Gelsenkirchen. Der Wikileaks-Chefredakteur war in Gelsenkirchen zu Gast. Anlässlich des Tags der Pressefreiheit sprach er über den Fall Julian Assange.
„Das Leben im Gefängnis wird Julian Assange so schwierig wie möglich gemacht“, sagt Kristinn Hrafnsson. Der aus Island stammende Chefredakteur von Wikileaks setzt mit Blick auf den seit April 2019 in Haft sitzenden Gründer der Enthüllungsplattform sogar noch einen drauf: „Julian wird dort so behandelt wie sonst nur verurteilte Terroristen. Dabei hat er als investigativer Journalist nur seinen Job gemacht und unbequeme Wahrheiten enthüllt. Er ist ein politischer Gefangener.“ Die rund 120 Gäste, die am Mittwochabend in der „Schauburg“ diesen Ausführungen lauschen, sind spürbar getroffen.
Deutschland ist in der Pressefreiheitsrangliste weiter abgerutscht
Der Landesverband NRW des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) hatte seine Mitglieder in Gelsenkirchens traditionsreichen Filmpalast an der Horster Straße in Buer geladen. Anlass war der Internationale Tag der Pressefreiheit, der in jedem Jahr am 3. Mai ansteht. Kurz zuvor veröffentlicht die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen stets ihre Rangliste, wie es um die Pressefreiheit in den Ländern dieser Welt bestellt ist. Und Deutschland schafft es in dieser Reihenfolge inzwischen nicht einmal mehr in die Top 20.
„Wir sind in diesem Ranking nun zum dritten Mal in Folge abgerutscht: von Rang 13 auf 16 und nunmehr auf 21“, sagt Andrea Hansen. Die Hauptgründe dafür seien die immer weiter abnehmende Pressevielfalt aufgrund weiterer Redaktionsschließungen sowie die vermehrten Übergriffe auf Berichterstatter – etwa bei Corona- und Querdenker-Demos. Hansen, eine freie Journalistin und frisch gekürte NRW-Landesvorsitzende des DJV, fungiert an diesem Abend als Gastgeberin, heißt die Besucher willkommen und stellt kurz die Gäste vor, die später diskutieren wollen.
Fall Julian Assange wird im Film „Ithaka“ aus Sicht von dessen Angehörigen geschildert

Doch zunächst wird „Ithaka“ auf der Großleinwand gezeigt – jener Dokumentarfilm des australischen Regisseurs Ben Lawrence aus dem Jahr 2022, der erstmals zur Eröffnung des Human Rights Film Festival in Berlin lief und im vergangenen Herbst dann in die deutschen Kinos kam. Das Werk schildert den Fall Julian Assange aus Sicht von dessen Angehörigen. Vor allem sein Vater John Shipton und seine Partnerin Stella Moris werden bei ihrem Kampf um die Freilassung des Inhaftierten von der Kamera begleitet.
Zur Erinnerung: Julian Assange hatte 2006 die Enthüllungsplattform Wikileaks gegründet. Vier Jahre später veröffentlichte er dort Zehntausende geheime Militärdokumente, die offenbarten, dass die USA bei ihren Feldzügen im Irak und in Afghanistan Kriegsverbrechen begangen hatten. Diese Erkenntnisse publizierte er gemeinsam mit der New York Times, dem Guardian und dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“.
Spionage-Vorwurf: Julian Assange drohen in den USA bis zu 175 Jahre Haft
Die US-Regierung versucht seitdem, Assange habhaft zu werden. Er flüchtete 2012 in London in die dortige ecuadorianische Botschaft – und lebte dort eingeengt für die nächsten sieben Jahre als politischer Flüchtling. Seit 2019 sitzt er im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh. Bis heute. An die USA wurde er nicht ausgeliefert. Dort würden ihm bis zu 175 Jahre Haft drohen. Tatvorwurf: Spionage. Diesen Weg zeichnet der Film „Ithaka“ nach – aber stringent aus Sicht der Verwandten erzählt, die im Laufe der Jahre immer neue Rückschläge und Enttäuschungen verkraften mussten.
„Der Fall Julian Assange ist auch ein Angriff auf die Pressefreiheit“, sagt Georg Restle. Der Leiter und Moderator des ARD-Politmagazins „Monitor“ sitzt nach der Filmvorführung auf der Bühne im Kinosaal und diskutiert mit dem Wikileaks-Chefredakteur und Hansen über das zuvor Gesehene. Der Fall Assange habe bei den meisten hiesigen Medien den Stempel „pro-russisch, anti-amerikanisch und Verschwörungstheorie“ aufgedrückt bekommen, ordnet Restle ein. Deshalb sei es sehr ruhig um die Sache geworden. Journalisten in diesem Land müssten sich fragen, wie dieser Fall wieder verstärkt auf die Agenda gebracht werden könnte.
Appell an alle Journalisten: „Stellt weiterhin die unbequemen Fragen“
Kristinn Hrafnsson würde das begrüßen und stellt klar: „Dies ist nicht nur ein Kampf um Julians Freiheit, es ist ein Kampf um die Pressefreiheit und die Zukunft des gesamten Journalismus.“ Denn der Umgang der US-Regierung und der Geheimdienste mit Assange hätte nicht nur diesen direkt getroffen, sondern zudem eine einschüchternde Wirkung auf andere investigativ arbeitende Berichterstatter gehabt. Deshalb appelliert er auch direkt an die vielen anwesenden Journalisten im Raum: „Bleibt mutig! Stellt auch weiterhin die unbequemen Fragen! Das ist Euer Job!“ Nicht nur am Tag der Pressefreiheit.