Mülheim.. Rutscht die Innenstadt mit ihren vielen Leerständen immer tiefer in die Krise oder reden viele den Untergang schlicht herbei?
Hermann-Josef Pogge, der neue Vorsitzende der Werbegemeinschaft Innenstadt, berichtet von einer „totalen Verdrossenheit“, von viel Frust in der Händlerschaft, von einem erreichten Tiefpunkt, den er in einem gemeinsamen Kraftakt mit möglichst vielen Beteiligten in Mülheim verlassen will.
Die Einzelhändler schimpfen über die undurchsichtige Verkehrsverführung, über Parkgebühren und fehlende Parkmöglichkeiten. Die Leineweberstraße als Einbahnstraße bleibt in der Kritik, die Baustellen sowieso. Es sind seit Jahren immer wieder die gleichen Sorgen und Klagen über die Innenstadt, die bei Veranstaltungen wie jetzt bei der CDU-Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung genannt werden. Der Verlust des Kaufhof ist für manchen ein Hauptübel, andere sehen es in Ruhrbania, wieder andere schimpfen über die Blumenkübel auf der Schloßstraße und über ein Angebot, das die Kunden nicht lockt. Wirklich so schlimm alles?
Spiel mit falschen Zahlen
Es wird mit falschen Zahlen gespielt: Von 25 Prozent Leerstand ist die Rede, elf hat die Mülheim Stadtmarketing und Tourismus GmbH errechnet. Es gibt nach wie vor Fachhandel in der Innenstadt. Jede Menge Marken seien in der Innenstadt zu bekommen, betont die Chefin der MST, Inge Kammerichs, im Gespräch mit der WAZ. „Dahinter steckt Qualität.“ Die Schloßstraße wurde begrünt, die Sauberkeit sukzessive verbessert. Die Vielfalt der Aktionen hat zugenommen, die gastromischen Angebote, gerade im Außenbereich, wurden erweitert und werden genutzt.
Von einem ständigen Nörgeln, spricht die City-Managerin Gudrun von der Linden und sieht darin keinen Ausweg. Zu vielen Mülheimern fehle eine positive Grundhaltung zur Innenstadt, meint sie. Gäste – sind sie einmal angekommen – sprechen eher lobend. Die Angst vor einem immer schlechteren Image der Innenstadt greift nicht nur in der MST und in Wirtschaftskreisen um sich, sondern auch in Teilen der Politik, die seit Jahren am Erscheinungsbild und an der Attraktivität herumdoktert. In Panik und Hektik wurden immer mehr Zuständigkeiten für die Innenstadt geschaffen. Runde Tische gehören fast zur Tagesordnung und die Erkenntnis, dass sich Investoren und Immobilieneigentümer eben nicht dirigieren lassen, höchstens überzeugen.
Niemand gibt sein Geld in der Innenstadt aus
Nur wenige verweilen
„Wir haben in Müllheim auf jeden Fall kein Kaufkraftproblem“, sagt einer, der es wissen muss, der Sparkassenvorstand Helmut Schiffer., „Aber die Leute geben es nicht in der Stadt aus.“ Nein, sie fahren nach Düsseldorf, auch dort dreimal um den Pudding, und zahlen ohne zu klagen 15 Euro Parkgebühr. Aber in Mülheim wird über 2,50 Euro geschimpft. Woran liegt das?
Mülheim geht es nicht alleine so, sagt Prof. Volker Eichener, Rektor der Bochumer Business School-University. Auch die Reaktionen auf die Krise seien ähnlich. Auf weniger Kunden, weniger Umsätze, mehr Leerstände reagierten Städte nicht selten mit weiteren Verkaufsflächen und Baumaßnahmen, die eher als störend empfunden werden. Verkaufsflächen gebe es ohnehin schon viel zu viel. Die Folge: Probleme verstärkten sich. Weniger, aber spezieller, hochwertiger, auf die Bedürfnisse des Publikums zugeschnitten, in einem solchen Angebot sieht Eichener Chancen.
Eichner fordert mehr Ambiente
Mehr Ambiente und Atmosphäre fordert er und ist längst nicht der Erste damit. Events, Auftritte, Überraschungen, das liebten die Menschen. Die Innenstädte müssten für Lifestyle sorgen. Essen-Rüttenscheid macht es vor. Der Professor sieht im gastronomischen Angebot einen wichtigen Pfeiler: 32 Prozent geben als Freizeitwunsch Gastronomiebesuche an. „Diese Zahl hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt und wird steigen“, so Eichener.
Der Einzelhandel muss sich der Lebenswirklichkeit anpassen, sagt der Hochschullehrer und verweist dabei auch auf die demografische Entwicklung: Die nächsten Generationen haben weniger Geld zum Ausgeben, die Rentner von Morgen erst recht.