Mülheim. Skurrile Flucht eines Einbrechers, Unfall eines betrunkenen Polizisten: Heft erzählt Witziges, aber auch Bitteres aus Mülheims Polizeigeschichte.

„Unsere Geschichtshefte vermitteln Stadtgeschichte populär, emotional und mit Aha-Effekten.“ So beschreibt Stadtarchivleiter Stefan Pätzold eine Reihe, deren neueste Ausgabe sich mit Mülheims Polizeigeschichte beschäftigt und für 7 Euro im Stadtarchiv, Von-Graefe-Straße 37, und im örtlichen Buchhandel erhältlich ist. Autor ist der pensionierte Polizeibeamte Frank Kawelovski aus Broich.

Mit Blick auf seine eigene Geschichte, die er in 43 Dienstjahren erlebt hat, sagt Kawelovski: „Als ich bei der Polizei anfing, kamen die meisten mit einem Hauptschulabschluss. Heute sind Fachabitur oder Abitur Einstellungsvoraussetzung und die angehenden Beamten absolvieren ein Studium an der Hochschule für Polizei und Verwaltung. Auch die IT ist nicht mehr aus dem Polizeiberuf wegzudenken. Ich habe noch mit einem Fahndungsbuch gearbeitet und Kfz-Halter telefonisch und persönlich in der Kartei des Straßenverkehrsamtes ermittelt.“ Die für ihn vorteilhafteste Veränderung der Polizei, „die früher ein Macholaden war“, waren die ersten Frauen, die in NRW ab 1982 eingestellt wurden. „In Mülheim trat 1991 die erste Frau ihren Dienst an.“

Mülheimer Polizist: „Auf Anraten meiner Frau habe ich einige Cognacs getrunken“

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Wer bei Kawelovski nachliest, erfährt, dass 1954 der damalige Leiter der Verkehrspolizei, Oberkommissar Bonsau, mit seinem Streifenwagen angetrunken eine Frau anfuhr und schwer verletzte. Bei seiner Vernehmung gab er an, der Alkoholpegel in seinem Blut von 1,5 Promille sei darauf zurückzuführen, dass er nach dem Unfall, auf Anraten seiner Frau, einige Cognacs auf den Schrecken getrunken habe. Bonsau kam für zwei Monate in Haft und verlor seinen Führerschein für zwei Jahre.

Autor Frank Kawelovski (l.) und Archivleiter Dr. Stefan Pätzold mit dem dritten Mülheimer Geschichtsheft.
Autor Frank Kawelovski (l.) und Archivleiter Dr. Stefan Pätzold mit dem dritten Mülheimer Geschichtsheft. © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

Schmunzeln kann man über den Fall des Serieneinbrechers Heinz-Günter Montag, dem 1971 die Flucht aus dem Polizeigewahrsam an der Von-Bock-Straße gelang. Weil der Polizeibeamte, der ihn beim Freigang im Innenhof bewachen sollte, mit ihm Blinde Kuh spielte, konnte der Ganove über die Mauer des Polizeipräsidiums entkommen. Während seiner Flucht stahl er in einem Pfarrheim 300 Mark und berichtete der Lokalredaktion am Telefon über seinen Ausbruch.

Mülheims polizeiliche Eigenständigkeit wurde immer wieder infrage gestellt

Mülheims polizeiliche Eigenständigkeit war immer infrage gestellt. Kawelovski berichtet, dass die Polizei bis 1922 vom Oberbürgermeister geleitet wurde. Danach wurde Mülheim Teil des Polizeipräsidiums Oberhausen. Nach dem Zweiten Weltkrieg unterstand sie dem Oberbürgermeister und der britischen Militärregierung, ehe sie 1953 erneut Teil des Polizeipräsidiums Oberhausen wurde. Dann gab es zwischen 1955 und 2007 ein Mülheimer Polizeipräsidium, das von 1993 bis 2007 mit der Juristin Gisela Röttger-Husemann eine Polizeipräsidentin hatte. Seit 2007 gehört Mülheim zum Polizeipräsidium Essen.

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Auch die Verstrickung der Polizei ins NS-Unrecht lässt Kawelovski nicht außen vor. Wir erfahren, dass Polizeimajor Wilhelm Büttner bis 1948 Leiter der Mülheimer Polizei bleiben konnte, obwohl er auch in der NS-Zeit diese Stellung innegehabt hatte. Doch er war in keine NS-Verbrechen verwickelt und übergab am 11. April 1945 alle Dienststellen kampflos an die einmarschierenden Amerikaner. Doch 1948 wurde ihm der Vorwurf des Schwarzmarkthandels zum Verhängnis. Denn er hatte sich ohne Lebensmittelkarten Lebensmittel verschafft.

Gestapo-Chef Karl Kolk wurde vor Gericht gestellt, aber freigesprochen

„Eine Mülheimer Besonderheit“, sagt Kawelovski, „ist die Rolle, die Gestapo-Chef Karl Kolk gespielt hat. Er wurde 1947 vor Gericht gestellt, aber freigesprochen. Denn er hatte nachweislich eine innere Distanz zum NS-System und wurde deshalb 1943 kaltgestellt. Zeugen bestätigten seine unfreiwillige Mitarbeit in der Gestapo. Sie bezeugten, dass er bei seinen Verhören den vorgeladenen Personen, etwa Kommunisten Geistliche und Juden, die Worte in den Mund gelegt habe, die sie sagen mussten, um mit heiler Haut davonzukommen. Auch habe er nach Massenverhaftungen Freilassungen bei Nacht und Nebel veranlasst und seinen regimetreuen Kollegen Fälle entzogen, um den Vorgeladenen das Schlimmste zu ersparen. Außerdem strich er Juden von der Deportationsliste und ließ sie als transportunfähig ins Krankenhaus einweisen.

Unrühmlich war dagegen die NS-Vergangenheit der Mülheimer Polizeibeamten Karl W. und Günter Hellwing. W. bewarb sich um eine Wiedereinstellung in den Polizeidienst. Dabei stellte er sich als menschlichen und gewissenhaften Polizeibeamten dar, der gegen seine innere Überzeugung NSDAP-Mitglied gewesen sei. Doch seine unerwartet wieder aufgetauchte Personalakte belegte: W. war Gestapo-Mann und SS-Mitglied. Er arbeitete für den Sicherheitsdienst der NSDAP und war im Krakauer Ghetto an Deportationen in die Vernichtungslager Auschwitz und Belzec beteiligt gewesen.

„Gleichschritt - Marsch!“: eine Polizeikompanie 1935 an der Polizeikaserne Kaiserstraße.
„Gleichschritt - Marsch!“: eine Polizeikompanie 1935 an der Polizeikaserne Kaiserstraße. © Unbekannt | Wilfried Buttler

Für Erschießung von Zwangsarbeitern verantwortlich – und trotzdem später Kripo-Chef

Und Günter Hellwing wurde 1957 Chef der örtlichen Kriminalpolizei, obwohl er Gestapo-Chef in Marseille und Kripo-Chef in Bottrop gewesen war. Hellwing hatte unter anderem die Erschießung von Zwangsarbeitern zu verantworten. In Frankreich zum Tode verurteilt, saß er nach Kriegsende in Deutschland nur zwei Jahre in Haft.