Mülheim. Festival-Start ist am 13. Mai: Jedes Stück bei den 48. Mülheimer Theatertagen sei auf seine Weise herausragend, so die Experten. Was zu sehen ist.
Die Theatertage 2023 machen Mülheim vom 13. Mai bis 3. Juni wieder zum Zentrum der deutschsprachigen Gegenwartsdramatik.Die sieben besten neuen Stücke sind dann zu Gast. „Das Schönste an der Auswahl ist, dass sie sich partout nicht auf einen Nenner bringen lässt“, sagt Christine Wahl, Sprecherin des Auswahlgremiums. Jedes Stück sei auf andere Weise herausragend. Hier ein Überblick:
Bühnenbeschimpfung vonVorjahressiegerin Sivan Ben Yishaieröffnet das Festival. Beeindruckt hat die Experten wieder Ben Yishais scharfer Blick, ihre Schonungslosigkeit und ihr böser Humor. Das Stück kreist um die Frage, welches Verhältnis wir zu Theater haben – und welche Einstellungen die Kulturschaffenden zur Moral. Doch es ist keine Nabelschau, sondern „radikalstmögliche Nabelschau-Kritik“, so Christine Wahl. Ben Yishai rechnet mit dem Theaterbetrieb ab, den sie zugleich so liebt. Samstag, 13. Mai, 19.30 Uhr, Stadthalle. Maxim Gorki Theater/Berlin.
Die Katze Eleonore vonCaren JeßStück ist ein Monolog – ungewöhnlich bei den Theatertagen. Und er erzählt auch noch davon, wie eine wohlsituierte, wohlhabende Geschäftsfrau sich nach und nach in eine Katze verwandelt. „Der mutmaßlich originellste Fluchtweg aus der Selbstoptimierungsgesellschaft, den die Literatur in jüngerer Zeit hervorgebracht hat“, so Christine Wahl. Zugleich ist ein Schauspielerinnen-Fest zu erleben. Sonntag, 14. Mai, und Montag, 15. Mai, 19.30 Uhr, Theater an der Ruhr. Staatsschauspiel Dresden.
Angabe der Person von Elfriede Jelinek. „Einer ihrer persönlichsten, waidwundesten Texte“, beschreibt Christine Dössel (Auswahlgremium) das Stück. Das Werk ist nicht nur das 22. Stück von Jelinek, das in Mülheim nominiert ist, sondern es hat innerhalb ihres Werks Ausnahmestatus. Berührt erzählt Jelinek davon, wie das Finanzamt im Zuge einer Kontrolle das Leben ihrer Familie durchleuchtete. Davon ausgehend reflektiert sie ihre Familiengeschichte, ihr Verhältnis zu Deutschland, Machtstrukturen und Ohnmachtsstrukturen. Dössel: „Jelinek at her best.“ Dienstag, 16. Mai, 19.30 Uhr, Stadthalle. Deutsches Theater Berlin.
Der Triumph der Waldrebe in Europa. Clemens J. Setz ist ein Literatur-Star. Und ein feinsinniger Theaterautor, der seine Protagonisten die größte Grenze überschreiten lässt: Ein Kind ist bei einem Unfall gestorben. Doch die Eltern lassen es weiterleben. Als digitalen Avatar, der sogar zur Schule gehen soll. „Ein kühnes Denkstück“, urteilt Stephan Reuter (Auswahlgremium). Der digitale Grenzgang wird zum Medienthema, Influencer wie Journalisten arbeiten sich an der Familie ab. Samstag, 27. Mai, 19.30 Uhr, Stadthalle. Schauspiel Stuttgart.
Etwas Besseres als den Tod finden wir überall. Ein Singspiel beim Festival und gleichzeitig ein Wiedersehen mit Martin Heckmanns, der 2003 und 2004 den Publikumspreis gewann. Heckmanns hat eine sehr eigene Sprache und die „leiht“ er diesmal einem aufrührerischen Quartett aus Esel, Hund, Katze und Hahn. „Wer hätte vermutet, dass sich aus den guten alten Bremer Stadtmusikanten ein bitterböses Diskurs-Märchen auf dem Stand der aktuellen kritischen Debatten reimen lässt?“, fragt Franz Wille (Auswahlgremium). Die singenden Tiere wollen eine andere Welt. Montag, 29. Mai, 19.30 Uhr, Stadthalle. Staatstheater Kassel.
Die Kunst der Wunde. Mit 22 Jahren gewann Katja Brunner 2013 den Mülheimer Dramatikpreis. Jetzt ist sie wieder nominiert – und arbeitet sprachgewaltig gesellschaftliche Konflikte heraus. Angesiedelt ist das Stück auf einem atmenden (!) Felsen, zugleich bewegen sich die Figuren in der Sphäre des Krankenhauses. „Die Kunst der Wunde“ handelt davon, „wie der Blick der anderen unser Leben bestimmt“, so Wolfgang Kralicek (Auswahlgremium). Ein Text, „der den Finger in Wunden legt“. Dienstag, 30. Mai, und Mittwoch, 31. Mai, 19.30 Uhr, Theater an der Ruhr. Schauspiel Leipzig.
Sistas! Golda Barton ist Mülheim-Debütantin. Mit „Sistas!“ liefert sie eine furios witzige Überschreibung von Tschechows „Drei Schwestern“. Die neuen Schwestern sind Berlinerinnen und People of Colour. Sie leben und streiten „mit zupackendem Mundwerk und gediegenem kulturbürgerlichen Hintergrund“ (Franz Wille) in ihrer Altbauwohnung. Die Vierte im Bunde ist gar nicht solidarisch. Es beginnt „ein böser Pointenparcours“, so Wille. Ein Stück, das aktuelle Debatten lustvoll ad absurdum führt. Freitag, 2. Juni, 19.30 Uhr und Samstag, 3. Juni, 18 Uhr, Theater an der Ruhr, Glossy Pain/Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz/Berlin.