Gelsenkirchen. Sehnsucht nach Konzert vor Publikum aus Fleisch und Blut war bei der Neuen Philharmonie Westfalen riesig. Es gelang eine furiose Rückkehr.

„Was für ein besonderer Tag!“ Rasmus Baumann, Generalmusikdirektor der Neuen Philharmonie Westfalen (NPW), hielt es am Montagabend im Musiktheater im Revier fast nicht in den Schuhen. Strahlend, freudig, sichtlich bewegt begrüßte er ein „ausverkauftes“ Großes Haus, natürlich aufgrund der Corona-Schutzverordnung nur zu einem Viertel besetzt. Jeden Einzelnen hätte er, gäbe es nicht die Abstandsregeln, am liebsten in den Arm genommen, tat er kund.

Publikum bekommt „ganz viel positive Energie auf die Ohren“

„Wir konnten es alle nicht abwarten, endlich wieder vor Menschen zu spielen und nicht vor Kameras“, erklärte Baumann mit Hinblick auf die zahlreichen Streaming-Angebote der NPW in den vergangenen Monaten. Rund neun Monate nach Auftakt einer Spielzeit, die abrupt im Oktober unterbrochen wurde, hieß es nun wieder: Beethoven! Damals die Ouvertüre zum Schauspiel „Egmont“, jetzt die zum dramatischen Bühnenwerk „Coriolan“, mit der das Programm „Aufbruchsstimmung“ begann.

Auch damals waren die Sinfoniekonzerte nach einer Corona-Zwangspause gestartet. Wer hätte gedacht, dass die folgende noch länger andauern sollte. Genau darum ging es auch in Baumanns Programmgestaltung, unverzagt weitermachen, sich neuen Gegebenheiten anpassen, das Beste aus einer Situation ziehen. „Wir hauen Ihnen gleich so viel positive Energie um die Ohren, dass Sie gar nicht mehr wissen vor Glück“, versprach er.

250. Geburtstag von Beethoven konnte nicht gebührend gefeiert werden

Dreimal mächtige Streichertutti und knisternde Stille von Pausen, der Beginn des Konzertes spiegelte mit der Musik des großen Klassikers, die aktuelle Gefühlslage besonders gut wider. Beethoven, dessen 250. Geburtstag im vergangenen Jahr gar nicht gebührend gefeiert werden konnte, zeichnet den aufbrausenden Feldherrn „Coriolan“ und seine Zwiespältigkeit.

Das Orchester beeindruckte mit der Interpretation des Wechselspiels von kraftvollen Linien und schmelzenden, leisen Melodiebögen. Der Schlusspunkt der Ouvertüre nicht laut, sondern eine gezupfte Frage nach der Zukunft, nicht nur die des Römers. Ein kurzes, tiefsinniges Gefühl der Ungewissheit, von tosendem Applaus hinweggewischt.

Solist Carsten Carey Duffin am Horn verzauberte das Publikum

Mit Richard Strauss „Konzert für Horn und Orchester Nr. 2 Es-Dur“ zog eine heitere, ausgelassene Stimmung in den Saal ein. Solist Carsten Carey Duffin, Professor für Horn in München, verzauberte in perfekter Abstimmung mit dem Orchester in drei Sätzen das Publikum. „Allegro“ und „Andante con moto“ lies Baumann fließend ineinander übergehen. Duffin entlockte dem Horn einen fantastischen zarten Klang, die Dialoge mit Celli oder einzelnen Holzbläsern intim und herzerwärmend. Eine wahre Spielwiese der einzelnen Instrumente diese Komposition, die ganz nebenbei und unspektakulär die Virtuosität des Solisten in Szene setzte.

Der finale Ausdruck des Glückempfindens dann nach der Pause mit der „Sinfonie Nr. 4 B-Dur“ von Ludwig van Beethoven. In die vier Sätze der Ekstase, der unterschwelligen Spannungen, der eingeflochtenen Melodien und der befreienden Klangkaskaden legten Baumann und das Orchester all ihre Emotionen. Da musste nach einem Satz so manches Haar wieder geglättet werden, so mancher Rock gestrichen, ein Holzbläser gar das Mundstück richten. So viel Enthusiasmus für die Kunst. Und Baumann unterstrich mit einem energischen Dirigat, mit beiden Händen und Armen und ohne einen Taktstock, dass es sich hier um ehrliche Arbeit handelt, die schmerzlich vermisst wurde.

Wer Lust auf die „Aufbruchstimmung“ bekommen hat, für Donnerstag 01. Juli 19.20 Uhr gibt es eine weitere Aufführung und es sind noch Karten zu haben. Kartentelefon: 0209/40 97 200 oder www.musiktheater-im-revier.de.