Gelsenkirchen. Im Juli endet für Sechstklässler an Gymnasien und Realschulen ihre „Probezeit“. Warum sie eine Verlängerung brauchen. Ein Kommentar

Derzeit sind vor allem Abiturienten und Schulabgänger im Blick, die ihre Prüfungen unter Corona-Bedingungen absolvieren müssen. Dabei steht das nächste Dilemma in weiterführenden Schulen bereits vor der Tür. Es geht um Schülerinnen und Schüler, die jetzt im sechsten Schuljahr einer Realschule oder eines Gymnasiums lernen. Mit diesem Schuljahr endet für sie die Erprobungsstufe. Alle Jahre wieder müssen Sechstklässler mit schlechten Noten und Prognosen ihre Schule verlassen. „Schulformwechsler“ nennt das Amtsdeutsch sie.

Countdown für Sechstklässler an Realschulen und Gymnasien

Schon in „normalen“ Schuljahren war die Zahl jener hoch, denen ein Wechsel nahegelegt wurde, weil die Leistungen nicht ausreichten. 2019 waren es 174 Zwölf- bis Dreizehnjährige, die deshalb den ersten Knick in der Bildungskarriere hinnehmen mussten, 2018 lag ihre Zahl bei 148.

Für die Betroffenen beginnt damit eine verzweifelte Suche nach einem Platz an einer Real- oder Gesamtschule. Doch die Klassen vor allem an den Gesamtschulen sind längst voll. Und selbst die von vielen verschmähten Hauptschulen haben keine endlosen Reserven.

Schüler in der „Probezeit“ kaum sehen können

Dieses Dilemma – auch für Lehrerinnen und Lehrer – dürfte sich im laufenden Schuljahr noch verstärken. Wie sollen sie, die ihre Schützlinge in den letzten 15 Monaten kaum gesehen haben, beurteilen, ob diese für ihre Schulform geeignet sind, ob mehr Potenzial in ihnen steckt, als jetzt anhand der im Homeschooling erarbeiteten Noten ablesbar ist? Die Gefahr, dass Kinder aus bildungsfernen Familien ohne Unterstützung beim Lernen daheim auf der Strecke bleiben, ist einmal mehr besonders groß.

Förderung kommt zu spät für diese Gruppe

Der Bund hat Geld für Förderung ab dem neuen Schuljahr versprochen, im Land ist seit März ein Fördertopf freigegeben. Aber Geld unterrichtet nicht, es müssen Träger und Lehrkräfte gefunden werden. Die Stadt arbeitet daran, aber das braucht Vorlauf. Und ein Konzept zum Umgang mit den aktuellen Sechstklässlern gibt es bislang nicht. Den jungen Menschen ein Jahr mehr Zeit zum Lernen zu schenken, statt sie weiterzureichen, dürfte die fairste Lösung sein.