Gelsenkirchen. Der Gelsenkirchener Stadtgarten feiert 125. Geburtstag. Der Autor Hans-Joachim Koenen erlebte unweit des Stadtgartens seine Kindheit.

Naturfreunde, bei denen das sanfte Rauschen der Blätter Glücksgefühle auslöst und die melodischen Gesänge bunt gefiederter Vögel die Stimmung hochfahren lassen, die finden im Stadtgarten Entspannung. Der heute 22 ha große Grüngürtel im Herzen der Innenstadt ist für die Stadtbürgerinnen und Bürger längst zum Symbol für Ruhe und Naturgenuss geworden. Der Stadtgarten feiert in diesem Jahr sein 125-jähriges Bestehen. In einem Sonderheft mit doppeltem Umfang schlägt Hans-Joachim Koenen vom Heimatbund mit eindrucksvollen Bilddokumenten und Texten zahlreiche Kapitel seiner langen Geschichte auf.

Mit der Gartenphilosophie machten sich die Besucherinnen und Besucher nach der Eröffnung 1897 gleich durch die Eingangstafel vertraut. Dort stand geschrieben: „Tretet ein in diese Garten Räume, Arm und Reich soll gleich willkommen sein, und das niedre Gras, Gesträuch und Bäume Präg’ Euch Glauben an die Allmacht ein. Schonet darum selbst die kleinste Pflanze, Schonung sei der stille Dank allein: Ferne sei stets Frevel, und dies Ganze Mög’ die späte Nachwelt noch erfreu’n“.

Stadtverordneter August Stallmann schlug den Stadtgarten vor

Die Nachfahren von Konditormeister August Stallmann, der sein Geschäft an der früheren Hermann-, der heutigen Arminstraße, hatte, werden sich wohl voller Stolz an den kreativen Geist ihres Vorfahren erinnern. Denn der Geschäftsmann, der auch Obermeister der Innung war, hatte als Stadtverordneter den Vorschlag eingebracht, einen Stadtgarten für die Bürgerinnen und Bürger zu schaffen. So nahm das Projekt über eine Kommission, die 1895 gebildet wurde, schließlich Fahrt auf.

Eine Ansichtskarte der Stadthalle mit Blick in den großen Saal, der 1000 Personen fassen konnte.
Eine Ansichtskarte der Stadthalle mit Blick in den großen Saal, der 1000 Personen fassen konnte. © Sybrecht | Unbekannt

Auch das Grundstücksproblem wurde gelöst. Ein Teil des Geländes gehörte noch zum damals selbstständigen Schalke. Durch gegenseitige Abtretung tauschten der Eigentümer und Gutsbesitzer August Schalke und die Stadt die Grundstücke über jeweils 4 ha aus. Und da im März 1897 die Feierlichkeiten zum 100. Geburtstags Kaiser-Wilhelm I. anstanden, ging auch gleich der Wunsch von Bürgermeister Vattmann in Erfüllung, dem Stadtgarten einen kaiserlichen Namen zu geben.

Amerika galt in der Zeit als Vorbild

Voller Pathos notierte der Bürgermeister damals: „Durch die Gartenanlage wurde ein Werk geschaffen, welches für die Stadt und die Umgegend eine Zierde, für den Schaffer des Projekts, Stadtgärtner Stefen zu Essen, ein Denkmal seines Genies sein wird. Offensichtlich sehnten sich die Bürger nach einer Freizeit- und Erholungsstätte, die allen zur Verfügung stehen würde. Namhafte und betuchte Bewohner stifteten Bäume, Blumen, Fische und sogar Enten zur Eröffnung. Der Brennereibesitzer Schulte im Hofe aus Ückendorf schenkte eine Bronze-Büste Kaiser-Wilhelm, I., der Rentner Schulte-Brockhoff stiftete zwei Hirsche aus Bronze, die die Besucher im Eingangsbereich begrüßten.“

Amerika galt in der Zeit als Vorbild für ein neues Zeitalter der Grünplanung. Die Bevölkerung in Gelsenkirchen nahm rapide zu, da sollte als Ausgleich für zukünftige Bautätigkeiten auch die Erholung im Grünen eine Rolle spielen. Die Stadtväter dachten weitsichtig. So entstanden nach und nach eine Stadthalle mit großer Bühne, Restauration, ein Teich mit Kaskaden, Gondelteich, Plätze für Volksspiele, Reitbahnen, Rodelberg, Schauhäuser, botanischer Schulgarten sowie eine Grottenlandschaft aus Tuffstein mit Wasserfall und Nymphenteich.

Wir taggen GElsen: Videos und Bilder aus Gelsenkirchen finden Sie auch auf unserem Instagram-Kanal GEtaggt. Oder besuchen Sie die WAZ Gelsenkirchen auf Facebook.

Die Gelsenkirchener waren stolz auf ihren Stadtgarten. In den Schmuckstücken der Bürger, so hieß es damals, wird gesittetes Benehmen erwartet. Bewohner verschickten Postkarten in alle Welt mit kolorierten Ansichten aus dem Kaiser-Wilhelm-Garten mit seinen Parkanlagen. Die im Jugendstil erbaute Trinkhalle war auf dem Dach mit einer Fortuna-Figur dekoriert. Heute steht sie als „Fortuna-Kiosk“ des Heimat-Museums „Unser Fritz“ in Herne-Wanne.

Die Stadthalle wurde zu einem repräsentativen Standort für Feste und Konzerte.
Die Stadthalle wurde zu einem repräsentativen Standort für Feste und Konzerte. © Unbekannt | Unbekannt

Zu einem repräsentativen Standort für Feste und Konzerte entwickelte sich die Stadthalle, die 1899 eingeweiht wurde. Die Halle verfügte nicht nur über eine große Bühne, im Saal konnten bis zu 1000 Besucher den Aufführungen folgen. In der angrenzenden Gartenterrasse bot sich 1500 Besuchern ein Blick auf Park und Teich.

Zwölf Maler schmückten die Galerie und Podiumsseite in der Stadthalle mit handgemalten Figuren aus Musik und Poesie, aber auch mit Symbolen leiblicher Genüsse, mal als gefüllter Weinkrug oder Dekoration schmackhafter Speisen. Die dekorativen Handarbeiten ergänzten Ritter mit Reichs- und preußischen Wappen, Bergmann und Hüttenarbeiter, die an die politische Zeit und die zunehmende Industrialisierung Gelsenkirchens erinnerten.

Parallel zur Stadthalle entstand auch ein Musikpavillon, der im Stil einer Konzertmuschel, wie sie in Kurorten üblich waren, errichtet wurde. Bürger konnten die Konzerte inmitten einer Kulisse aus Blumenbeeten, Sträuchern und Gewässern erleben.

Kulturstätte geriet bei Fliegerangriff 1945 in Brand

Angestellte der Stadtgärtnerei vor dem Palmenhaus.
Angestellte der Stadtgärtnerei vor dem Palmenhaus. © Gers | Unbekannt

1935 bauten die Stadtväter die Stadthalle um. Ein Theater sollte entstehen. Lange hatten die Bürger keine Freude an ihrer neuen Kulturstätte. Bei einem Fliegerangriff im Januar 1945 geriet das Theater in Brand, wurde vollständig zerstört. Ein Teil der Kostüme und des Fundus waren nach der vorausgegangenen Schließung am 1. September 1944 nach Berleburg und in die Zeche Consol verlagert worden.

Hans-Joachim Koenen

Hans-Joachim Koenen ist Autor des Doppelheftes 125 Jahre Stadtgarten. Der 75-Jährige gelernte Bauingenieur ist einer der Pioniere im Heimatbund, wenn es um die Geschichte der Stadt geht. Er hat bereits elf Hefte herausgebracht, in denen er historische Ereignisse aufarbeitet und Hintergründe analysiert.Auch beim Geburtstag des Stadtgartens hat Koenen in zahlreichen Archiven gestöbert und Zeitzeugen gefunden, die ihm mit Bild und Filmmaterial weiterhelfen konnten. Der Gelsenkirchener ist unweit des Stadtgartens in der Schmollerstraße in der Feldmark aufgewachsen.Seit fast 40 Jahren ist er als stellvertretender Vorsitzender im Heimatbund aktiv, hält regelmäßig Vorträge und lädt Bürger zu Führungen ein. Viermal im Jahr erscheinen die Hefte, in denen die Geschichte in Gelsenkirchen beleuchtet wird oder auch bedeutende Persönlichkeiten vorgestellt werden. Das jüngste Doppelheft ist im Hans-Sachs-Haus wie auch in Buchhandlungen zum Preis von 10 Euro erhältlich. Am Samstag, 9. Juli, soll der 125. Geburtstag stadtweit gefeiert werden. Alle Termine des Heimatbundes unter: https://heimatbund-gelsenkirchen.de/termine.html

Bis heute ist die Faszination des großen Teiches geblieben, der nach wie vor die Besucher anzieht. Aus einer mit Tuffstein gebauten Grottenlandschaft waren bei der ersten Erweiterung die Alpen nachgebildet worden, um Pflanzen des alpinen Raumes zu zeigen. Der Wasserlauf schlängelte sich durch die Landschaft und mündete über Stufen im Nymphenteich. Damals war das Wasser ein Reich der Enten. Heute sind es neben dem heimischen Federvieh auch Grau- und Nilgänse, die sich auf dem Wasser und in den Wiesen niederlassen.

In den 20er Jahren konnten Spaziergänger noch Rothirsch „Fritz“ und Partnerin „Lotte“ im Hirschpark bei ihrem kühlenden Bad im Teich beobachten. Sie werden Geschichte und Erinnerung bleiben wie auch die vielen architektonischen Glanzlichter, die den Park einst über Gelsenkirchen hinaus auszeichneten. Ungebrochen scheint der Wunsch der Menschen, Natur zu riechen und zu fühlen. Diese Sehnsüchte erfüllt der Stadtgarten auch nach 125 Jahren noch.

Luftaufnahme des beliebten Wassergartens.
Luftaufnahme des beliebten Wassergartens. © Hans Blossey | Foto