Oberhausen. Bund und Land haben nach Ansicht des Oberhausener Oberbürgermeisters Daniel Schranz (CDU) im Kampf gegen die Pandemie herbe Fehler gemacht.
Die Corona-Lage verschlechtert sich auch in Oberhausen von Tag zu Tag. Mehr als 14.500 Menschen haben sich seit Frühjahr 2020 bereits mit Corona infiziert, 389 Einwohner sind an dieser Krankheit verstorben – die derzeitige Sieben-Tage-Inzidenz liegt in Oberhausen bei 250. Aktuell haben nachweislich 739 Oberhausener das Coronavirus im Blut, in ganz NRW knapp 100.000 Bürger. Wie muss die Politik jetzt handeln? Was hat die Politik falsch gemacht? Ein Interview mit dem Oberhausener Oberbürgermeister Daniel Schranz (CDU).
Herr Oberbürgermeister, wie zufrieden sind Sie mit dem Impfengagement der Arztpraxen in Oberhausen? Wir haben zwar über 200 Hausarzt- und Facharztpraxen im Stadtgebiet, doch nur jede fünfte bietet überhaupt Impfungen an. Wie enttäuschend finden Sie das?
Schranz: Die Pandemie bedeutet eine außergewöhnliche Belastung für alle im Gesundheitswesen. In den Arztpraxen herrschen seit zwei Jahren Ausnahmezustände. Das sind große Belastungen für Ärzte und Mitarbeiter. Deshalb habe ich auch großes Verständnis für alle Beteiligten und bedanke mich bei ihnen sehr. Aber in der Tat brauchen wir mehr Ärztinnen und Ärzte in Oberhausen, die impfen. Denn wir müssen alles dafür tun, eine höhere Impfquote zu erreichen. Das ist der einzige Weg, um aus der Pandemie herauszukommen.
Kann die Stadt selbst mehr unterstützen?
Das machen wir, die Stadt leistet dazu auch ihren Beitrag, in dem wir unser Impfangebot kontinuierlich ausbauen. Wir haben bereits fünf feste Impfstellen und schaffen so 1000 Impfungen am Tag – genauso viel wie das Impfzentrum durchschnittlich verimpft hat. Eine sechste Stelle im Süden der Stadt ist in Planung. Die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, ist derzeit erfreulicherweise sehr hoch: Alle zehn Minuten gehen hundert Termine weg – seit dem Start der neuen festen Impfstellen haben wir rund 20.000 Impftermine als Stadt vergeben.
Seit Sommer stagniert die Impfquote auch in Oberhausen. Immerhin 30 Prozent haben sich bisher nicht impfen lassen. Hat im Nachhinein der städtische Krisenstab die Impfbereitschaft als zu selbstverständlich eingeschätzt?
Mit unserer Impfquote bewegen wir uns im Bundesschnitt. Betrachtet man nur diejenigen, die sich bisher überhaupt impfen lassen können, also alle über zwölf Jahren, dann sind wir bei 80 Prozent Erstimpfungsquote. Dies ist ein guter Wert, mit dem wir bei den ersten Varianten des Virus‘ die Pandemie hinter uns gelassen hätten. Doch weil die Virusmutationen immer ansteckender geworden sind, ist die Latte immer höher gehängt worden. Wir müssen deshalb schauen, dass wir auf eine Impfquote von 90 Prozent kommen.
Dennoch: Haben die Verantwortlichen zu wenig gemacht, um eine höhere Impfquote zu erreichen? Oder sind die Bürger selbst nicht aktiv genug?
Nein, das glaube ich nicht. Die Stadt hat sehr viel geworben, hat seit August bis zum Einrichten der Impfstellen fast täglich mobile Impfungen erledigt – und wir erreichen über verschiedene Medien sehr viele Menschen. Aber wir dürfen uns damit nicht zufriedengeben und müssen uns noch mehr anstrengen, etwa eine neue Impf-Kampagne auflegen. Das Interesse an Erstimpfungen hat aber bereits wieder deutlich zugelegt: Wir erledigen täglich hundert Erstimpfungen an unseren festen Impfstellen. Wir werden aber nicht jeden Bürger zu einer Impfung bewegen können.
Wären Sie denn am Ende für eine allgemeine Impfpflicht?
Wir haben ja mit der Masernimpfpflicht für bestimmte Berufsgruppen dieses Instrument schon eingeführt. Genauso wie die Leopoldina bin ich der Ansicht, wenn wir nicht eine ausreichende Impfquote erreichen, dann sollten wir mit einer Impfpflicht für bestimmte Berufe anfangen.
Nach bundesweiten Untersuchungen lassen sich Zuwanderer-Familien weniger impfen als der Durchschnitt der Bevölkerung. Was macht Oberhausen, um die Impfmüdigkeit in diesen Gruppen zu beheben? Gibt es Impfaktionen in Moscheen wie in Essen?
Essen ist da vielleicht dem Oberhausener Beispiel gefolgt, wir haben bereits in Moscheen impfen lassen – im August in den Moscheen an der Emmericher Straße und an der Weißensteinstraße. Wir prüfen, ob wir diese Aktion wiederholen. Wir sollten für diese Gruppe nochmals besondere Angebote machen, auch weil hier noch Sprachbarrieren existieren. Wir haben hier sehr frühzeitig fremdsprachige Info-Angebote gemacht. Doch es ist auch klar: Die mögliche Impfskepsis in Zuwandererfamilien erklärt sicherlich nicht die schlechten Impfquoten im Bayerischen Wald, im Thüringer Wald und im Erzgebirge mit ihrem niedrigen Migrantenanteil.
Weniger Corona-Maßnahmen für die Länder
Das durch die Mehrheit der neuen Ampelkoalition von SPD, FDP und Grünen im Bundestag geänderte Infektionsschutzgesetz hat den Ländern wichtige Maßnahmen im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus’ aus der Hand geschlagen. Die Notregelung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite ist damit ausgelaufen. Nicht mehr möglich sind nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums für die Länder Ausgangssperren, die flächendeckende vorsorgliche Schließung von Schulen und Kitas, der Gastronomie oder des Einzelhandels. Zudem dürfen Gottesdienste und Versammlungen nicht mehr flächendeckend verboten werden, die Sportausübung darf nicht untersagt werden. Ebenso dürfen Reisen und Übernachtungsangebote nicht verboten werden.
Benötigt die Stadtspitze zusammen mit dem Rat mehr Rechte von Land und Bund, um die Pandemie vor Ort besser zu bekämpfen?
Wir sind uns mit dem Städtetag einig, dass die Herausnahme von Maßnahmen aus dem Infektionsschutzgesetz durch die Mehrheit im Bundestag falsch war. So war es schon einmal grundsätzlich ein falsches Signal, die epidemische Notlage zu beenden. Zudem haben wir nun weniger Möglichkeiten, etwa die Schließung von Bars oder Diskotheken sowie die Untersagung von Veranstaltungen können wir nicht mehr veranlassen. Es ist nötig, diese Maßnahmen wieder einzuführen. Genauso nötig ist es, die Überbürokratisierung in der Corona-Bekämpfung, etwa bei der Organisation der Impfaktionen, zu beenden. Flexible Lösungen vor Ort werden so erschwert. Bei der Booster-Impfung, also bei der dritten Impfung, sollte doch eine mündliche Aufklärung reichen – doch man muss wieder alle Unterlagen ausfüllen und unterschreiben. Die Überbürokratisierung ist nicht dazu geeignet, jetzt Fahrt aufzunehmen. Wir haben da ein massives Problem, das bremst und behindert Engagement.
Welche Überlegungen gibt es an der Stadtspitze, auf weiter steigende Corona-Infektionszahlen zu reagieren und die Kontaktzahlen zu reduzieren?
Natürlich denken wir über vieles nach. Wir haben den Neujahrsempfang der Stadt schon abgesagt und alle anderen Veranstaltungen – bis auf Gremiensitzungen – erledigen wir wieder per Videoschalte. Die Maskenpflicht auf dem Centro-Weihnachtsmarkt ist eingeführt. Doch sinnvoll sind vor allem landesweite oder gar bundesweite Maßnahmen – und keine Flickenteppiche: Wenn es etwa in Oberhausen eine Ausgangssperre gäbe, in Mülheim keine; in Essen wären die Discos geschlossen und bei uns nicht. Das führt nicht nur zu einem Freizeit-Tourismus, sondern zu einer geringeren Akzeptanz der Bürger für die Corona-Regeln.
Welche Fehler hat nach Ihrer Meinung die Bundespolitik in den vergangenen Wochen im Kampf gegen die vierte Welle der Corona-Pandemie gemacht? Schließung der Impfzentren? Zu späte Aufforderung zur Booster-Impfung? Keine Masken mehr im Unterricht?
In so einer Pandemie, einer so außergewöhnlichen Lage, machen alle Fehler, auch wir. Das Pandemie-Management vor allem in Berlin in den letzten Wochen führt aber auch bei mir zu einigem Ärger: Wir sollten doch aufpassen, dass wir nicht durch Unterlassungen die Situation unnötig verschlimmern. Aber der eigentliche Gegner ist das Virus – und die Rahmenbedingungen für die Bekämpfung des Virus‘ haben sich stetig verschlechtert. Beim Wildtyp des Virus’ wären wir schon mit der Pandemie durch, da hätten wir keine Booster-Impfung benötigt. Dass die Impfung so früh vor allem bei Älteren die Wirkung verliert, dies sind sehr junge Erkenntnisse der Virologen.
Also ist die Politik in Berlin und in NRW damit entschuldigt?
Nein, denn es stimmt auch: Die kurze Zeit ohne Masken in den Schulen – das hätte man sich sparen können. Die vom Land angewiesene Schließung der Impfzentren war ein Fehler. Und das Virus interessiert sich nicht für Regierungswechsel: Die Verzögerungen durch solch einen Übergang sind ein schlechter Zeitpunkt in dieser Pandemie-Phase. Und es darf auch nicht sein, dass wir in unserem föderalistischen System mit 16 Bundesländern immer auf den letzten Ministerpräsidenten warten müssen. Wir benötigen eine stärkere Bundeskompetenz, die durchgreifen kann.
Das Interview mit dem Oberhausener Oberbürgermeister und CDU-Politiker Daniel Schranz zur Corona-Lage führte Peter Szymaniak.