Mülheim. Im Lager Kara Tepe arbeiteten Sabine und Ekkehart Vetter aus Mülheim als Freiwillige mit. Die Zustände auf Lesbos seien skandalös, sagen sie.

Der heiße Sommer ist vorbei, nun kommt der kalte, nasse Winter auf die Flüchtlinge im Lager Kara Tepe auf der Insel Lesbos zu. Sie sehnen sich danach, aus den zugigen Zelten aus- und in Isoboxen oder Plastikhäuser einziehen zu können. Doch davon gibt es längst noch nicht genug. Ekkehart und Sabine Vetter haben mitgeholfen, einige der kleinen einfachen Behausungen aufzubauen. Das Ehepaar aus Mülheim arbeitete aber auch an anderer Stelle im Camp freiwillig mit.

Keine Privatsphäre: Neun Menschen leben auf 18 m² zusammen

Helfer dürfen nicht im Aufnahmelager wohnen. Pfarrer Ekkehart Vetter und seine Frau haben für drei Wochen auf Lesbos eine Ferienwohnung gemietet, von dort aus sind sie Tag für Tag nach Kara Tepe – der Nachfolgeeinrichtung des 2020 niedergebrannten Lagers Moria – gefahren, um als ehrenamtliche Mitarbeiter der griechischen christlichen Hilfsorganisation Eurorelief humanitäre Hilfe zu leisten. „Unsere Hauptaufgabe war es, die Familien bei Umzügen innerhalb des Lagers zu unterstützen, wir haben aber auch beim Aufbau der neuen Unterkünfte mit angefasst“, berichten sie.

Sabine und Ekkehart Vetter aus Mülheim bei ihren Aufenthalt im Flüchtlingslager Kara Tepe auf Lesbos
Sabine und Ekkehart Vetter aus Mülheim bei ihren Aufenthalt im Flüchtlingslager Kara Tepe auf Lesbos © Unbekannt | Vetter

Besonders begehrt sind bei den Geflüchteten die sogenannten Isoboxen – 18 m² große Kunststoff- Container, in denen acht Personen leben. Oft sind es zwei kleinere Familien, denen jeweils neun Quadratmeter zur Verfügung stehen – getrennt nur durch eine einfache Gardine. „Privatsphäre gibt es nicht“, sagt das Pastorenpaar der CGM (Christus Gemeinde Mülheim). Das gilt auch für die RHU-Plastik-Häuser oder die Großzelte, in die 16 etwa 14 m² große Rigipsboxen hineingebaut werden. Bis zu sechs Flüchtlinge leben in einer solchen Mini-Box.

Etwa 4000 Menschen warten auf ihre Anerkennung

„Kara Tepe ist eine riesige Baustelle, auf der etwa 4000 Menschen leben. Es war mal das Übergangslager für Moria, wird jetzt für längere Dauer ausgebaut“, berichtet Ekkehart Vetter. Viele Geflüchtete leben seit Monaten, manche schon zwei Jahre dort. Aktuell sind ein Großteil der Bewohner Afghanen, es gibt aber auch Menschen aus verschiedenen afrikanischen Ländern. Nur rund ein Viertel der Menschen wird als Asylberechtigte anerkannt. „Sie können die Insel dann legal verlassen, kriegen aber kein Geld. Auf dem Festland finden sie keinen Job und keine Bleibe. Das Ergebnis ist nicht selten Obdachlosigkeit, Drogenhandel, Prostitution“, wissen die Vetters.

Friedhof der Rettungswesten

Nach Ende ihres Aufenthaltes in Kara Tepe haben Sabine und Ekkehart Vetter noch einen „Rettungswesten-Friedhof“ bei Molivos (Lesbos) besucht.Dort stapelten sich Rettungswesten und Teile von Rettungsbooten zu Müllhalden auf.„Wir hatten Gänsehaut. Jede dieser Westen erzählt eine Flucht- und Lebensgeschichte, erzählt von Angst und Todesangst“, sagen sie.

Sabine und Ekkehart Vetter haben sich während ihres Aufenthaltes auch noch an anderen Stellen im Lager nützlich gemacht. Sabine Vetter war in der Waren- und Sachspendenausgabe tätig, verteilte Hygieneartikel – auch Windeln – oder Kleidung an die Familien. Gemeinsam brachten die Eheleute den Kindern im Lager spielerisch etwas Englisch bei. Sie wirkten auch bei der statistischen Erfassung der Bewohner mit oder erteilten den Geflüchteten an einem „Info-Point“ Auskünfte. „Die Versorgung mit Fachkräften, etwa Traumatherapeuten oder Juristen, müsste dort viel besser sein“, sagt Ekkehart Vetter.

Mülheimer Pfarrer: „Die Würde des Menschen ist leider doch antastbar“

 Tausende von alten Rettungswesten und Teilen von kaputten Rettungsbooten lagern in der Ortschaft Molivos, sie werden dort geschreddert.
 Tausende von alten Rettungswesten und Teilen von kaputten Rettungsbooten lagern in der Ortschaft Molivos, sie werden dort geschreddert. © Unbekannt | Vetter

Streitigkeiten habe man im Lager nicht beobachtet, nur davon gehört. Es seien aber auch viele Polizisten vor Ort. Die Mülheimer selber erfuhren viel Gastfreundlichkeit von den Ärmsten der Armen. „Die Leute haben uns zum Tee, zum Essen oder zu einem Plausch eingeladen. Wir haben uns natürlich Zeit genommen, mit ihnen zu reden – so gut es bei den Sprachbarrieren eben ging.“ Enge, Schmutz, Müll, Krankheiten, Ungeziefer – viel haben die Freiwilligen im Lager sehen müssen. „Die Leute in Kara Tepe vegetieren dahin“, sagen sie und haben festgestellt: „Die Würde das Menschen ist leider doch antastbar“.

„Aktuell wird in den Medien in Deutschland gar nicht mehr viel über die Flüchtlingsproblematik berichtet, aber es gibt sie immer noch. Das Elend ist nicht weg, und es verschärft sich im Winter noch. Das, was sich die EU dort an den Außengrenzen leistet, ist skandalös. Das muss ein Ende haben. Lager wie Kara Tepe müssen aufgelöst werden“, findet Ekkehart Vetter. Griechenland würde alleine gelassen mit dem Zustrom der Geflüchteten. Die Folge: „Boote mit Geflüchteten werden in Nacht- und Nebelaktionen zurückgedrängt aufs Meer.“ Dabei habe jeder Mensch ein Grundrecht auf Asyl.

„Die Uneinigkeit der EU in Flüchtlings- und Asylfragen darf nicht auf dem Rücken dieser oft traumatisierten Menschen ausgetragen werden“, sagt Ekkehart Vetter. Es brauche unter anderem eine schnelle Verteilung der Geflüchteten nach einem Schlüssel, einheitliche Regelungen in Europa, schnellere Verfahren, Geld für Kommunen oder auch mehr Arbeits- und Qualifikationsmöglichkeiten für die Geflüchteten in der EU.“