Oberhausen. Isabell kam als Leichtgewicht und viel zu früh im Evangelischen Krankenhaus Oberhausen auf die Welt. Wie sie ihren Frühstart meisterte.
Isabell schreit. Sie macht gleich klar, um wen es hier geht. Für ihre Eltern, Katja und Dennis Klotten, klingt das wie Musik. Ihre kleine Tochter hat es geschafft. Sie ist mit 610 Gramm in der 24. Schwangerschaftswoche im Evangelischen Krankenhaus Oberhausen (EKO) mitten in der Corona-Pandemie auf die Welt gekommen. Drei Monate und zwei Tage hat sie als Frühchen auf der Kinderintensivstation um ihren eigenen Weg ins Leben gekämpft. Dann durften die Drei die Klinik als Familie verlassen. Dies ist ihre Geschichte.
Katja Klotten ahnte früh, dass ihre Schwangerschaft anders verlaufen würde. „Das kündigte sich schon ewig vorher an“, erzählt die Oberhausenerin. In der 21. Schwangerschaftswoche kam sie zum ersten Mal ins EKO. Raphael Canitz, leitender Oberarzt der Klinik für Geburtshilfe, entdeckte, dass der Gebärmutterhalskanal sich wie ein Trichter verformt hatte. „Das ist ein Hinweis auf eine Gebärmuttermundschwäche und deutet bereits auf eine mögliche Frühgeburt hin.“ Um genau dies zu einem so extrem frühen Zeitpunkt zu verhindern, wurde Katja Klotten eine Silikonschale eingesetzt, sie erhielt Medikamente. Zwölf Tage lang ging zu Hause alles gut, dann ging es zurück ins EKO.
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„Das war in der 23. Schwangerschaftswoche, meine Gebärmutter hatte sich bereits geöffnet.“ Das Expertenteam der Geburtshilfe kämpfte um jeden einzelnen Tag. „Denn bei einer Frühgeburt zählt weniger das Gewicht des Kindes als die Reife, die es erlangen kann“, sagt Canitz. Die 24. Woche stellt dabei so etwas wie eine besondere Grenze dar. „Wer die überwindet, hat gute Chancen.“ Das zähe Ringen gelang. Erst eineinhalb Wochen später platzte die Fruchtblase, stiegen die Entzündungswerte so deutlich, dass der Mutter eine Blutvergiftung drohte. Canitz entschloss sich zum Kaiserschnitt. Nun endlich durfte auch Dennis Klotten ins Krankenhaus. Bis dahin hatte ihm die Pandemie den Weg ins Krankenhaus versagt. „Mein Mann hat mir in dieser Zeit sehr gefehlt“, sagt Katja Klotten.
Sauerstoff erleichterte der Kleinen das Atmen
Für Dr. Christiane von Noorden (Departmentleitung Neonatologie/pädiatrische Intensivmedizin) standen da bereits andere Fragen im Vordergrund. „Wir prüften zuerst, wie es bei Isabell mit der Atmung klappt.“ Die Kleine legte mit 610 Gramm für ein Frühchen ein recht ordentliches Gewicht auf die Waage – und das war ihr Glück. „Sie musste nicht künstlich beatmet werden, sondern erhielt nur eine kleine Maske über die Nase, mit der wir ihr Sauerstoff zuführten“, berichtet von Noorden. Medikamente halfen dabei, die Lunge noch weiter zu öffnen. Gleich am Tag der Geburt durfte sich Isabell auf dem Bauch ihrer Mama ausruhen und die Wärme ihres Papas spüren.
Dennis Klotten wich nicht mehr von der Seite seiner Familie. Aber das brauchte er auch gar nicht. Auf der Kinderintensivstation sind Väter vom ersten Augenblick an erwünscht. „Pandemie hin oder her – es geht hier vor allem auch um die Bindung zwischen Eltern und Kindern“, sagt Christiane von Noorden. Und Isabell schreit zu ihren Worten so laut auf, als würde sie ihrer Ärztin zustimmen. Dennis Klotten nimmt seine Tochter auf den Arm. „Ich habe hier viel gelernt“, erzählt der 30-Jährige. „So merkwürdig das jetzt vielleicht klingt, aber die Kinderintensivstation wurde für uns drei so etwas wie ein erstes gemeinsames Zuhause.“
Fotos von jedem Fortschritt der Kleinen klebten an der Klinikwand. „Ich war am Anfang so nervös, dass ich ständig alles vergessen habe und die gleichen Fragen sieben Mal hintereinander stellen musste“, erinnert sich der Vater schmunzelnd. „Aber ich habe dann einfach sieben Mal hintereinander die gleiche, geduldige Antwort erhalten.“
Trotz allem eine ganz normale Familie
Auch Katja Klotten fühlte sich umsorgt. Dankbar nahm sie die Anregung von Susanne Pecl, Fachkrankenschwester auf der Kinderintensivstation, an, doch schon einmal Geburtskarten zu malen. „Das lenkte sie gut von den vielen Sorgen ab“, meint Pecl. Sie weiß: „Nicht nur das Kind ist zu früh auf die Welt gekommen, auch die Eltern sind ja zu früh Eltern geworden.“ Zu einem Zeitpunkt, an dem sonst eigentlich erst die Einrichtung des Kinderzimmers ansteht, der Einkauf der Babywäsche, von Spielzeug und Schnuller.
Geburtsklinik für Risiko- und Mehrlingsschwangerschaften
Die Klinik für Geburtshilfe des Evangelischen Krankenhauses Oberhausen ist offiziell als Perinatalzentrum Level I ausgezeichnet. Dieses Siegel kennzeichnet Geburtskliniken mit der höchsten neonatologischen Versorgungsstufe von Risikopatientinnen.Neonatologie bezeichnet die Frühgeborenen- und Neugeborenenmedizin. Als „Twin-Clinic“ ist die Klinik außerdem auf die Betreuung von Mehrlingsschwangerschaften spezialisiert.
Also stellte Pecl gezielt den Kontakt zu anderen Eltern von Frühgeborenen her. „Damit die beiden erkennen konnten, dass vielleicht nicht alles so gelaufen ist, wie sie sich das vorgestellt haben, aber eben auch: Sie sind trotz allem eine ganz normale Familie.“ Katja und Dennis Klotten begriffen das schnell. Isabell auch. Sie meckert ein wenig. Sie hat Hunger – und in ihrer Stimme liegt die Gewissheit: „Ab sofort spiele ich die erste Geige.“
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