Albana Agaj ist das Nesthäkchen im Theater an der Ruhr. Beim WAZ-Gespräch sitzt die 26-Jährige just in der Garderobe, wo sie im November letzten Jahres auf das Vorsprechen wartete.
Mit welchen Rollen haben Sie sich vorgestellt?
Agaj: Ich habe mit Medea, Tabori und mit Fräulein Else vorgesprochen.
Waren Sie nervös?
Agaj: Ja, davor war ich nervös, aber es mag komisch klingen, sobald ich dieses Haus betreten habe, war ich ruhiger als ich je bei einem Vorsprechen gewesen bin.
Woran lag das?
Agaj: An der Atmosphäre? Ich weiß es bis heute nicht genau. Vor allem war es Roberto Ciulli. Beim Vorsprechen habe ich meinen Stuhl direkt vor Roberto gesetzt, weil es mich beruhigt hat. Ich hatte das Gefühl, er will wirklich etwas sehen, er will etwas von mir sehen. Und diesem Menschen wollte ich etwas zeigen.
Er wollte wohl nicht irgendeine Figur oder Rolle sehen, sondern den Menschen, der dahintersteckt?
Agaj: Genau. Ich habe mich als Person, als Albana, angesprochen gefühlt.
War die Konkurrenz groß?
Agaj: Das wollte ich gar nicht wissen. Ich habe ein paar andere junge Frauen gesehen, die waren in alle Garderoben verteilt. Die habe ich gesehen und auch spielen gehört. Ich weiß nur, dass ich da war, spielen, damit etwas sagen wollte, und mehr konnte ich nicht tun.
Sie haben's geschafft. Wie fühlen Sie sich nach ein paar Monaten?
Agaj: Mein Gefühl, dass es richtig war, hat sich bestätigt.
Ist das Theater an der Ruhr eine Zwischenstation für Sie?
Agaj: Nein. An der Schauspielschule hatten wir ständig Gespräche mit Dozenten über Bewerbungen. Dadurch kam ich aufs Theater an der Ruhr. Nicht nur dort, sondern auch in meiner Heimat ist das Theater an der Ruhr ein Begriff. Das hat mein Interesse, ja meine Leidenschaft erweckt, und ich habe um vier Uhr morgens meine Bewerbung geschrieben. Es war wie ein Sog. Ich wusste, ich will dahin. Ich würde nie an ein Theater gehen, nur um einen Job zu haben, dafür ist die Leidenschaft zu groß.
In Ihrer Heimat ist das Theater an der Ruhr aus Mülheim ein Begriff?
Agaj: Ja, vor allem durch Roberto Ciulli. Sie haben ja schon bevor ich auf der Welt war in Jugoslawien gespielt.
Sie sind Kosovo-Albanerin. Sind Sie ein politischer Mensch?
Agaj: Ich bin in einem Land geboren worden, wo Politik die Nahrung war, auch wenn ich damals noch ein Kind war.
Haben Sie den Krieg noch miterlebt?
Agaj: Ja.
Wie alt waren Sie?
Agaj: Ich war zehn Jahre, fast elf, als meine Eltern mit mir in die Schweiz gegangen sind.
Eine Flucht?
Agaj: Ja, das kann man als Flucht bezeichnen. Ich fand es nicht unerträglich, dort zu leben, ich fand ein paar Umstände unerträglich. Die Unterdrückung. Unterdrückt zu werden, nur weil man beispielsweise eine andere Sprache spricht . . .
Wo haben Sie mit Ihren Eltern in der Schweiz gelebt?
Agaj: Hauptsächlich in der Umgebung von Zürich.
Wie kam die Idee, Schauspielerin zu werden?
Agaj: Da kommen wir wieder auf meine Heimat und das Thema Flucht zurück. Ich habe von kleinauf gespielt. Das war mein Traum, den ich mitnehmen konnte. Theater ist eine Auseinandersetzung mit der Welt, mit den Menschen – das hat mich vielleicht auch durch diese Geschichte – immer beschäftigt.
Und jetzt sind Sie Schauspielerin und dort angekommen, wo sie hinwollten. Fühlen Sie sich angenommen?
Agaj: Die Kollegen sind wunderbar. Ich gebe zu, dass ich das Nesthäkchen bin, ich genieße es auch, aber ich werde auch gefordert. Ich schätze es unglaublich, dass die Kollegen mir nach jeder Vorstellung etwas zur Rolle sagen. Das finde ich sehr wichtig.
Interview: Margitta Ulbricht