsvorsitzenden wählen lassen. „Wenn ich schon die ganzen Anfänge mitgemacht habe“, lacht sie, „dann will ich doch wenigstens auch noch die Vorsitzende von meinem zukünftigen Bundeskanzler sein.“
Stolz im Sauerland?
Und wie viel Sauerland steckt nun tatsächlich in Merz? Die Frage geht an Karl Schneider, Landrat des Hochsauerlandkreises. Ein CDU-Mann, ein kommunales Urgestein und einer, der sich selbst politischer Freund von Friedrich Merz nennen darf. „Wir verfügen über Ausdauer, sind zuverlässig“, sagt Karl Schneider über die Sauerländer. Das klingt zwar ein bisschen nach Eigenlob, aus Schneiders Sicht trifft es aber auch auf den CDU-Chef zu. „Er hat einen klaren Kompass.“ Jetzt, sagt er, erfülle es ihn mit Stolz, dass sich die Union auf Merz geeinigt habe. Davon könne auch das Sauerland profitieren.
Stolz? Kann jetzt das gesamte Sauerland stolz sein, dass einer der Ihren zumindest nicht schlechte Chancen hat, nun tatsächlich Kanzler zu werden? Jutta Falke-Ischinger kommt aus Schmallenberg. Sie hat zusammen mit dem Journalisten Daniel Goffart ein wohlmeinendes Buch über Friedrich Merz geschrieben, das den Titel trägt: „Der Unbeugsame“. Die Autorin glaubt indes nicht daran, dass Söders Rückzug in der Region zwischen Iserlohn und Marsberg den Puls der Menschen in die Höhe treiben wird. „Die Sauerländer gehen ziemlich unaufgeregt durchs Leben“, sagt sie. Aber: „Sollte er dann am Ende wirklich Bundeskanzler werden, dann wird sich schon mehr Stolz breit machen.“
„Er hat eine gute Art, auf die Menschen zuzugehen.“
Falke-Ischinger kennt Merz gut, die Nähe ist nicht nur geografisch begründet. Ihr Ehemann Wolfgang Ischinger war deutscher Botschafter in Washington und von 2008 bis 2022 Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Die Bodenständigkeit, das Geradlinige mache das Sauerländische in Merz aus, sagt sie. „Das ist kein Mann für Spielchen oder für einen Zickzackkurs.“
Und überhaupt sei er viel nahbarer, als er in der Medien-Öffentlichkeit rüberkomme. „Er hat eine gute Art, auf die Menschen zuzugehen.“ In den vergangenen Jahren seien seine Entschlossenheit und seine Sicherheit im Amt des Parteivorsitzenden gewachsen, sagt Falke-Ischinger. Manchmal aber könne er ruhig etwas weichere Töne anschlagen.
Der Heimat treu geblieben
Der Heimat ist Friedrich Merz treu geblieben, seinen Geburtsort Brilon und Arnsberg, wo jetzt sein Einfamilienhaus steht, trennen 37 Kilometer Luftlinie. Große Interviews mit TV-Sendern gibt er auf seinen Wunsch im Sauerland und nicht in der Hauptstadt. Freunde sagen: Merz ist viel nahbarer und bodenständiger, als er in der Öffentlichkeit rüberkommt.
Gleichwohl zählt Merz nicht zu den Prominenten, die ihr Privatleben ständig bereitwillig ins Scheinwerferlicht stellen. Auch deshalb wirkten die wenigen Homestorys, für die er und seine Frau Charlotte wohl auch aus politischem Kalkül Kameras in ihr Domizil ließen, etwas aufgesetzt. Und die Nachbarschaft in Arnsberg tratscht nicht viel.
Heimatverbunden hin oder her: Friedrich Merz lässt sich nicht gern instrumentalisieren: Aus dem Beirat des Berliner Unternehmer-Netzwerks „Sauerländer Botschaft“ ist er wieder ausgestiegen; die Initiatoren hatten kurzerhand alle Bundestagsabgeordneten aus Südwestfalen für das Gremium verpflichtet. Merz fühlte sich überrumpelt.
Ehefrau Charlotte als wichtige politische Ratgeberin
Zur Stadt-Elite würde Charlotte Merz auch ohne ihren berühmten Ehemann zählen: Die 63 Jahre alte Juristin ist Direktorin des dortigen Amtsgerichts, Fachgebiet Familien- und Insolvenzrecht und dürfte im Gericht schon häufiger auf „kleine Paschas“ und ihre Eltern gestoßen sein. Sie gilt als selbstbewusst, resolut – und engste politische Ratgeberin ihres Gatten, auch wenn sie sich mit politischen Meinungsäußerungen in der Öffentlichkeit zurückhält. Die beiden sind seit mehr als 40 Jahren verheiratet.
Im vergangenen Mai maßregelte Charlotte Merz den Satiriker Lutz van der Horst in der „heute-show“ vor laufenden Kameras, als er ihren Ehemann beim CDU-Parteitag mit einer Frage zur deutschen Leitkultur überfiel. Auch Höflichkeit gehöre zur Leitkultur, ließ die Juristin durchblicken – und schob das Mikrofon des Fragestellers weg. Respekt ist beiden wichtig: Als Merz’ direkter Wahlkreiskonkurrent Dirk Wiese, heute Fraktionsvize der SPD im Bundestag, im Wahlkampf den Slogan „Lieber Hard Rock statt Blackrock“ kreierte, fand der CDU-Chef das anmaßend und gar nicht witzig.
Das Ehepaar hat gemeinsam die „Friedrich und Charlotte Merz-Stiftung“ ins Leben gerufen. Sie unterstützt Bildung, Ausbildung und Erziehung im Stadtgebiet Arnsberg. Geld gibt es unter anderem für Schulprojekte, mit denen die Zahl der Sitzenbleiber verringert werden soll. In Deutschland werde zu wenig in Bildung investiert, sagt Charlotte Merz.
Die Natur hilft dem Kanzlerkandidaten beim Ausspannen, die Familie auch. Friedrich Merz hat drei Kinder und zahlreiche Enkelkinder, sie alle wohnen nicht mehr im Sauerland. Sohn Philippe, der Älteste, ist 43 Jahre alt. Der promovierte Philosoph ist Mitbegründer und Geschäftsführer der Thales-Akademie für Wirtschaft und Philosophie in Freiburg. Seine Forschungsschwerpunkte: Wirtschaftsphilosophie, Unternehmensverantwortung, Medizinethik und Ethik der Digitalisierung. Tochter Constanze arbeitet als Chirurgin; auch ihr Ehemann ist Mediziner. Tochter Carola hat Jura studiert und war zuletzt als Staatsanwältin tätig.
Die Piloten-Verbindung
Einige Kilometer weiter ruhrabwärts von Arnsberg freut sich indes ein Mann, der eher die markige Art eines Friedrich Merz schätzt. Ulrich Bettermann (77), Unternehmer aus Menden: „In den vergangenen 30 Jahren ist der Kontakt nie abgebrochen. Uns verbindet, dass wir beide Piloten sind.“ Damit ist für den Selfmade-Millionär Bettermann schon einiges gesagt. Wer einen Pilotenschein habe, so sagt er, der trage auch Verantwortung.
„Dass Friedrich Merz für das Fliegen kritisiert wird, ist unverständlich. “
Bettermanns Firma OBO ist auch Besitzerin des Flugplatzes Arnsberg-Menden. Und hier steht die zweimotorige silberne Propellermaschine Marke Diamond DA 62 mit der Kennung D-IAFM. Mit ihr startet Merz regelmäßig aus dem Sauerland zu Terminen und natürlich in Richtung Hauptstadt. „Wir treffen uns hin und wieder auf eine Tasse Kaffee am Flugplatz. Dass Friedrich Merz für das Fliegen kritisiert wird, ist unverständlich. Wie wollen Sie sonst in einer Stunde aus dem Sauerland nach Berlin kommen, mit der Deutschen Bahn?“ Wird Merz Kanzler - Bettermann hat kaum einen Zweifel daran - bekäme Deutschland jemanden, der Ahnung von Wirtschaftspolitik, Außenpolitik und vom Führen hätte, ist der Geschäftsmann überzeugt von seinem Wegbegleiter:„Ich freue mich für Deutschland, wenn ein Sauerländer Kanzler wird“