Mülheim. Bis 2035 will Mülheim klimaneutral sein. In vielen Belangen gibt es aber große Hürden, die durch Bürgergenossenschaften abgebaut werden sollen.

Wenn Mülheims scheidender Umweltdezernent Peter Vermeulen aus seinem Büro in der 20. Etage des technischen Rathauses blickt, sieht er jede Menge Flachdächer, „auf denen nichts drauf ist“. Obwohl Mülheim schon im Jahr 2035 klimaneutral sein möchte, hinkt die Stadt in Bereichen wie dem Bau von Photovoltaikanlagen noch weit zurück. Bürgergenossenschaften sollen dabei helfen, diesen Zustand zu verbessern.

„Es gibt in Deutschland leider eine ganze Menge an Hürden, was dazu führt, dass sich der Ausbau sehr zögerlich vollzieht und viel Potenzial ungenutzt bleibt“, sagte Vermeulen während eines Pressetermins am Dienstag bei der Firma Essers Bedachungen im Hafen. Auf deren Hallendach steht bereits seit 2018 eine PV-Anlage, die der Bürgerenergiegenossenschaft Ruhr-West (BEG-RW) gehört und die an das Unternehmen vermietet ist. Essers erhält für die Einspeisung des nicht verwendeten Stroms ins Netz eine Vergütung.

Bürgerenergiegenossenschaft will in diesem Jahr 50 neue Anlagen bauen

Etwa 20 solcher Anlagen hat die im Jahr 2016 gegründete Genossenschaft bisher gebaut, die meisten davon in den letzten zwei Jahren. „Ziel für dieses Jahr sind weitere 50“, sagte der Vorstandsvorsitzende Peter Loef und ergänzte: „Unsere 120 Genossinnen und Genossen finanzieren mit ihrem Anteil den lokalen Klimawandel.“

Die BEG-RW sei für die Stadt, so Vermeulen, nur einer von vielen wichtigen Partnern in Sachen Klimaschutz. Doch die Genossenschaft sei „beispielhaft für bürgerschaftliches Engagement“. Weil sie dabei hilft, die oftmals noch zu großen Hemmnisse zu überwinden. „Es funktioniert nur gemeinsam. Wir brauchen Berater und Planer ebenso wie Elektriker und Dachdecker“, sagte Ulrike Marx von der Stabsstelle Klimaschutz.

Kataster verrät, ob das eigene Haus für Stromerzeugung geeignet ist

Mit der Energiewende lässt sich Geld verdienen

Mitglieder der Bürgerenergiegenossenschaft können mit der Finanzierung von Energieanlagen Geld verdienen. Die sogenannten Nachrangdarlehen werden mit bis zu 3,5 Prozent fest verzinst. Ein Genossenschaftsanteil kostet 250 Euro.Für Einsteiger bietet die BEG-RW auch Balkon-Module als Mini-Sonnenkraftwerke an. Für Interessierte gibt es auf der Internetseite begrw.de einen Fragebogen.Neben der Stadt Mülheim bietet auch der Regionalverband Ruhr ein regionales Solardachkataster an. Mülheim gehört zum Bündnis „Solarmetropole Ruhr“.

Ihren Informationen zufolge verfügt Mülheim gerade einmal über 1200 Photovoltaikanlagen. „Bei 30.000 Dächern“, wie Peter Loef betont. Er sieht vor allem im Landwirtschaftssektor ein großes Potenzial. „Wenn man sich in anderen Regionen die Bauernhöfe ansieht, sind die Dächer voll mit Photovoltaik, hier in Mülheim sieht man das gar nicht“, bemängelte er. Die BEG-RW werde gezielt Unternehmen ansprechen.

Die meisten Kunden seiner Genossenschaft sind aber Privatleute. Wer Interesse hat, braucht längst nicht mehr ein Dach mit Südlage. „Die meisten sind mittlerweile Ost-West-Anlagen“, betont Loef. Im Solardachkataster der Stadt können Privatleute relativ leicht erfahren, ob ihr eigenes Dach für die Stromerzeugung geeignet ist und wie sie gegebenenfalls Energie sparen können. Beratungen gibt es über die regelmäßigen Solarsprechstunden.

Lokales Handwerk soll durch Aufträge im Klimasektor gestärkt werden

Dadurch, dass mit Hilfe von Bürgergenossenschaften, die notwendigen Partner miteinander verbunden werden und ein Hand-in-Hand-Modell angeboten werden kann, wird am Ende auch das lokale Handwerk gestärkt. Ein Umstand, den der Beigeordnete begrüßt. Durch „eine gesellschaftliche Fehlentwicklung“ sei eine komplette Branche vernachlässigt worden. „Wenn zu viele nur am Schreibtisch sitzen, statt auf’s Dach zu klettern, dann kommen wir nicht weiter“, so Vermeulen.

Die neuen Technologien machten die Handwerksberufe aber wieder spannender. Vieles ist sehr elektronisch und weniger Schmutzarbeit“, sagt Elektriker Ingo Lehning, der für die BEG-RW arbeitet. „Mittlerweile ist das eine Technik, die auch Akademiker interessiert.“