Hagen. Auch auf die Gefahr hin, dass der immer wichtiger werdende Inzidenzwert in Hagen hoch bleibt: Die Stadt hält am konsequenten Testen fest.

Mit dem zurzeit in Berlin beratenen Infektionsschutzgesetz werden die lokalen Inzidenzwerte, also die Neuerkrankungsraten innerhalb einer Woche pro 100.000 Einwohner, zum maßgeblichen Taktgeber des gesellschaftlichen Miteinanders während der anhaltenden Corona-Pandemie. Dennoch bleibt es dabei, dass die vom Robert-Koch-Institut den Gesundheitsämtern vorgegebene Teststrategie erhebliche Ermessensspielräume gewährt und es somit den täglich ermittelten Inzidenzwerten an einheitlicher Basis und somit Vergleichbarkeit fehlt. Eine Schieflage, die zunehmend gesellschaftlichen Sprengstoff in sich birgt: Denn wer im Gegensatz zu Hagen als Kreis oder Kommune weniger konsequent die Infektionsketten verfolgt, lässt zwar ein epidemiologisches Zerrbild abseits der Realitäten entstehen, kann sich jedoch absehbar mit niedrigeren Infektionswerten rühmen und früher Corona-Lockerungen für seine Bürger auf den Weg bringen.

Ministerium: Selbst- und Schnelltests schärfen das Bild

Das NRW-Gesundheitsministerium verweist nach einer Anfrage der Stadtredaktion darauf, dass man auf das konkrete Testverhalten der Gesundheitsbehörden keinen Einfluss habe. Stattdessen betont Sprecherin Frauke Füsers, dass man in Zusammenarbeit mit den Kommunen den Fokus inzwischen darauf richte, dass landesweit ein ausreichendes Angebot an Teststellen vorhanden sei, um allen Bürgern mindestens einmal wöchentlich ein kostenloses Angebot zu ermöglichen. NRW nehme hier einen Spitzenplatz ein.Dies trage erheblich dazu bei, dem Infektionsgeschehen entgegenzuwirken. Auf diesem Wege könnte auch in Kommunen, in denen im Vergleich weniger Testungen durchgeführt würden, die Inzidenzen steigen, so die Haltung des NRW-Gesundheitsministeriums.Entsprechend blickt auch die Kommunalaufsicht in Arnsberg auf die aktuelle Situation: „Jeder Test trägt zu einer weiteren Präzisierung der Lage bei“, betont Christoph Söbbeler, Sprecher des Regierungspräsidiums. Er erinnert zugleich mit Blick auf die Eigenverantwortung eines jeden einzelnen Bürgers daran, dass jeder positive Selbst- oder Schnelltest ja auch zu einem offiziellen PCR-Test führen solle.

Bereits im Februar hatte die Stadt Hamm für gesamt NRW bei den verantwortlichen Krisenstäben eine Abfrage zum jeweiligen Coronatest-Gebaren durchgeführt. Dabei wurde das anhaltende Dilemma allzu offensichtlich: Nicht einmal ein Viertel der verantwortlichen Behörden ermittelt beispielsweise bei den Mitbewohnern eines Infizierten weitere Testergebnisse und verfolgt die daraus resultierenden Infektionsketten. In 56,9 Prozent der Fälle werden direkte, jedoch asymptomatische Kontaktpersonen zwar in Quarantäne geschickt, aber eben keine weiteren bei der britischen B.1.1.7-Corona-Variante allerdings sehr wahrscheinliche Positivfälle ausgetestet und in der lokalen Statistik vermerkt. In einem Fünftel der Kommunen und Kreise in NRW finden konsequente Testungen wiederum lediglich auf Bitten der Betroffenen statt.

Wunsch nach einheitlichem Testen

Oberbürgermeister Erik O. Schulz fordert ein einheitliches Vorgehen aller Städte und Kreise ein.
Oberbürgermeister Erik O. Schulz fordert ein einheitliches Vorgehen aller Städte und Kreise ein. © WP | Michael Kleinrensing

Vor diesem Hintergrund bezweifelte der Hagener Oberbürgermeister Erik O. Schulz bereits vor zwei Monaten die Vergleichbarkeit der Inzidenzwerte. „Damit stellt sich zugleich die Frage nach der Sinnhaftigkeit von landes- oder gar bundesweit geltenden Regelungen und Einschränkungen, die sich allein nach diesen Werten ausrichten“, so der Verwaltungschef. „Es wäre absolut wünschenswert, wenn es eine einheitliche Teststrategie gäbe. Das ist von uns gegenüber dem Land auch so kommuniziert worden – gleichwohl gibt es bis heute keine Reaktion darauf“, macht Schulz derweil im Umgang mit dem NRW-Gesundheitsministerium die gleichen frustrierenden Erfahrungen wie zuletzt mit dem Düsseldorfer Schulministerium: Die Landeshauptstadt schweigt sich aus.

Dabei werden die Inzidenzwerte, so beweist der Blick ins künftige Infektionsschutzgesetz und somit auf Kanzlerin Merkels bundeseinheitliche Corona-Notbremse, zum entscheidenden Maßstab für sämtliche Pandemie-Auflagen: Die nächtliche Ausgangssperre gilt künftig von 22 bis 5 Uhr, sobald der Inzidenzwert einer Stadt oder eines Kreises über der 100er-Schwelle liegt, für Schulen wird ab einer 165er-Inzidenz der Distanzunterricht verpflichtend und der Einzelhandel kann bis zu einer Inzidenz von 150 im „Click & Meet“-Verfahren sowie einer Testpflicht geöffnet bleiben, danach allerdings nicht mehr.

„Wir werden unsere Teststrategie auch weiterhin nicht verändern“, versichert der Oberbürgermeister der Hagener Gesundheitsamtsleiterin Dr. Anjali Scholten weiterhin seine volle Rückendeckung für „den ungeschminkten Blick auf das Infektionsgeschehen“. Die Formel „Ich teste nicht, also ist die Infektion nicht mehr da“ gehe niemals auf, setzt Schulz weiterhin auf ehrliche, aber dann eben nicht immer bequeme Corona-Fakten.

Kein Murren aus der Wirtschaft

Vor allem bei den Unternehmen oder dem Einzelhandel könnten allerdings in den nächsten Wochen die murrenden Begehrlichkeiten steigen, wenn in Hagen angesichts hoher Inzidenzwerte weiterhin strenge Lockdown-Maßnahmen gelten, während in benachbarten Städten und Kreisen mit günstigeren Zahlen schon wieder Öffnungsszenarien und Erleichterungen greifen. „Druck seitens der Wirtschaft oder des lokalen Handels, unser konsequentes Handeln zu überprüfen, gibt es bislang nicht“, will der Hagener Verwaltungschef weiterhin Kurs halten und auch in Zukunft sämtliche Infektionsketten konsequent nachverfolgen und weitere Corona-Indexfälle aufdecken.