Oberhausen. Von der Schriftstellerin zur Fußpflegerin – diese bemerkenswerte „Umschulung“ ermöglichte Katka Oskamp das Schreiben eines besonderen Buches.

Das Leben schreibt immer noch die komischsten Geschichten selbst. Wovon man sich jetzt im neuen „Literaturhaus“-Domizil, dem wohl gefüllten Gdanska-Theater, mit großem Behagen überzeugen konnte. Präsentierte dort doch Rainer Piecha, dessen erkenntnisreiche Moderation den Abend erfrischend auflockerte, die Berliner Schriftstellerin Katja Oskamp mit ihrem Buch „Marzahn mon amour“.

Wie es zu diesem Buch kam, könnte man als Geschichte eines Scheiterns mit furiosem Happy-End verstehen. Aber auch als Irrungen und Wirrungen eines längst auf ökonomische Effizienz getrimmten Literaturbetriebs, der die einst erfolgsverwöhnte, immerhin mit dem renommierten Anna-Seghers-Preis ausgezeichnete Autorin nach üblen Verrissen ihres Romans „Hellersdorfer Perle“ 2010 plötzlich fallen lässt.

Kein guter Zeitpunkt für die 1970 in Leipzig geborene Katja Oskamp – Kind flügge, Mann krank und ihre neue Novelle von sage und schreibe 20 Verlagen abgewiesen. Und was macht sie in dieser Lebenskrise? Schult um zur Podologin – oder wie wir im Ruhrgebiet sagen würden: wird Quanten-Physikerin, um wildfremden Menschen die Füße schön zu machen. Respekt!

Auch dafür, wie locker sie im Gespräch mit Rainer Piecha davon berichtete, wie sie ihr Leben auf neue Füße stellte. Vielleicht die einzige kleine Schwäche ihrer „Geschichten einer Fußpflegerin“ – so der Untertitel von „Marzahn mon amour“ –, dass derartige Metaphern gelegentlich arg plakativ in ihrem ansonsten geschmeidig schnurrenden Textfluss auftauchen.

Malade Quanten und eigene Lebensgeschichten

Übergehen wir die amüsant geschilderte Ausbildung an einer hochtrabend „Akademie“ genannten Schule, nach der sie 2015 in einem Kosmetikstudio in Marzahn landet, einst die größte Plattenbausiedlung der DDR und ein heftiger Kontrast zu den angesagten Szene-Kietzen der Berliner Innenstadt. „Die mittleren Jahre, in denen ich als Fußpflegerin in Marzahn gearbeitet habe, werden gute Jahre gewesen sein“, ist der feste Vorsatz der namenlosen Ich-Erzählerin, die rasch lernt, dass ihre Kunden neben den maladen Quanten auch ihre eigenen Geschichten mitbringen.

Die Katja Oskamp – einmal Schriftstellerin, immer Schriftstellerin– bald zu notieren beginnt. Weil sie in ihrer ungeschönten Volkstümlichkeit erstaunliche, mal komische, mal traurige Einblicke in das Leben der Anderen bieten. An dem sie mit bewundernswerter Empathie teilnimmt, während sie Zehennägel schneidert, Hornhaut schreddert oder liebevoll Füße massiert. Was Cineasten sofort an Quentin Tarantino’s Kultfilm „Pulp Fiction“ erinnert, wo Vincent Vega befindet: „Du sagst, ’ne Fußmassage bedeutet nichts, und ich sag‘, ich seh’ das anders.“

„Den Kassler koof ick im Stück, und denn schneid ick den in Scheiben“

Prompte Reaktion einer Kundin: „Wollt ick grade sagen“, während die 85-jährige Ur-Ostberlinerin Frau Guse streng ritualisierte Dialogtänze mit ihrer Fußpflegerin aufführt – mit dem immer gleichen Höhepunkt, dem Kassler Braten am Samstag: „Gleich kommt’s, meine allerliebste Stelle in der gesamten Sitzung. ,Mit de Brotschneidemaschine, den Kassler koof ick im Stück, und denn schneid ick den mit de Brotschneidemaschine, mit de Brotschneidemaschine schneid ick den schön in Scheiben, den Kassler, ja, da staunse, mit de Brotschneidemaschine mach ick dit.‘ ,Mit der Brotschneidemaschine?‘, rufe ich begeistert, bin perplex und von den Socken, absolut platt und total baff.“

So wie Katja Oskamps Zuhörer von ihren warmherzig vorgelesenen „Geschichten einer Fußpflegerin“, die das Leben schrieb und sie auf. Und dies mit solchem Erfolg, dass die Marzahner mittlerweile auf ihre liebevolle Zuwendung verzichten müssen. Denn der Literaturbetrieb hat die sympathische Autorin wieder in allen Ehren aufgenommen. Glücklich auf die Füße gefallen – oder, um ihren wohl schrägsten Kunden, den Ex-Partei-Bonzen Herrn Pietsch, zu zitieren: „Gute Arbeit, Genossin!“