Mülheim. Ein Mülheimer Baugutachter (25) bietet moderne Methoden wie Drohnenflug an. Einer Familie ersparte dies vielleicht ein finanzielles Desaster.
Eine kleine Drohne hebt ab, steigt hoch über den Straßenverkehr in den blauen Himmel, direkt über das mehr als 130-jährige Haus. Gesteuert wird sie von Maurice Böhning (25), der sich selber „einer der jüngsten Bausachverständigen Deutschlands“ nennt. Der Mülheimer Student überprüft vom Boden aus das Dach des Gebäudes – und wie sich zeigt, ist das auch dringend nötig.
Familie S. hat den jungen Mann beauftragt. Die Eltern mit zwei Kindern haben hier zur Miete gewohnt und wollten das Mehrfamilienhaus eigentlich kaufen. Einen Preis von 560.000 Euro hatte der Eigentümer ihnen genannt, für rund 350 qm Wohnfläche auf drei Etagen plus 200 qm Garten. Jetzt ist Familie S. froh, dass sie nicht unterschrieben hat. Maurice Böhning deckte massive Schäden auf.
Mülheimer Gutachter untersucht Dach und Fassade per Drohne
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Bilder, die die Drohne vom Dach sendet, lassen unter anderem erkennen, dass sich das Firstband gelöst hat. So kann Regenwasser eindringen. Böhning wirbt für die moderne Diagnosemethode per Flugobjekt: Ein Dachdecker müsse mit einem Gerüst, zumindest mit einem Hubwagen anrücken. So sei es für die Kunden deutlich günstiger. 250 Euro berechnet er für einen kompletten Check der Dach- und Fassadenflächen. Zudem bietet er eine „Monitorisierung“ von Gebäuderissen an, mit denen sich die Bewegungen der Risse exakt aufzeichnen ließen - „auf einen Zehntelmillimeter genau“.
Im Haus, das Familie S. untersuchen lässt, zieht sich die Feuchtigkeit nach Einschätzung des Baugutachters längst durch, vom Dach bis hinunter in den Keller. Auch das Innere des Gebäudes habe er genau inspiziert: „Da herrscht Sintflut. Da sind Wasserschäden, die schon seit mindestens fünf, sechs Jahren bestehen müssen. So ein nasses Gebäude habe ich noch nicht gesehen.“
Noch andere kritische Mängel seien aufgefallen. „Ein Deckenelement droht abzustürzen und müsste sofort saniert werden.“ Die nötige Instandsetzung würde die neuen Besitzer mehr als 150.000 Euro kosten. Der Eigentümer wolle aber beim ursprünglichen Preis bleiben.
„Traumhaus“ hat massive Wasserschäden – Familie verzichtet auf den Kauf
„Wir haben vom Kauf abgesehen“, erklärt der Familienvater, „wir hätten viel zu viel Geld reinstecken müssen.“ Von der Leistung des jungen Baugutachters scheint er sehr angetan. Maurice Böhning stellt 110 Euro pro Stunde in Rechnung, der Kunde findet: „Er arbeitet sehr professionell, das hat sich für uns hundertprozentig gelohnt. Dieses Haus war für Herrn Böhning ein echter Test.“ Die Familie ist mittlerweile umgezogen und erwägt, lieber selber zu bauen.
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Marc Böhning sagt sogar: „Hätte die Familie ohne sachverständige Aussage ihr damaliges Traumhaus über eine Bank finanziert und den gewünschten Preis bezahlt, wäre ihre Existenz stark bedroht gewesen.“
Der Gutachter ist noch neu im Geschäft. Der Mülheimer machte Fachabitur für Bau- und Holztechnik am Berufskolleg, arbeitete in einem Dachdeckerbetrieb und studiert schon seit 2016 Bauingenieurwesen an der Hochschule Ruhr West. Jahrelang habe er bei einem Ingenieurbüro für Instandsetzung gearbeitet, heißt es auf der Website seiner Firma MB Baugutachten, und dort gelernt, „Bauwerksuntersuchungen in Relation zu einem Gutachten zu verstehen und umzusetzen“.
Problem: Theoretisch kann sich jeder Baugutachter nennen
Der 25-Jährige spricht von seiner „Leidenschaft für das Bauwesen“, die ihn 2021 dazu bewog, in die Selbstständigkeit zu gehen. Nach der Flutkatastrophe im vergangenen Sommer habe er im Auftrag einer großen Versicherung umfangreiche Schäden begutachtet. Böhning wirbt offensiv für sich und seine Dienstleistungen. Vor allem der Drohneneinsatz biete „einen riesigen Mehrwert“ für die Kundschaft, „in Bezug auf den Stress und die Finanzen“. Er wolle auch grundsätzlich aufklären: „Ein Baugutachter sollte immer lieber früh als zu spät bestellt werden.“ Andernfalls könnte – siehe Familie S. – ein Hauskauf böse Folgen haben.
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Problem für Kaufinteressenten: Der Beruf „Baugutachter“ ist nicht geschützt. „Theoretisch kann sich jeder so nennen“, bestätigt Johann Stigler, Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Bausachverständiger (BBauSV). Er rät, sich bei der Expertensuche an die Fachverbände zu wenden – es gibt allerdings mehrere, etwa auch den Verband der Bausachverständigen Deutschlands (VBD) oder die Arbeitsgemeinschaft der Sachverständigen für das Bauwesen (ASB).
Auch der Mülheimer Newcomer Maurice Böhning sieht das Problem. „Leute sollten darauf achten, dass Sachverständige zertifiziert sind.“ Er selber gehört nach eigener Auskunft dem Verband freier Bau- und Bodensachverständiger (VfB) an. Dort können nur Personen Mitglied werden, die entsprechende Qualifikationen nachweisen.
Auch andere Mülheimer Firmen setzen schon Drohnen ein
Böhning ist einer von wenigen Baugutachtern in Mülheim, die bereits Drohnen einsetzen, aber nicht der einzige. Beispielsweise bietet diesen Service auch die Firma „Derbaugutachter“ von Wolfgang Holtmann an. Vor rund zwei Jahren habe er eine Drohne angeschafft, berichtet der Diplom-Ingenieur Holtmann, so könne er nicht erreichbare Gebäudestellen untersuchen, auf Gerüst oder Hubwagen verzichten.
Im Gegensatz zu Böhning gehört Wolfgang Holtmann auch zu den öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Schäden an Gebäuden.
Alternative Baumesse geplant
Gemeinsam mit Geschäftspartnern plant Maurice Böhning auch eine alternative Baumesse in Mülheim.Im Gegensatz zu anderen Veranstaltungen soll diese rein informativ sein, Raum für fachkundigen Austausch und Fragen bieten: „Unseren Gästen werden keine Dienstleistungen oder Produkte angedreht.“Zielgruppen seien alle Bauinteressierten, Eigentümer, Studierende, Baufachleute und Arbeitssuchende.Stattfinden soll die Baumesse in der Alten Dreherei, möglichst noch in diesem Sommer.
„Drohneneinsatz ist heute eine gängige Methode“, sagt Otmar Schuster, Chef des renommierten Mülheimer Vermessungs- und Beratungsunternehmens Geohaus. Bislang würden die Aufnahmen noch fotografisch erfolgen, „zukünftig auch per Laser, sobald diese leicht genug sind“. Drohnen würden von Fachleuten unterschiedlichster Art für ihre speziellen Fragestellungen verwendet. „Größere Einsätze mit verketteten Aufnahmen bedürfen des Spezial-Know-Hows (z.B. Koordinatentransformation), was bei Einzelgebäuden nicht benötigt wird.“