Im Rahmen eines Fassbinder-Projekts kommt auch „Der Müll, die Stadt und der Tod” auf die Bühne

„Die erste Premiere in einer neuen Spielzeit ist immer eine aufregende Geschichte”, sagt Roberto Ciulli. Aber diesmal werde die Aufregung noch getoppt. Mit Rainer Werner Fassbinders umstrittenen Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod” traut sich das Theater an der Ruhr etwas. Während die Inszenierung auf jeder deutschen Bühnen bislang unter Protesten gestoppt wurde, war die Erstaufführung 1987 in New York. Es sollten Inszenierungen in Kopenhagen, Schweden und sogar Tel Aviv folgen. Selbst in Israel hatte man keine Magenschmerzen wegen angeblicher antisemitischer Tendenzen. Es geht um einen Juden, dessen ganze Familie im KZ umgekommen ist, erläutert Ciulli. Der Immobilienspekulant, der sich selbst als reichen Juden bezeichnet, was zu Protesten wegen des antisemitischen Klischees führte, macht sich auf die Suche nach dem Mörder und trifft auf dessen Tochter, die sich von ihrem Zuhälter misshandelt, unverschuldet im Rotlichtmilieu verdingen muss.





 „Es ist ein unglückliches Mädchen, das sterben will, und der Jude erfüllt ihr schließlich den Wunsch.” „Der Müll, die Stadt und der Tod” soll in Mülheim eine neue Dimension bekommen, weil es in die Fassbinder-Stücke „Nur eine Scheibe Brot” und „Blut am Hals der Katze” eingebettet wird. „Fassbinder” ist der Abend überschrieben, bei dem die Besucher den Filmemacher als Theaterautor entdecken können. Seine Theaterstücke haben in Deutschland Seltenheitswert.

„Fassbinder” ist ein Projekt das viel über sein Schaffen und die Philosophie dahinter erzählt. Er war Schauspieler, Regisseur, Filmproduzent, Autor, hat Hörspiele und Essays geschrieben. Und er setzte Zeichen im Neuen Deutschen Film. Fassbinder starb mit nur 37 Jahren am 10. Juni 1982 nach einer Mischung von Kokain, Schlaftabletten und Alkohol in München an Herzversagen. Und er war ein Besessener. „Ich kenne kaum einen, der 60 Filme in 13 Jahren gemacht hat”, sagt Dramaturg Helmut Schäfer.

Nachdenklich ist er in Erinnerung geblieben: Rainer Werner Fassbinder, der mit nur 37 Jahren starb. Foto: Archiv
Nachdenklich ist er in Erinnerung geblieben: Rainer Werner Fassbinder, der mit nur 37 Jahren starb. Foto: Archiv © WAZ | WAZ





18 Theaterstücke hat er geschrieben. Immer an der Oberfläche kratzend und bohrend, zeigend, was ein System mit Menschen macht. Der sehr junge Fassbinder lernt in „Nur eine Scheibe Brot” die „Undarstellbarkeit des Schreckens” in Konzentrationslagern kennen. Es geht darin um einen Regisseur, der den Auftrag erhält, einen Film über den Holocaust zu drehen. „Blut am Hals der Katze” handelt von den Nachwirkungen, den Verwerfungen der 1960er und 70er Jahre, der Verwahrlosung der Zeit. „Beschrieben wird das Desaster, wenn die Sprache, die Kommunikation, nicht mehr funktioniert”, so Schäfer. Mit ungeschöntem Blick hat Fassbinder auf das Verhalten und die politischen Verhältnisse einer neuen Generation geschaut.

„Er war in gewisser Weise ein gesunder Provokateur”, sagt Ciulli. Unbewusst habe er durch zwei Elemente provoziert, weiß Schäfer. „Er war total offen und hat durch eine zusehende, liebvolle Neugier provoziert.” In den 1970er Jahren war das zuviel an Offenheit gewesen in einem Klima der Verdrängung. Was würde passieren, wenn Fassbinder heute wieder aufwacht? „Der Befund wäre unangenehm”, vermutet Schäfer.

Will Roberto Ciulli „Der Müll, die Stadt und der Tod” provozieren? „Keinesfalls. Es ist genau umgekehrt, denn wir wollen eine neue Lesart anbieten.” Erklärungsbedarf wird es geben. Und so erläutern Ciulli und Schäfer das „Fassbinder-Projekt” bei der Matinee am Sonntag, 20. September, 12 Uhr, im Theater an der Ruhr.