Das Studieren auf Distanz funktioniert auch an der Hochschule Ruhr West. Aber Studierende und Lehrende vermissen den persönlichen Kontakt sehr.
Mülheim. Mit dem Sommersemester 2021 startet für Studenten sowie Professoren und Dozenten schon das dritte Online-Semester nach Ausbruch der Pandemie. So langsam wird das Studieren auf Distanz für fast alle eine ziemlich anstrengende Angelegenheit.
Am Anfang war es spannend, jetzt reicht es
„Ich kenne fast keinen, den das mittlerweile nicht nervt. Dass man Tag für Tag stundenlang alleine zuhause vor dem Computer sitzt“, sagt Kai Trybusch, Vorsitzender des AStA an der Hochschule Ruhr West (HRW) und angehender Wirtschaftsingenieur. Die Vizepräsidentin für Studium und Lehre, Prof. Dr. Marion Gelien, berichtet: „Am Anfang war es noch spannend, Online-Formate zu entwickeln und zu erproben, aber mit der Zeit habe ich festgestellt, dass das Video ein sehr einseitiges Medium ist, das das Lernen und Lehren doch recht mühsam macht.“
An der HRW habe man zunächst viele asynchrone Online-Veranstaltungen angeboten, Vorlesungen oder Seminare wurden nicht live übertragen, sondern als Video hochgeladen. „Im Hörsaal sehe ich in den Gesichtern der Studenten, ob sie meine Erklärungen verstanden haben, kann spontane Fragen beantworten. Bei einem Video ist das nicht möglich“, erklärt die Studiengangsleiterin für Bauingenieurwesen. Schriftliche Anfragen zu ihren digitalen Angeboten bekomme sie selten. „Die Hemmschwelle, mich anzuschreiben, scheint höher zu sein als im Seminar schnell mal nachzufragen.“
Kein haptisches Lernen an Modellen möglich
Zu Präsenzveranstaltungen nimmt die Professorin häufig Modelle mit, um Lehrinhalte zu verdeutlichen. „Alles Haptische fällt jetzt weg. Die Studierenden lernen aber besser, wenn sie etwas anfassen und untersuchen können.“ Schnelle Wechsel zwischen verschiedenen Lehrmethoden die man in der Präsenzlehre vornehmen könne, seien online viel schwieriger zu realisieren. Ein enormer Aufwand sei es für alle Lehrenden gewesen, für die digitale Vermittlung komplett neue Lehrmaterialien zu erstellen.
„Für die Studierenden dagegen ist es eine große Herausforderung, acht Stunden vor dem Bildschirm zu sitzen und dabei die Konzentration zu halten“, weiß Marion Gelien. Das bestätigt auch Leon Eck (21), seit dem Wintersemester 2020/21 Student für Energie- und Wassermanagement an der HRW. Dabei hat er es besser erwischt als manch anderer. „Bei uns laufen die meisten Veranstaltungen synchron, also live. Da kann man besser zuhören, es ist motivierender“, erzählt er.
Private Lerngruppen fallen ganz weg
Von 8 bis 17 oder 18 Uhr sitze er alleine daheim und lerne. „Ich könnte das nicht so locker bewältigen, wenn ich nicht meine Lerngruppe hätte. Wir können uns zumindest online gegenseitig helfen“, sagt er. Die drei Kommilitonen habe er zum Glück zufällig beim Erkundungstag für Erstsemester kennengelernt, der noch durchgeführt werden konnte. Seitdem hat Leon Eck den Campus eigentlich nicht mehr besucht, wozu? „Das ist schade für die Studierenden. Auf dem Campus trifft man sonst Kommilitonen, kann über Studieninhalte sprechen. Und da ist immer jemand bei, der dich puscht“, weiß Marion Gelien.
Leon Eck ist aus der Pfalz hergezogen. Gerade für die zugezogenen Studenten ist das Studium auf Distanz eine besondere Prüfung. Sie kennen niemanden und können im Lockdown auch kaum jemand kennenlernen. Weder auf dem Campus, noch in der Mensa oder beim Hochschulsport – und auch nicht privat. „Ich habe Glück, wohne in einer Dreier-WG. „Wir kochen abends zusammen, trinken auch mal ein Feierabend-Bier. Das sind momentan meine sozialen Kontakte“, sagt Leon Eck.
Prüfungen laufen anders: Open-Book-Klausuren
Wie viele HRW-Studierende steckt auch er gerade in der Prüfungsphase. „Die mündlichen Prüfungen sind online nicht viel anders als in Präsenz“, berichtet er. Schwieriger sind die schriftlichen Klausuren. „Die digitalen Prüfungsformate haben Vor- und Nachteile“, meint Dr. Marion Gelien. Viele Klausuren finden zurzeit als Open-Book-Klausuren statt, die Studierenden dürfen Bücher, Formelsammlungen, etc. nutzen. „Für Ingenieure ist das eigentlich viel näher an der Realität“, sagt die Bauingenieurin. Es gibt aber auch Lehrende, die statt einer Klausur eine Hausarbeit verlangen oder jede Woche einen Bericht. „In VWL müssen wir ein Tagebuch führen, das wird hinterher bewertet“, gibt Leon Eck ein weiteres Beispiel.
„Die Studierenden haben mehr Stress als sonst. Es ist auch viel schwieriger die Prüfungskonzentration zu Hause am Schreibtisch zu halten als im Hörsaal“, hat Marion Gelien bemerkt. Glück im Unglück: Das Wintersemester zählt nicht. „Alles, was die Studierenden schaffen, wird angerechnet. Was sie nicht schaffen, wird nicht gezählt.“
Verpasstes können man in den Folgesemestern nachholen. Auch die Fehlversuchsregelung sei geändert worden. „Eigentlich darf man eine Klausur nur drei Mal schreiben. Hat man sie dann nicht bestanden, darf man nicht weiterstudieren. Derzeit wird eine missglückte Klausur nicht als Fehlversuch gewertet.“
Wie wird das Sommersemester laufen?
Ob es im kommenden Sommersemester schon wieder Präsenz-Veranstaltungen geben wird? Das hängt natürlich davon ab, wie sich die Corona-Lage entwickelt und welche Bestimmungen es gibt. „Wir bereiten uns auf alles vor. Zunächst würde es Veranstaltungen für Erst- und Zweitsemester geben“, kündigt Beatrice Liebeheim-Wotruba, HRW-Sprecherin an. „Im Sommersemester fangen ohnehin nicht so viele an, vielleicht können wir sie in Kleingruppen doch reinholen.“ Wenigstens für die Orientierungstage.
Auch Leon Eck, Kai Trybusch und Marion Gelien wünschen sich, dass sich alles bald wieder normalisiert. Der direkte Kontakt und das Campus-Leben fehlen. Das Lernen ist umständlicher. „Spätestens im Wintersemester muss die Präsenzlehre einfach wieder laufen, ich baue darauf“, sagt die Professorin. Denn eins sollte nicht passieren: dass Studierende durch das Distanzstudium aufgeben und „verloren gehen“.
Kaum Jobs und wenige Praktikumsplätze
Die Pandemie macht es den Studierenden auch schwer, Praktikumsplätze oder Nebenjobs, mit denen sie das Studium teilweise finanzieren, zu finden. „Studierende, die schon ein Praxissemester begonnen hatten, konnten es meist noch zu Ende führen. Die Firmen haben da viel möglich gemacht“, berichtet Prof. Dr. Marion Gelien. Neue Praktikumsplätze gibt es wenige. „Es ist ja auch schwierig für Unternehmen und Betriebe, neue Praktikanten einzubinden, wenn viele Mitarbeiter im Homeoffice sind.“
Das Praxissemester, das normalerweise vor der Bachelor-Arbeit angesetzt ist, kann deshalb auf danach verschoben werden. Für manche Studiengänge ist auch ein mehrwöchiges Vorpraktikum Voraussetzung. „Das haben wir momentan ausgesetzt, es muss auch nicht nachgeholt werden“, so die Vizepräsidentin für Studium und Lehre.
Stipendien für in Not geratene Studierende
Praktische Übungen an der HRW selbst konnten nicht stattfinden oder wurden angepasst an die Situation. „Die Studenten sollten beispielsweise den Energieverbrauch im eigenen Haushalt ermitteln“, gibt Kai Trybusch, AStA-Vorsitzender, ein Beispiel. An der Hochschule hofft man, im Sommersemester wenigstens einige Praktika in Präsenz durchführen zu können. „Wir bereiten uns vor, statten zum Beispiel die Labore mit Trennwänden aus“, so Marion Gelien.
Dass es Studierende gibt, die wegen fehlender Jobs in finanzielle Not geraten sind, sieht die Professorin. Auch beim AStA weiß man es. „Die Lage ist katastrophal“, sagt Kai Trybusch. Der AStA habe Mobilitätszuschüsse (erstattete Gebühren des VRR fürs Semesterticket, die wegen zu großen Aufwandes nicht weitergegeben können) in Stipendien umgewandelt. Bewerber erhalten einmalig 300 Euro. „So können wir einige beeinträchtige Studenten finanziell unterstützen.“