Gelsenkirchen. Rentner werden beim Entlastungspaket des Bundes nicht berücksichtigt. Doch es geht noch schlimmer. Das weiß Herbert Haben aus Gelsenkirchen.
Viel Kritik musste die Ampel-Regierung dafür einstecken, die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland bei ihren Entlastungspaketen nicht berücksichtigt zu haben. Ein Lichtblick dürfte für viele Ruheständler da die Rentenerhöhung um 5,35 Prozent zum 1. Juli 2022 sein. Doch es gibt auch Rentner, für die die Erhöhung ins Leere geht. Wie etwa bei Herbert Haben aus Horst.
Gelsenkirchener erhält knapp 1300 Euro Rente nach einem fast 45-jährigen Erwerbsleben
Weniger ist es Stolz, mit dem der 64-Jährige auf die Modellfahrzeuge in seiner Vitrine zu sprechen kommt. Vielmehr scheint er das Gefühl zu haben, sich rechtfertigen zu müssen für den Besitz in seiner engen, aber mit vielen Erinnerungsstücken geschmückten Wohnung. So ist es wohl, wenn man gewohnt ist, den Ämtern gegenüber jeden Cent transparent zu machen. „Früher konnte ich mir sowas leisten“, sagt Haben zu seinen Sammlerstücken mit ernster Miene.
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1286 Euro Erwerbsminderungsrente bekommt er nach einem fast 45-jährigen Arbeitsleben. Diese wurde mittlerweile in eine normale Altersrente umgewandelt, der Betrag ist derselbe geblieben. Das ist mehr als die Durchschnittsrente von etwa 1180 Euro, aber weniger als die Eckrente (45 Jahre lang Einzahlung in die Rentenversicherung bei Durchschnittslohn) von etwa 1540 Euro in Westdeutschland.
Grund für den früheren Renteneinstieg waren nicht nur Habens körperliche Einschränkungen, die Arthrosen und ein Burnout, sondern auch, dass der ehemalige Kfz-Serviceberater nach eigener Darstellung aus seinem alten Job bei einem Bueraner Autohaus „weggemobbt“ wurde, nachdem es dort zu Umstrukturierungen kam. Sein Versuch, danach einen neuen Job zu bekommen, wenige Jahre vor dem eigentlichen Renteneinstiegsalter: vergeblich.
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Zusammen lebt Haben mit seinem 20-jährigen Sohn, seiner Ehefrau und seinem altersschwachen Beagle Daggi. Seine Frau, die ausgebildete Zahnarzthelferin Dorothea, ist aktuell in einer Maßnahme des Jobcenters, bekommt zwei Euro pro Stunde für ihre Arbeit in einem Altenheim, wo sie die Hauswirtschaft erledigt und sich mit den Bewohnern beschäftigt. 160 Euro monatlich für 20 Stunden Arbeit in der Woche springen dabei zusätzlich für die Familie heraus. Zusätzlich teilt Dorothea Haben Anzeigenblätter in der Nachbarschaft aus, bekommt dafür rund 90 Euro im Monat.
Weil das, zusammen mit der Rente, aber zu wenig ist, um den Lebensunterhalt eigenständig zu bestreiten, bekommt die Familie noch einen Mietzuschuss von 188 Euro vom Jobcenter. Rechnet man alles zusammen und zieht die Fixkosten – Versicherungen, Telefonanschluss, Miete – ab, bleiben der dreiköpfigen Familie etwa 450 Euro zum Leben. Das Kindergeld für den Sohn kommt zwar noch obendrauf, wird aber in absehbarer Zukunft wegfallen.
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Die Rentenerhöhung zum 1. Juli könnte die Familie mehr als gut gebrauchen. „Ich dachte, dass ich damit einigermaßen die enorm gewachsenen Lebensunterhaltskosten auffangen kann“, sagt Herbert Haben. „Aber falsch gedacht: Diese Erhöhung wird mir von der Sozialleistung direkt wieder abgezogen. Ich habe davon überhaupt nichts.“ Herbert Haben geht also leer aus – die Rentenerhöhung wird vom Mietzuschuss aufgefressen. „Es ist ein schlechter Witz! Und gleichzeitig wird alles teurer – Lebensmittel, Strom, Sprit...“.
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Den Durchlauferhitzer hat die Familie schon abgestellt, nutzt den Wasserkocher, wenn sie doch mal heißes Wasser benötigt. An einen Restaurantbesuch ist gar nicht mehr zu denken. Und auch der alte Mercedes, den die Habens noch besitzen, wird natürlich, so weit es geht, stehengelassen. Ob das Neun-Euro-Ticket da eine gute Alternative ist? Selbst hier überlegt die Familie, ob es sich für sie überhaupt lohnt – und greift lieber öfters aufs Fahrrad zurück.
Dass die Verteuerung längst noch nicht an ihr Ende gekommen ist, ist für Familie Haben keine gute Aussicht. Ein Hoffnungsschimmer ist da, dass Dorothea Haben vielleicht bald aus der Jobcenter-Fördermaßnahme herauskommt und einen regulären 450-Euro-Job erhalten könnte. Auch den einmaligen sogenannten Hartz-IV-Bonus von 200 Euro zur Entlastung bei den Energiekosten soll Dorothea Haben bekommen, wie man beim Jobcenter auf Nachfrage bestätigt. Zufrieden geben will sich Herbert Haben mit diesem bescheidenen Ausblick aber nicht – dafür will er erst etwas von seiner Rentenerhöhung spüren. „Es wird Zeit, dass die Politik Menschen wie uns nicht länger übersieht!“