Gelsenkirchen. „Amphitryon“ aus der Feder von Heinrich von Kleist steht auf dem Spielplan des Gelsenkirchener MiR. Ein Puppentheaterstück nur für Erwachsene.
Leicht lüstern beugt sich Merkur zu Charis herab, die sich da lasziv auf einem Podest räkelt. Doch statt dem Weibe muss er sich erst seinem Widersacher Sosias widmen, der ihn da schreiend mit einer Suppenkelle bedroht. Von der Tribüne des Kleinen Hauses im MiR sieht diese auf Teddybären-Größe geschrumpfte Gottheit wie eine weiß schimmernde Marmor-Statue aus. Doch dank des Geschicks und der Fingerfertigkeit des Puppenspieler-Ensembles erwacht diese Figur zum Leben, wird zu einem eigenständigen Charakter. Schon bei den Proben gelingt sie: die perfekte Illusion.
MiR-Puppentheater: Premiere von „Amphitryon“ am 8. April
Willkommen bei „Amphitryon“: Jener Tragikomödie von Heinrich von Kleist, die nicht nur mit manch wildem Verwechslungsspiel und Identitäten-Raub aufwartet, sondern auch der Frage nachgehen will, warum die Menschen an Gottheiten glauben und warum sie diese manchmal sogar nötigst brauchen.
Für das MiR-Puppentheater ist dies die allererste Inszenierung, die sich ausschließlich an ein erwachsenes Publikum richtet. Premiere ist an diesem Freitag, 8. April. Mindestens fünf weitere Aufführungen sind zum 28. Mai geplant. Und die Eindrücke beim Probebesuch lassen schon erahnen: Da wartet etwas Besonderes, etwas betörend Schönes auf alle Besucher.
In die Sprache von Kleists muss sich das Publikum erst kurz „hineinhören“
Zuerst ist da die Sprache: Wer heute den Worten von Heinrich von Kleist lauscht, die er da im Jahre 1803 zu Papier gebracht hat und die erst knapp 100 Jahre später zum ersten Mal auf einer Theaterbühne ausgesprochen wurden, der muss sich zunächst hineinhören. Fremd wirkt der Satzbau, angestaubt das Vokabular. Ähnlich wie bei Shakespeare-Stücken. Der gesamte Duktus erfordert anfangs eine verstärkte Aufmerksamkeit der Zuhörerschaft. Ist man aber einmal „drin“, bekommen die Worte Flügel, schweben direkt in Herz und Hirn.
„Das ist ein großartiger, aber sehr anspruchsvoller Text“, sagt auch Daniel Jeroma. Der 43-Jährige, der aus Lörrach stammt, ist Schauspieler und nun in seiner zweiten Spielzeit Ensemble-Mitglied des MiR-Puppentheaters. Zuvor verbrachte er beruflich viele Jahre in Berlin und Wien. Seine Zusatzausbildung zum Puppenspieler qualifiziert ihn für seine jetzige Aufgabe am MiR. Denn Jeroma spielt die Titelrolle, also den Amphitryon.
Agieren unter einer Halbmaske erfordert ein körperbetonteres Schauspiel
Als solcher tritt er bei diesem Stück sehr oft mit einer Halbmaske auf. Das heißt: Nur die Mundpartie bleibt unbedeckt und seine Augen blitzen aus Sehschlitzen hervor. Mimisch sei man dadurch natürlich eingeschränkt, sagt Jeroma. Umso wichtiger wird in diesem Moment die Arbeit mit dem gesamten Körper, der dann als verbliebenes Ausdrucksmittel stärker in den Fokus rückt.
Bevorzugt er denn nun eher das Schau- oder das Puppenspiel, wollen wir von Jeroma nach Ende der Proben wissen. „Ich mag beides sehr. Ich kann vom Puppenspiel für mein Schauspiel lernen – und umgekehrt“, sagt er. Das Wichtigste bei der Arbeit mit den Puppen sei aber die Herangehensweise der Akteure. „Nicht nur die technische Arbeit ist entscheidend, auch die Emotionen aller Puppenspieler müssen stimmen“, so Jeroma. Ansonsten wirke die Puppe schnell nicht mehr lebendig.
Regisseur Nis Søgaard war einst selbst ein begeisterter Puppenspieler
Ein absolutes Ass in puncto Puppenspiel war auch Nis Søgaard. Der 46-jährige Däne – aufgewachsen in Kopenhagen – arbeitet aber nun bereits seit über zehn Jahren als Regisseur. Bei seiner Inszenierung des Stoffes für das MiR entschied Søgaard, die drei im Stück auftretenden Gottheiten Merkur, Jupiter und Herkules als Puppen auftreten zu lassen. Vor allem für Herkules braucht es mit einer Größe von rund 1,40 Meter Kraft und Geschick. „Für ihn brauchen wir fünf Puppenspieler“, so der Regisseur.
Den Ur-Text hat Søgaard um einen Prolog und einen Epilog erweitert. Dennoch versucht er, die Gesamtlänge des Stückes auf unter zwei Stunden zu halten. „Wir haben bei den Proben viel improvisiert, um uns hineinzufinden“, sagt er. Große Chorographien wie diese erforderten unter den Schau- und Puppenspielern stets eine immense Abstimmung. Wer steht wann wo? Wer blickt wann zu wem auf? Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, die Szenen mit einer Puppe hölzern wirken lassen. Oder aber die perfekte Illusion erzeugen.
Namen und Fakten
Auf der Bühne wird nicht nur das siebenköpfige Ensemble des MiR-Puppentheaters stehen, sondern auch die aus Berlin stammende Band We Will Kaleid. Das Art-Pop-Duo, bestehend aus Jasmina de Boer und Lukas Streich, komponierte eigens für die Produktion die Bühnenmusik, die bei den Aufführungen live performt und Teil der Inszenierung wird.
Regisseur Nis Søgaard hat an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin studiert. Seine Inszenierungen waren schon auf den Bühnen in Dresden, Chemnitz, Konstanz und Magdeburg zu sehen.
Karten im Vorverkauf gibt es an der Theaterkasse am Kennedyplatz oder unter: 0209 40 97 200.