20 Stockwerke über Mülheim sitzt der Autor Harald Gerhäußer auf seinem Balkon. Er redet über zwei Dinge: den Dichtungsring und das neue Richtungsding.
Das „Richtungsding – Zeitschrift für junge Gegenwartsliteratur“ ist gerade erstmals erschienen, herausgegeben vom Schwaben Gerhäußer (27) und vom Mülheimer Jan-Paul Laarmann (28), beide Teilnehmer des Ruhr.2010-Projekts „2 - 3 Straßen“. Gemeinsam mit der Schriftstellergrupe „Dichtungsring“ von der Uni Duisburg/Essen entwickelten sie die Idee für eine Literaturzeitschrift, die möglichst verschiedenartige kurze Texte versammelt.
Gerhäußer und Laarmann hätten „bewusst keine inhaltlichen Vorgaben gemacht“, damit sich eine natürliche Vielfalt einstellt. Die Erzähler kämpfen mit- und gegeneinander, beobachten, träumen, empfinden viel, reflektieren über das Leben und über Reflexion.
So beseelt etwa empfindet in Gerhäußers „Meermorgen“ ein Schönheitschirurg den Strand, während er durch den Sand zu seiner Praxis spaziert: „Die Brandung ist der Rocksaum des Meeres. Viel Unrat verbirgt die alte Dame unter ihrem Kleid. Es hat einen Reißverschluss, der sich zweimal am Tag öffnet. Morgens schält sich die Sonne aus dem Reißverschluss“.
Bei Leonie Viola Thöne beobachtet jemand sehnsüchtig das „Lapislazulimädchen“: „Uns trennten Welten und Farbskalen. Es war, als hätte ein Regenbogen auf ihrer Höhe angehalten. Sie hatte alle Blauschattierungen für sich und ihre Welt gefordert und blendete den Rest mit süßer Gnadenlosigkeit aus.“
Zusammen haben Laarmann und Gerhäußer Redaktion und Produktion dieser ersten Ausgabe gestemmt. Eine preisgünstige Druckfirma zu finden, sei schwierig gewesen. Eine aus Litauen hätte zu hohe Versandkosten gehabt. Eine Leipziger Druckerei sei beim Preis entgegen gekommen, so dass das Heft nun 5 Euro kostet.
Mit dem Anklang ist Gerhäußer zufrieden. Auf ihrer Exkursion zum Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt hätten sie „viel positive Resonanz von namhaften Literaten erhalten. Zur Zeit kommt ziemlich viel in Gang.“ Die erste Auflage von 200 sei schon verkauft, von der zweiten seien 110 weg. Für das nächste Heft hätten schon Dichter aus ganz Deutschland unaufgefordert ihre Texte eingesandt. Es soll Mitte/Ende Oktober erscheinen. „Ab jetzt zweimal jährlich.“ Dessen ist sich Gerhäußer sicher.
Überhaupt wirkt er zufrieden. Die Resonanz auf die Texte in der Buchhandlung am Löhberg 4 war gut. Am 30. Juli lesen sie Autoren während der Oberhausener Kulturnacht „SchlaflOs“. Und am 28. Oktober im Museum Alte Post.
In Mülheim und in „2 - 3 Straßen“ hat Gerhäußer sich eingelebt. Eine Handvoll Nachbarn aus dem Wohnturm komme regelmäßig vorbei und interessiere sich für die teils spontanen Musik- und Kunstaktionen, die dort stattfinden. Vielleicht bleibt Gerhäußer – auch nachdem das Kulturhauptstadtjahr vorüber ist.
Vor kurzem hat der Autor, der gerade „an einem psychologischen Roman“ schreibt, in einem Antiquitätengeschäft eine Schreibmaschine aufgestöbert. „Ein ganz anderes Schreiben“, sagt er, der schon mit PCs groß geworden ist. Man müsse die Sätze beim Tippen schon zu Ende gedacht haben. Umsteigen wird er nicht mehr. „Dafür bin ich zu sehr an Computer gewöhnt.“