Oberhausen. Das Friedensdorf Oberhausen will seine Arbeit in Afghanistan im Interesse der kranken Kinder fortsetzen. Erste Signale aus dem Land sind positiv.
Claudia Peppmüller und Birgit Hellmuth vom Oberhausener Friedensdorf sind in Afghanistan, als die Taliban am 15. August 2021 nahezu kampflos in die Hauptstadt Kabul einmarschieren. Den Plan, schwerkranke Kinder zur Behandlung nach Deutschland zu bringen, müssen die Hilfskräfte verschieben. Mit einem der Rettungsflüge der Bundesregierung gelingt ihnen die Flucht. Ihr nächstes Ziel: „Die Einsätze für die Kinder müssen weitergehen.“ Nur wie? Die Friedensdorf-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter setzen auf die Taliban.
So ganz nebenbei erfuhr Claudia Peppmüller jetzt, dass noch immer rund 300 Deutsche in dem Binnenstaat an der Schnittstelle von Südasien, Zentralasien und Vorderasien auf eine Ausreisemöglichkeit warten sollen. Dazu kämen unzählige Ortskräfte. „Die Lage vor Ort ist angespannt.“
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Seit 1988 ist der Verein Friedensdorf International mit der Hilfsorganisation „Roter Halbmond“ in Afghanistan bestens vernetzt. Alle verwaltungstechnischen Vorarbeiten leistete stets diese Partnerorganisation, die ähnlich dem Roten Kreuz auch international in islamischen Ländern tätig ist. „Die Freude war groß, als wir trotz der Corona-Pandemie am 9. August wieder zu einem Einsatz losfliegen konnten“, erzählt Claudia Peppmüller rückblickend. Die Visa für 30 Kinder, die für eine Weiterbehandlung in Deutschland ausgewählt worden waren, und 20 weitere schwerkranke, hatte sie in der Tasche. Doch dann kam alles anders. „Viele Familien konnten aus den Provinzen nicht mehr heraus, Kundus, Mazar-e Sharif waren bereits von den Taliban erobert worden.“
Viele Familien flüchteten aus den Provinzen in die Hauptstadt
Doch verletzte Kinder gab es mittlerweile auch in Kabul genug. Denn andere Familien aus den Provinzen waren frühzeitig vor den Taliban in die afghanische Hauptstadt geflüchtet. Ein Arzt des „Roten Halbmondes“ half, schnell waren die Visa für zuvor begutachtete 27 Kinder beantragt und die Flüge für den 31. August gebucht. Die Ereignisse aber überschlugen sich. „Niemand hatte damit gerechnet, dass die Taliban wie durch Butter erst durchs Land und dann durch Kabul marschieren würden“, sagt die Friedensdorf-Sprecherin. Die Fluggesellschaft sagte den Rückflug ab.
Die deutschen Helferinnen saßen in einem Haus der Partnerorganisation fest. Über das Friedensdorf International in Dinslaken ließen sie sich auf die Evakuierungsliste setzen. Mit einem Wagen des „Roten Halbmondes“ machten sie sich auf den Weg zum Flughafen. Kurz zuvor hatten sie per Mail eine Luftaufnahme erhalten, auf der das Tor eingezeichnet worden war, an dem sie sich melden sollten. „Wir sind ganz gut durchgekommen“, sagt Peppmüller. Sie habe zwar vereinzelte Straßenposten der Taliban gesehen, „aber angehalten wurden wir zum Glück nicht“.
Mit Todesangst in den Augen
Die letzten sechs Meter vor dem Flughafen ging es durch dichtestes Gedränge. „Unser Fahrer fuhr im Schritttempo an verzweifelten Menschen vorbei, sie sahen uns mit Todesangst in den Augen an und riefen uns zu ,Ihr Deutschen habt versprochen, uns mitzunehmen!’ – das tat so weh, wir haben uns so schlecht gefühlt.“
Ein Versprechen an die afghanischen Kinder
Jenseits aller politischen Differenzen hoffen die Friedensdorf-Mitarbeiter auch jetzt im Interesse der Kinder in Afghanistan auf eine Fortsetzung ihrer Arbeit. „Wir müssen Geduld haben, auch wenn wir lieber heute als morgen helfen würden.“ 17 afghanische Kinder werden noch immer im Friedensdorf medizinisch betreut. Eine Handvoll von ihnen ist inzwischen aber schon wieder soweit genesen, dass sie eigentlich zurück zu ihren Familien in ihre Heimat könnten.Doch aufgrund der aktuellen Lage musste der geplante Rückflug ausgesetzt werden. Friedensdorf-Sprecherin Claudia Peppmüller weiß: „Ihre Eltern machen sich sehr große Sorgen.“ Und auch die Kinder hätten große Angst, nicht mehr nach Hause zu kommen: „Aber wir haben ihnen versprochen, dass wir sie zu ihren Familien zurückbringen – und auch dafür werden wir jetzt alles in Bewegung setzen.“
Gleich nach der Rückkehr stand bereits für alle Friedensdorf-Mitarbeiter fest: „Wir werden den verletzten Kindern in Afghanistan auch weiterhin helfen.“ Denn sie seien die eigentlichen Opfer des über 40 Jahre andauernden Bürgerkriegs im Land. „Wir haben die fürchterlichsten Verletzungen gesehen, Verbrennungen, Schusswunden, Knochenentzündungen, an denen die Kinder ohne Behandlung sterben“, berichtet Peppmüller, die kaum daheim sofort wieder den Kontakt zum „Roten Halbmond“ suchte.
„Unsere Partner teilten uns mit, dass sie jetzt zwar erst darauf warten müssten, dass die neue Regierung die Zuständigkeiten regelt – aber die ersten Signale für die Fortführung unserer Arbeit sind auch unter den Taliban positiv.“ Schon einmal hatte das Friedensdorf eine Zusammenarbeit mit den Taliban gewagt. „Mullah Omar hatte sich in den 1980er Jahren persönlich für unsere Hilfsorganisation eingesetzt“, erläutert die Friedensdorf-Sprecherin. Taliban-Anführer Mohammed Omar, auch Mullah Omar genannt, war von 1996 bis 2001 Staatsoberhaupt des Islamischen Emirats Afghanistan. „Im Interesse der schwerkranken Kinder in dem Land und der afghanischen Familien, die jetzt um die Rückkehr ihrer Söhne und Töchter fürchten, werden wir diesen Weg nun erneut gehen.“