Ein Eichelhäher lässt sich auf einem Grabstein nieder. „Es gibt nirgends so viele Pflanzen und Tiere“, sagt Andreas Mäsing (46), Geschäftsführer von Friedhofsgärtner Gelsenkirchen (FGG), der Treuhandstelle für Dauergrabpflege. Die feierte neulich ihren 40. Geburtstag. „Ein Eichelhäher ist für mich ein tägliches Bild“, sagt Mäsing. Tierisch war auch die Geburtstagsfeier - die FGG hatte in die Zoom Erlebniswelt eingeladen.
Andreas Mäsing geht gerne über den Friedhof, am Liebsten über den Hauptfriedhof Buer, der liegt hinter der FGG an der Middelicher Straße in Erle. „Um zur Ruhe zu kommen“, sagt er. Das erde ihn und so bekomme er den Kopf frei für einen Neuanfang. Wie oft braucht der Geschäftsführer denn einen Neuanfang? „Den braucht man jeden Tag.“
Auch für Pressesprecherin Kerstin Westerwick (40) ist ein Friedhof kein Angstort: „Mein Vater hat früher nebenbei auf dem Friedhof gearbeitet. Ich habe ihn häufig begleitet, meine Hausaufgaben gemacht und später fürs Abi gelernt.“ Überhaupt sei ein Friedhof nicht nur ein Bestattungsplatz, sondern ein Ort für die Lebenden, für Kommunikation.
Andreas Mäsing und Kerstin Westerwick sind sich einig: „Ein Friedhof ist ein zweiter Heiratsmarkt, das können sie beobachten.“ Die gemeinsame Trauer der Hinterbliebenen sei ein Ansatzpunkt. Viele Menschen kämen so ins Gespräch und geteiltes Leid ist ja bekanntermaßen halbes Leid.
Auf einer freien Rasenfläche stehen einsam und verlassen eine Grabkerze und daneben ein kleiner Strauß Blumen. Andreas Mäsing stellt die Frage „Wann endet die Erinnerung?“ in den Raum. Die Fläche ist ein anonymes Reihengrab. Nach 25 Jahren endet die Ruhefrist, dann werden die „Nutzungsberechtigten“ gebeten, das Grab zu räumen und die Zelle wird aufgelöst. Bald ist es soweit. Dann wird der oder die letzte Trauernde seiner Trauer in anderer Weise Ausdruck verleihen müssen.
Der Hauptfriedhof Buer ist zu Bauzeiten für 400 000 Einwohner konzipiert worden - 6 Quadratmeter Fläche pro Kopf. Heute sind es nur noch etwa 260 000 Einwohner. Und deshalb gibt es viele Freiflächen. Auch die anonymen Reihengräber erwecken diesen Eindruck. Aber diese Zelle ist noch „in Betrieb“. Blumen und Grabschmuck stellen Trauernde an einer zentralen Stelle ab. „Die Leute schreiten die Fläche teilweise ab“ - um ungefähr abwägen zu können, wo der Verstorbene liegt. Andreas Mäsing hat das schon oft beobachtet. Er ist kein Freund von anonymen Bestattungen. Und er weiß auch von Leuten, die nicht damit klarkommen, keinen fixen Ort der Trauer zu haben: „Anonyme Gräber wurden umgebettet, weil Leute nicht damit fertig wurden.“ Für diesen extremen Schritt sei jedoch ein ärztliches Attest notwendig.
Am gefragtesten sind die parkähnlichen Gemeinschaftsgräber, in denen sich die Mitglieder einer zusammengehörigen Gruppe bestatten lassen. „Die WG für danach“, sagt Kerstin Westerwick. Nicht zu verwechseln mit Ruhestätten, die sich Ehe- oder Geschwisterpaare teilen. Zehn Prozent aller Bestattungen machen Gemeinschaftsgräber aus. Auf dem Hauptfriedhof Buer gibt es bereits sieben solcher „Wohngemeinschaften“.