Iserlohn. Nach 18 Jahren Prämiensparen bekam Günther H. unliebsame Post. Die Sparkasse wähnt sich juristisch sicher, die Verbraucherzentrale hat Zweifel.
Es ist der 24. April dieses Jahres, als Günther B. Post von der Iserlohner Sparkasse erhält. Es geht um seine beiden Prämiensparverträge, die er 2002 abgeschlossen hatte. Seit vielen Jahren nun sei er in den „Genuss (...) der laufend anwachsenden Prämie gekommen“. Nun aber hätten sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geändert, die Sparkasse müsse ihrer Verantwortung gegenüber allen Kunden nachkommen. Ergo: Kündigung. „Möchten Sie weiter monatlich sparen? Gerne informieren wir Sie über die aktuellen Möglichkeiten“, heißt es noch.
Günther B. ist sauer. Für ihn geht es um einen Teil seiner Altersvorsorge. „In meinem Fall einen kleinen Teil. Aber trotzdem. Es gibt sicher viele, die es noch härter trifft.“ Jeweils 48 Euro monatlich zahlt er seit 2002 ein. Am Ende eines jeden Sparjahres, so sehen es die Verträge vor, gibt es eine Prämie. Gestaffelt, nach 15 Jahren Vertragstreue satte 50 Prozent. Also für jeden der beiden Verträge 24 Euro pro Monat. Die Verträge sind auf „maximal 25 Jahre begrenzt“.
Dem Kunden entgehen rund 4000 Euro an Prämien
Für Günter B. bedeutet dies nun bei noch sieben Jahren Vertragslaufzeit den Verlust von rund 4000 Euro, die ihm vertraglich zustehen. So zumindest sieht er es. Die Sparkasse aber sieht das anders.
Günther B. wendet sich an die Verbraucherzentrale. „Ich habe keine Rechtsschutzversicherung“, sagt er. Auch will er keinen Ärger, weshalb hier auch sein Name nicht genannt wird. Er fordert lediglich das, was ihm aus seiner Sicht zusteht. In seinem S-Prämiensparvertrag heißt es zur Vertragsdauer: „Der Vertrag wird unbefristet abgeschlossen. Die Gesamtlaufzeit ist auf maximal 25 Jahre begrenzt.“
Der Anwalt der Verbraucherzentrale formuliert seine Sicht gegenüber der Sparkasse in einem Schreiben, das Günther B. 130 Euro kostet, so: „Die Kündigung ist rechtswidrig, die beiden Sparverträge sind bis zum Ablauf der 25-jährigen Vertragsbindungszeit fortzuführen. Es gilt eine Kündigungsfrist mit einem monatlichen Freibetrag von 2000 Euro.“ Weiterhin verweist er auf die aus seiner Sicht recht eindeutige Formulierung im Vertragswerk: unbefristet geschlossen, maximal 25 Jahre. Nur sein Mandant habe das Recht gehabt, mit erwähnter Frist zu kündigen.
Alles klar also? Mitnichten. Ein weiterer Anwalt formuliert im Auftrag der Sparkasse an den „sehr geehrten Kollegen“ von der Verbraucherzentrale: „Sie meinen, dass ein Kündigungsrecht ausscheidet, da eine Laufzeit von 25 Jahren vereinbart wurde. (...) Dieser Rechtsauffassung können wir uns nicht anschließen.“ Er verweist unter anderem auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14. Mai 2019.
Dieses wird auch auf der Homepage der Verbraucherzentrale erwähnt, wo das Thema „Kündigung von Prämiensparverträgen“ umfassend aufbereitet ist, weil es bundesweit tausende Kündigungen dieser Art gegeben hatte. Von Seiten der Verbraucherzentrale heißt es zu dem Urteil: „Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 14. Mai entschieden, dass Sparkassen langfristige Verträge unter Umständen kündigen dürfen, wenn die versprochenen Prämien gezahlt worden sind.“ In dem verhandelten Fall hatten Sparer gegen die Kündigungen geklagt. Vertraglich vereinbart waren dort steigende Prämien bis zum Ablauf des 15. Sparjahrs – ähnlich wie bei Günther B. bis zum Maximalsatz von 50 Prozent.
Eine feste Laufzeit oder eine Mindestlaufzeit war hier in den Sparverträgen allerdings nicht vereinbart worden. Nach Meinung des BGH können betroffene Kunden sich nicht gegen eine Kündigung wehren, wenn die Prämien aus der Prämienstaffel erreicht worden sind und in den Verträgen sonst nichts anderes vereinbart wurde.
Falls aber – anders als in den vom BGH bisher verhandelten Fällen – eine Laufzeit vereinbart ist, dürfe die Sparkasse grundsätzlich nicht vor Ablauf der Laufzeit kündigen, schreibt die Verbraucherzentrale. Das gelte auch bei sehr langen Laufzeiten, „etwa über 1188 Monate, also 99 Jahren“. Dies hätten verschiedene Landesgerichte bestätigt. „Verträge mit einer vereinbarten Laufzeit und einer längeren als die 15-jährige Prämienstaffel sind nicht vorher durch die Sparkassen ordentlich kündbar.“
Am Beispiel einer Vertragskonstellation, wie sie wohl der von Günther B. entspricht, heißt es: „Ist in Ihrem Vertrag fixiert, dass die Prämie vom 15. Laufzeitjahr bis zum 25. Laufzeitjahr 50 Prozent beträgt, dann erreicht die Prämie erstmals mit dem Ablauf des 15. Laufzeitjahres ihren Höchstwert und soll vertragsgemäß für zumindest weitere 10 Jahre gezahlt werden. Unser Standpunkt ist, dass ein solcher Vertrag nicht einfach nach 15 Jahren gekündigt werden darf – Sie haben ein Recht auf die weiteren 10 Jahre mit der hohen Prämie.“
Sparkassen-Chef betont die kaufmännische Verantwortung
Der Begriff „Standpunkt“ dürfte hier allerdings der Schlüssel sein. Die Gegenseite glaubt, wenn bei den Prämien der Maximalsatz erreicht ist, dürfe sehr wohl gekündigt werden. Bis zum Ende ausverhandelt ist das Thema also offenbar nicht. Dr. Christoph Krämer, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse, sagt, dass man sich vor den Kündigungen entsprechender Verträge umfassend juristisch informiert und sich die Entscheidung nicht leicht gemacht habe. „Wir haben aber auch eine kaufmännische Verantwortung“, sagt Krämer. „Für uns ist das kein erfreuliches Thema.“
Die Verträge mit ihren üppigen Prämien entstammten einer Zeit, als man mit dem Kreditgeschäft noch wesentlich höhere Einnahmen erzielt hätte. „Sechs bis acht Prozent Zinsen“ etwa bei der Baufinanzierung. Heute seien es kaum mehr als ein Prozent. Man habe den betroffenen Kunden vorab aber alternative Sparmodelle angeboten. Günther B. bestreitet das. Erst Monate später habe ihn ein Bankberater kontaktiert, als er bereits den Anwalt eingeschaltet und mehrere Schreiben vergeblich an die Sparkasse gerichtet hatte. „Der konnte einem fast leid tun“, sagt Günther B., „der wusste nichts von dem Thema, man hat ihn quasi ins offene Messer laufen lassen“.
Zahl der Kündigungen nennt die Sparkasse nicht
„Es kann sein, dass da im Einzelfall etwas schief gelaufen ist“, räumt Dr. Krämer ein, der Verständnis für den Ärger von B. hat, der seit Jahrzehnten Kunde ist, unter anderem sein Haus von der Sparkasse hat finanzieren lassen (allerdings nicht von jener aus Iserlohn).
Angaben, wie viele Verträge in Iserlohn genau gekündigt wurden, macht die Sparkasse nicht. Glaubt man dem Hagener Anwalt Jens Kan, der davon auf der Internetseite „Anwalt.de“ berichtet, sind es aber „dutzende S-Prämiensparverträge“, die von der Iserlohner Sparkasse mit einem auf den 24. April datierten Schreiben gekündigt worden seien. Seine Quelle verrät er nicht.
Und so ist es schwer, Kunden wie Günther B., vor allem jenen ohne eine Rechtsschutzversicherung, einen verbindlichen Ratschlag zu erteilen.
Dass Anwälte auf ihren Internetseiten beste Chancen für eine mögliche Klage versprechen, gehört zum Geschäftsmodell. Vor allem Dieselfahrer werden wissen, was gemeint ist. „Der Erfolg Ihres Widerspruchs gegen die Kündigung hängt entscheidend von Ihrem individuellen Vertrag ab“, schreibt die Verbraucherzentrale.
Günther B. will nun auf weitere Schritte verzichten. Ohne Rechtsschutz drohen ihm im Falle einer Niederlage weitere Kosten. Die Enttäuschung, auch darüber, dass etwa der Vorstand nicht auf Briefe des langjährigen Sparkassen-Kunden reagiert habe, sie bleibe aber, sagt er.