Oberhausen. Erfreulich viele Jazzfans kamen zum Auftaktkonzert ins Ebertbad. Dort mussten die Stimmungsmaler „Nighthawks“ ohne ihren Trompeter auskommen.

Es hätte ein Festival-Auftakt nach Maß sein können für die fünfte „Hömma“-Auflage. Hochgestimmt begrüßte Uwe Muth als Impresario die zahlreich versammelten Gäste „im schönsten Kulturtempel der Republik“: Stolze Worte fürs Ebertbad. Leider sollte am Abend noch eine traurigere „blue note“ dazukommen – doch zunächst rockten zwei mit schweißtreibender Wonne die Badeanstalt.

Die „Stripes“ und „Keys“ können einpacken: Als Power-Duo spielen sich Mickey Neher und Roman Babik weit nach vorne.
Die „Stripes“ und „Keys“ können einpacken: Als Power-Duo spielen sich Mickey Neher und Roman Babik weit nach vorne. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Das Schlagwort vom Power-Duo galt bisher vorrangig dem Rock in der Kombination von Schlagzeug und Gitarre sowie der Farbenlehre von „White Stripes“ und „Black Keys“. Doch deren Fans dürfen umdenken: Volle Kraft voraus gilt auch für die Kombination von Keyboards und Drumset, jedenfalls wenn das Duo „RoMi“ loslegt. Roman Babik an den Tasten und der singende Drummer Mickey Neher bewiesen vom Start weg, dass sie alles andere als eine „Vorgruppe“ auf vier Quadratmetern sind. Gegen dieses Power-Duo muss es jede ihnen folgende Band schwer haben.

Schließlich wagt der 55-jährige Neher, was sich selbst ein Phil Collins in seinen besten Jahren nicht traute: Der saß entweder hinter seiner Schießbude oder stand vorne am Mikrofon. Mickey Neher aber arbeitet mit höllischem Groove an den Sticks und Pedalen und lässt zugleich voller Inbrunst sein kehliges Timbre hören. Dazu lieferte der 40-jährige Roman Babik mit feinem Rhodes-Sound einen die Gehörknöchelchen massierenden Puls.

R’n’B, Ska – und eine alte russische Weise

Ist das noch Jazz, jene als versnobt verkannte Musik, die angeblich schon „komisch riecht“? Klar doch, auch wenn RoMi mit Gusto alles abschmecken, was feurig am Gaumen oder unter den Sohlen brennt: R’n’B, Ska – und selbst „eine alte russische Weise“. So hatte Mickey Neher den Standard „Dark Eyes“ angekündigt – um dessen schwermütiges Sentiment samt Glöckchen vom Schlitten zu kicken. Die Orgel heulte dazu wie eine Hundertschaft sibirischer Wölfe.

Kaum einmal schaltete dieses Vollgas-Duo einen Gang runter, wechselte Neher mal für „Sunshine of a Dream“ zu verhaltenem Beckenspiel. Für filigrane Bordüren aber nimmt sich dieser jungenhafte Draufgänger keine Zeit: Ausdruck ist alles – mit Betonung auf der zweiten Silbe.

Vielfarbige Lightshow: Doch als Quartett wider Willen fehlten den „Nighthawks“ leider die elegischen bis scharf aufblitzenden Farben ihres Trompeters Reiner Winterschladen.
Vielfarbige Lightshow: Doch als Quartett wider Willen fehlten den „Nighthawks“ leider die elegischen bis scharf aufblitzenden Farben ihres Trompeters Reiner Winterschladen. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Der schiere Schwung konnte ja sogar die allmächtigen Geschmacksverderber des Format-Radios bezwingen, die dem kleinen RoMi-Hit „Roll on“ ein bisschen Airplay gönnten. Diese feine Prise Jazz-Pop mit der sonnigen Hookline ist aber auch unwiderstehlich.

Es ist schon ein Vergnügen zuzusehen, wie sich der Drummer von der Kappe bis zu den Zehen vom Beat durchzucken lässt. So wunderte es wohl nur Mickey Neher selbst, dass er gleich zweimal seine Basstrommel wieder einfangen musste, die schon drauf und dran war, in die erste Zuschauerreihe zu hüpfen.

Knisternder Appell an die Menschlichkeit

Für die Zugabe trumpfte Neher dann auch mit seiner Hörspiel-Erfahrung auf: Charlie Chaplins Rede in seiner größten Rolle als Diktator Hynkel (in dessen Uniform aber der Frisör aus dem Ghetto steckte) war ein knisternder Appell an die Menschlichkeit: „Vor Klugheit und Wissen kommt Toleranz und Güte.“ Großer Applaus – und kein bisschen „Schtonk!“ – für einen großen „Hömma“-Auftakt.

Zum Ende der etwas überdehnten Pause musste dann Uwe Muth die Stimmung dimmen: Trompeter Rainer Winterschladen konnte nicht spielen. Der 65-Jährige hatte schon beim Soundcheck gesundheitliche Probleme erkannt. Doch seine „Nighthawks“ wollten das Publikum nicht enttäuschen – „trotz des Riesen-Lochs neben mir“, wie Bassist Dal Martino sagte.

Aufgefrischt und im bewährten 1a-Ton

„Neues Licht, neue Farben“: Als „Hömma“-Macher war Uwe Muth hörbar angetan vom gründlich aufgefrischten Ebertbad. Denn Bademeister Hajo Sommers hat die unwillkommene Auszeit überlanger Lockdowns eben nicht nur genutzt, um die Übergabe an Tobias Voss vorzubereiten.Eine bewährte Konstante – und eigentlich gar nicht oft genug gewürdigt – ist dagegen seit Jahren der vorzügliche Ton im Ebertbad: der perfekte Mix gilt nicht nur für Jazz, sondern auch für Pop (mit der quasi hauseigenen „Allzweckwaffe“ Nito Torres) und natürlich für die Künstler des scharf geschliffenen Wortes.

Die etwas lockerer formierten Stuhlreihen im Ebertbad waren gut gefüllt: Der „Hömma“-Auftakt fand Anklang.
Die etwas lockerer formierten Stuhlreihen im Ebertbad waren gut gefüllt: Der „Hömma“-Auftakt fand Anklang. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Zu hören waren die perfekten Antipoden der wonnigen RoMi-Rüpel: Diese „Nachtschwärmer“ führten ebenfalls an die Grenze des Jazz, doch mit elegischen, tiefenentspannten Klangflächen, einer singenden Leadgitarre von Jörg Lehnardt, der auch David Gilmour Respekt zollen dürfte – und einer Lightshow, die ebenfalls den Prog-sinfonischen Jahren von Pink Floyd entsprach.

War’s nun Breitwand-Rock oder Cinemascope-Jazz? Egal, mit ihrer feinen Stimmungsmalerei – deren kühle Nachtfarben natürlich auch auf Edward Hoppers berühmtes Großstadt-Gemälde „Nighthawks“ anspielen – lieferte auch das unfreiwillige Quartett (mit Thomas Alkier am Schlagzeug und Jörg Dahmen an den Tasten) ein feines Konzert. Es wäre geradezu unfair, nun zu mutmaßen, wie diese „Nighthawks“ mit Reiner Winterschladen aufgetrumpft hätten: dem Mann, der im Lauf seiner langen „Nu Jazz“-Karriere mit nicht weniger als sechs Bands das Moers Festival beehrt hatte.