Gelsenkirchen. Spannend, vielfältig, artenreich: Wie geht eigentlich Naturschutz im dicht besiedelten Gelsenkirchen? Wir waren mit einem Fachmann unterwegs.

Gelsenkirchen ist ganz schön grün, das kann man vielerorts sehen. Doch es gibt auch die versteckten, vielleicht auch unscheinbaren Orte, an denen eine Menge Naturschutz stattfindet, von Menschenhand gestaltet und gepflegt. Wir haben zwei dieser Orte besucht, die eigentlich gegensätzlicher nicht sein könnten. Eine Erkenntnis: Mitten im dichten Straßen-Häuser-Geflecht des Südens gibt es eine entrückte Oase.

Naturschutz in der Stadt? Wie es damit im dicht besiedelten Gelsenkirchen klappt

50 Hektar Fläche, damit fing Anfang der 2000er alles an. Mittlerweile gibt es auf dem gesamten Stadtgebiet knapp 210 Hektar der unterschiedlichsten Schutzgebiete auf 75 öffentlichen Einzelflächen, die besondere ökologische Pflege brauchen. Zuständig dafür: die Gelsendienste. In Person: Georg von Fugler. Er und sein zweiköpfiges Team sind sommers wie winters unterwegs und im Einsatz, immer den Schutz von Flora und Fauna im Blick.

Naturschutz in Gelsenkirchen: Auf den insgesamt knapp 210 Hektar Naturschutzflächen gelten besondere Regeln.
Naturschutz in Gelsenkirchen: Auf den insgesamt knapp 210 Hektar Naturschutzflächen gelten besondere Regeln. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

„Man glaubt nicht, dass man hier in Gelsenkirchen steht“, sagt Georg von Fugler an diesem Sommermorgen, während er in die Weite blickt, vorne das hohe Gras, hinten die noch höheren Hecken und „Waldgesellschaften“, wie der Fachmann es nennt. „Man wartet, dass der Elch an einem vorbeiläuft. Das ist wie in Skandinavien“, sagt von Fugler auch. Stimmt.

Aber das ehemalige Floatglas-Gelände liegt noch nicht mal im Norden der Stadt, sondern schlicht im Gelsenkirchener Süden – und das irgendwie mitten drin. Wege erschließen diese Fläche, Spaziergänger nutzen die Frische des Morgens, sind mit Hundebesitzern, Radfahrern auf selber Strecke unterwegs. Dort, wo Georg von Fugler steht und vermeintlich auf Elche wartet, kommt allerdings keiner hin. Das ist pures Schutzgebiet und Rückzugsort für seltene Tiere und Pflanzen.

Naturschutz Gelsenkirchen: Wie die Natur hier aktiv unterstützt wird

Zu hören von all dem städtischen Drumherum ist – nichts. Obwohl doch gleich nebenan die JVA steht. Eigentlich war dort, wo jetzt feinste Natur herrscht, vor Jahrzehnten die Produktionsstätte einer Glasfabrik geplant. Die wurde allerdings nie realisiert. Heute wachsen Gräser und anderes Grün über Industrie-Reste. „Das sind alte Relikte, da muss man bei der Pflege aufpassen und sehr vorsichtig sein, dass die Maschinen nicht kaputtgehen“, berichtet Georg von Fugler.

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„Die allermeisten Biotope brauchen Pflege“, weiß der 54-Jährige. Auch wenn die Natur hie und da auch mal sich selbst überlassen werden kann. Schließlich entstehen so neue Lebensräume. „Eine Vielzahl von unterschiedlichsten Tieren und Pflanzen leben in diesen Biotopen und es benötigt Fachwissen und Engagement, um das alles zu erhalten und zu entwickeln“, so von Fugler weiter. So viel wie nötig ist die Devise, wenn es um die Pflege der Naturschutzflächen geht.

Natur in der Stadt: Warum Flächen in Gelsenkirchen besonders geschützt werden

Es gibt viele verschiedene Biotop-Typen in Gelsenkirchen – Trockenrasen, Sandflächen, Auenbereiche, Still- und Fließgewässer, Ackerrandstreifen, Orchideenstandorte, Feuchtwiesen, Blumen- und Streuobstwiesen. Die Liste ist lang, Zuletztgenanntes nennt Georg von Fugler sein „Steckenpferd“.

Grünes Gelsenkirchen: Blick auf die Streuobstwiese im Norden der Stadt in Scholven. Hier stehen Apfel, Birne, Kirche, Zwetschgen nebeneinander und bieten einen besonderen Lebensraum.
Grünes Gelsenkirchen: Blick auf die Streuobstwiese im Norden der Stadt in Scholven. Hier stehen Apfel, Birne, Kirche, Zwetschgen nebeneinander und bieten einen besonderen Lebensraum. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Es geht vom Süden ganz in den Norden: Oben in Scholven liegt so eine Fläche, die von Fugler besonders erfreut, die er besonders mag: Auf den ersten Blick sind sie sofort zu sehen, die Obstbäume, Apfel, Birne, Kirsche, Zwetschgen, im Hintergrund andere Pflanzen, die die Fläche begrenzen, Lebensräume bieten. Der Vorteil: Hier gibt es Arten, die aus dem Wald und der offenen Landschaft kommen. Früher, da habe jedes Dorf und jede Gemeinde solche Obstwiesen gehabt, durch den Eingriff des Menschen seien jedoch im Laufe der Zeit große Obstbaumbestände verloren gegangen.

Grünes Gelsenkirchen: Wie Naturschutz mitten in der Stadt funktioniert

Die Fläche wurde 2001 aufgewertet, in diesem Jahr ist eines besonders offensichtlich: Es herrscht ein Mangel. „Es sieht schlecht aus, was Wasser angeht“, sagt Georg von Fugler. „Es ist ein extrem trockenes Jahr für Amphibien.“ Dabei brauchen sie doch genau das, die Feuchtbiotope, die kleinen Wasserstellen – die in diesem Jahr einfach gar nicht mehr vorhanden sind.

Neben Amphibien leben weitere Tiere auf den Flächen, die Gelsendienste quasi als Dienstleister für die Untere Naturschutzbehörde der Stadt pflegt. In Scholven entdecken wir an diesem Morgen: Libellen, Schmetterlinge, Bienen, Hummeln. Dagegen zeigen sich Spitzmäuse, Fledermäuse, Steinkäuze, Braunkehlchen, Hornissen zwar nicht, sie sind aber laut von Fugler ebenfalls Teil des Naturraumes. Bis zu 1000 Arten können auf den Streuobstwiesen vorkommen. Über 500 Obstbäume auf 15 Streuobstwiesen, von den Gelsendiensten gepflegt, gibt es in Gelsenkirchen. Man stelle sich vor, was dort an tierischem Leben so los ist ...

Grünes Gelsenkirchen, Naturschutz mitten in der Stadt: Ein großer Teil der Pflege-Arbeit von Georg von Fugler und seinem Team besteht aus Mäharbeiten.
Grünes Gelsenkirchen, Naturschutz mitten in der Stadt: Ein großer Teil der Pflege-Arbeit von Georg von Fugler und seinem Team besteht aus Mäharbeiten. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

„Die allermeisten Biotope brauchen Pflege, um ihren Charakter und den Schutzstatus zu erhalten“, so von Fugler. Das Alles läuft ganz ökologisch ab – weder Dünger noch Pflanzenschutzmittel gehören zur Ausstattung des Teams. Die Natur bleibt bei sich selbst, auch was die Pflanzenvielfalt angeht: „Hier ist nix aus dem Baumschulkatalog“, erklärt der gelernte Natur- und Landschaftspfleger.

Es gibt jedoch einen großen Unterschied zwischen der Natur am einen und anderen Ende der Stadt: „Der Druck auf die Flächen ist im Süden deutlich größer als im Norden“, weiß von Fugler. Klar: Der Süden Gelsenkirchens ist viel dichter besiedelt, hier kommen mehr Menschen auf ein Naturerlebnis, während es ganz im Norden fast schon ländlich-dörflich zugeht.

Bruthöhlen für hübsche Eisvögel

Ein großer Teil der Pflege-Arbeit von Georg von Fugler und seinem Team besteht aus Mäharbeiten. Dafür nutzen sie verschiedene Mähtechniken und spezielle Maschinen.Außerdem legen sie Totholzhaufen, Nisthilfen, Steinhaufen als neuen Mikro-Lebensräume an, pflegen Hecken und Kopf-, und Obstbäume, aber auch Wildwiesen und Ackerränder. „Für besonders gefährdete Arten werden auch spezielle Artenschutzmaßnahmen von uns durchgeführt“, erklärt Georg von Fugler. Für Eisvögel zum Beispiel würden Uferbereiche so hergerichtet, dass sie für Bruthöhlen geeignet sind.

Fragt man Georg von Fugler, ob es denn demnach auch häufiger zu Konflikten kommt, dann verneint er. Die allermeisten Leute würden verantwortungsvoll und aufmerksam mit der geschützten Gelsenkirchener Natur umgehen, wenn doch etwas passiert, im positiven wie im negativen Sinne, erfährt der Ranger es meist sehr früh: „Meine größte und beste Informationsquelle sind die Menschen, die drumherum wohnen, oder Hundebesitzer.“

Georg von Fugler gibt dann aber doch noch eine Bitte mit auf den Heimweg, mit einem letzten schweifenden Blick über den wirklich entrückten Ort, mitten in der Großstadt: „Helfen Sie mit, Natur zu erhalten, bleiben Sie auf den Wegen, leinen Sie Ihre Hunde an und melden sich bei uns, wenn negative Tendenzen auffallen.“