Mülheim. Bei einer Ruhr-Tour mit der Weißen Flotte in Mülheim testen Prüfer des Deutschen Brotinstitutes rund 200 Sorten. Punktabzug für Luftlöcher.
„Die Deutschen sind experimentierfreudig. Sie probieren gern neue Brotsorten. Darum verarbeiten die Bäcker oft neue Mehlmischungen zu Broten und Brötchen.“ Henning Funke, Geschäftsführer des Verbandes der Rheinischen Bäckerinnungen, hat Kolleginnen und Kollegen zur Brotqualitätsprüfung eingeladen.
Damit das keine trockene Angelegenheit bleibt, drücken, kauen, schneiden und schmecken Maik Wegner, Brotsommelier, und Karl-Ernst Schmalz, Bäckermeister, mehr als 200 Produkte aus Mülheimer Backstuben und Öfen aus der Nachbarschaft. Ort ist dieses Mal an Bord der Weißen Flotte bei einer Tour durch das Ruhrtal.
In Höhe des Saarner Ruhrstrandes stehen mehrere Körbe voller Brötchen bei Karl-Ernst Schmalz. Alle Sorten aus dem Rhein-Ruhr-Bezirk haben einen Laufzettel: „Mischung, Backzeit, Herstellerbetrieb und Produktname sind verzeichnet“, erklärt Schmalz und schneidet das erste Brötchen auf.
Croissants brauchen innen luftige Backstruktur
Bei „Dicken am Damm“ hat er bereits mehrere Brötchen auf seinem Brett platt gedrückt. Es knackt knusprig, kleine Krümel springen ab, bei einer Sorte größere Stücke. „Die Rösche ist nicht so fein“, erkennt der Fachmann. Das gibt einen Punkt Abzug. Eine zweite Sorte zeigt innen Luftlöcher. Das kostet ebenfalls einen Punkt.
Auf dem Oberdeck – am Mintarder Wasserbahnhof – weist Maik Wegner einen Auszubildenden ein: „Erst riechen. 80 Prozent der Aromen kommen über die Kruste in Nase und Mund. Auch das Auge isst mit. Darum sollten alle Hörnchen gleich groß sein.“ Was bei Brötchen Punktabzug gibt, ist bei Buttercroissants erwünscht – innen eine luftige Backstruktur zur Duftentfaltung.
„Gute Rösche“ bedeutet Lob im Bäckerlatein
Der Sommelier drückt ordentlich auf die Körnerbrötchen. „Gute Rösche“, lobt er im Bäckerlatein. Diese Kruste ist weder mürbe noch spröde. Die rösche Rinde birgt auch bei Broten für Qualität. Hart oder weich, glatt oder rau, mit und ohne Muster. Entweder hat der Bäckergeselle sie vor dem Backen mit dem Messer in den Teiglaib gezogen oder Risse sind in der Hitze aufgeplatzt.
Neben Weizen, Kamut und Roggen hat sich Dinkel als vierte Getreideart im Backtrog etabliert. „Viele Meister arbeiten bereits mit Emmer, Gerste und anderen Sorten. Diese ergeben innerhalb der Kruste feste oder lockere Krumenstrukturen. Möhren, Oliven oder Früchte bringen zusätzliche Geschmacksnoten ins Brot“, erläutert der Sommelier. „Die Kunden in Deutschland erwarten Vielfalt aus der Backstube.“
Fachbetriebe haben Absatzplus in Coronazeit
Helle Brötchen und solche mit Körnern an der Kruste halten sich im Gaumen die Waage. Sauerteigbrot ist beliebt wie die Roggen-Nuss-Mischung. „Wir raten unseren Kunden, Brot am Stück mitzunehmen. Dann hält es länger seinen guten Geschmack“, erklärt Tristan Förster. „Wer nicht so gut im Abschneiden ist, sollte die Scheiben portionsweise einfrieren.“
Klaus Rasfeld hatte einst selbst eine Backstube an der Aktienstraße und arbeitet heute bei Broehenhorst. Das ist eine von acht kleineren und größeren Bäckereien, die in der Stadt noch arbeiten. Seit einigen Monaten verzeichnen die Betriebe ein Umsatzplus. „Homeoffice ist ein Grund für mehr Brötchenabsatz. Der zweite: Die Leute gehen seltener aus, nehmen öfter einen gebackenen Laib für das gemeinsame Abendbrot mit nach Haus.“
Gute Chancen für Auszubildende
Auszubildende finden die Bäcker trotz unattraktiver Arbeitszeiten genug. „Wir haben sogar Seiteneinsteiger mit Studienexamen. Die wollen mit Mitte 20 bei uns ein praktisches Handwerk erlernen“ - Innungsobermeister Bernd Siebers kennt akademische Lehrlinge. Von der Teigmischmaschine über den Backofen machen einige Karriere bis auf Kreuzfahrtschiffe oder ins Ausland. Deutsche Meisterbäcker sind dort sehr gefragt.
Prüfungen helfen, hohe Standards zu halten
„Bald gehen die geburtenstarken Jahrgänge in Pension. Darum bietet unser Handwerk zahlreiche Chancen“, blickt Siebers voraus. „Mehrere Geflohene aus dem Nahen Osten haben in unseren Betrieben bereits erfolgreich ihre Gesellenprüfung bestanden. 50 Kilo schwere Mehlsäcke braucht heute keiner mehr zu schleppen.“
Auf der Rückfahrt sind hinter der Florabrücke mehr als 200 Sorten geprüft. „Das hilft den Bäckern, ihre hohen Standards zu halten und ihre Herstellungsprozesse zu verbessern“, erklärt Karl-Ernst Schmalz. Alle überzähligen Stücke aus den Prüfungen verschenken die Bäcker stets an Bedürftige.