Oberhausen. Das Fraunhofer Umsicht betreibt eine Anlage, in der Methanol aus Hüttengasen hergestellt wird – Basis für eine klimagerechte Stahlproduktion.
Hätte der graue Container auf dem Gelände des Fraunhofer Umsicht-Instituts in Oberhausen keinen siebeneinhalb Meter hohen Turm, würde er kaum auffallen. Dabei könnte er mal eine bedeutende Rolle beim Klimaschutz spielen. Denn hier findet Forschung statt, auf deren Grundlage die Stahlindustrie in Zusammenarbeit mit der Chemieindustrie künftig die Hälfte an klimaschädlichem CO2 einsparen kann.
Die Oberhausener Anlage soll helfen, die Stahlproduktion zu revolutionieren. Aktuell ist die Stahlindustrie eine der größten Verursacherinnen von Treibhausgasen in Deutschland. Branchenriese Thyssenkrupp hat sich daher als Ziel gesetzt, „grünen Stahl“ herzustellen – also den CO2-Ausstoß zu reduzieren und auf nachhaltige Rohstoffe zu setzen.
Methanol- und Stahlproduktion können voneinander profitieren
Dabei spielt die Demonstrationsanlage des Umsicht-Instituts eine entscheidende Rolle. Hier stellen Forschende Methanol her. Das hat auf den ersten Blick wenig mit Stahl zu tun. Doch Methanol- und Stahlproduktion können voneinander profitieren, erklärt Tim Schulzke von der Umsicht-Abteilung Low Carbon Technologies. Denn die im Stahlwerk entstehenden Hüttengase lassen sich als Rohstoff für die Herstellung von Methanol verwenden.
Während Schulzke den Weg der Gase durch die Oberhausener Anlage beschreibt, rauscht diese deutlich im Hintergrund. Dabei ist die Anlage gerade gar nicht im Einsatz. Würde sie laufen, könnte man sich wohl nur schwer unterhalten – bei 75 Dezibel, das ist lauter als ein Staubsauger.
Den „Reaktor“ bildet ein einzelnes sechs Meter langes Rohr
Die Führung startet beim „Hochofen“, der in Oberhausen aus acht etwa zwei Meter großen Metallboxen mit Gasflaschen besteht. Von dort aus werden die Bestandteile der Hüttengase – Wasserstoff, Stickstoff, Kohlenmonoxid oder Kohlendioxid – in die Containeranlage geleitet. Sie durchlaufen mehrere Stationen: große schillernde Behälter, die das Gas verdichten; Rohre, die sich labyrinth-artig an der Wand entlangwinden – und gelangen schließlich in den Reaktor.
Der Reaktor befindet sich in einem sechs Meter langen Rohr mit einem Innendurchmesser von 34 Millimetern. Ummantelungen etwa zur Wärmeabfuhr und Isolierung lassen ihn auf einen Meter Durchmesser anwachsen. In seiner Funktion und den Abmessungen entspreche der Reaktor dem industriellen Standard, erklärt Tim Schulzke. „Dort gibt es dann allerdings Tausende dieser Rohre.“
50 Liter Methanol produziert die Anlage in Oberhausen pro Tag
Im Reaktor entsteht das Methanol und landet am Ende in einem weiteren großen, silberfarbenen Behälter. Das übriggebliebene Gas wird wiederverwendet und erneut Teil des Kreislaufs. 50 Liter Methanol produziert die Anlage in Oberhausen pro Tag. Die Chemikalie ist ein wichtiger Grundstoff für die chemische Industrie. Üblicherweise werden bei der Herstellung – mit Blick auf den Klimawandel wenig nachhaltig – Erdgas, Erdöl oder Kohle verwendet. Hüttengase könnten also eine nachhaltige Alternative darstellen.
Methanol kommt in Plexiglas und anderen Kunststoffen zum Einsatz. Es wird geringfügig herkömmlichem Benzin beigemischt und dient einigen Autos modellhaft als Kraftstoff. In China gebe es sogar Pkw, die ausschließlich mit Methanol betrieben werden, berichtet der Ingenieur. In Deutschland sei das aber nicht üblich. Die Reederei Maersk habe allerdings ein Containerschiff in Auftrag gegeben, das mit Methanol fahren soll. Auch für Binnenschiffe werde der alternative Kraftstoff diskutiert.
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Das Projekt geht in die nächste Phase
Die Versuche in Oberhausen haben gezeigt, dass Methanol sich auch mithilfe von Hüttengasen herstellen lässt. Die Produktionsbedingungen in einem Stahlwerk sind allerdings anders als üblich bei der Methanol-Erzeugung: Zum Beispiel „stehen die Gasquellen nicht kontinuierlich zur Verfügung“, sagt Tim Schulzke. Damit muss die Anlage zurechtkommen.
Nun geht das Projekt in die nächste Phase: Die Demonstrationsanlage wird in Oberhausen ab- und in Duisburg bei Thyssenkrupp wieder aufgebaut. Dort finden dann Langzeitversuche unter realen Produktionsbedingungen statt. Und wenn alles gut geht, macht die Stahlindustrie damit einen bedeutenden Schritt in Richtung Klimaneutralität.
Ein Schritt in Richtung Industrie 4.0
Das Projekt „Carbon2Chem“ startete im Jahr 2016. Das Ziel: die Stahlproduktion von Thyssenkrupp grüner zu gestalten. Gleichzeitig macht der Stahlriese mit „Carbon2Chem“ aber auch einen Schritt in Richtung „Industrie 4.0“. Der Begriff beschreibt die Digitalisierung der industriellen Produktion. Die Anlage zur Methanolherstellung wird nämlich einen digitalen Zwilling haben, erklärt Ingenieur Tim Schulzke vom Fraunhofer Umsicht in Oberhausen. Der Produktionsprozess wird an vielen Stellen digital überwacht, was eine Steuerung im Voraus möglich machen soll. Üblicherweise greift das System nur ein, wenn der Ist-Zustand vom Soll-Zustand abweicht, erklärt Schulzke. „Dann ist es aber im Zweifelsfall schon zu spät.“Dank digitalem Zwilling soll es in Zukunft möglich sein, die Geräte auf Temperaturschwankungen vorzubereiten, wenn entsprechend zusammengesetzte Gase in die Anlage eintreten. Projektende ist voraussichtlich im Mai 2024.