Gelsenkirchen. Vera Flüge aus Gelsenkirchen hat ein Hospiz für Hunde aus dem Tierheim. Warum sie das macht und wie sie damit umgeht, ständig Abschied zu nehmen.
Gekommen und zu bleiben – bis zum Lebensende. Das gilt im besten Fall für jeden Hund aus dem Tierheim, der ein neues Zuhause findet. Bei einigen aber ist das Lebensende schon absehbar. Manchmal auch ganz nah. Das sind die Vierbeiner, die bei Vera Flüge einziehen dürfen. Die Bueranerin hat quasi ein kleines Hundehospiz. Große Überraschungen inklusive. Denn aktuell lebt mit Selma der vierte Hund bei ihr. Der schwerkranken Mischlingshündin hat die Tierschützerin im wahrsten Sinne des Wortes ein neues Leben geschenkt.
Vor einigen Jahren, als Vera Flüge aus dem Beruf ausscheidet, beschließt das Paar, einen Hund bei sich aufzunehmen. „Ich habe meinen Mann gefragt, ob er sich vorstellen kann, einem Hospizhund ein Heim zu geben.“ Er kann. Bald wendet sich die Bueranerin an das Gelsenkirchener Tierheim. „Ich habe den Tierheimleiter Thorsten Wiese gefragt, welcher Hund hat keine Chance?“ Dann kommt es zum ersten „Blind-Date“. Keinen der Hunde nämlich, die bislang bei ihr eingezogen sind, hat sie selbst ausgewählt. Das hat das Tierheim erledigt. Einziges Kriterium: Wer braucht am Lebensende noch ein gutes Heim und Liebe.
Yorkshire Benni kam nur zum Sterben
Pointer-Mix Lisa ist die Erste, die am buerschen Stadtrand ein neues Heim findet. „Sie war 14 Jahre alt und voller Schrotkugeln. Sie hat noch elf Monate bei uns gelebt.“ Ein paar Tage später bereits zieht die zwölfjährige Sandy bei dem Paar ein. „Sie war sichergestellt aus schlechter Haltung. Sie war sichtbar misshandelt worden. Sie hat vier Monate durchgehalten.“
Dabei tut das Paar immer alles, was in seiner Macht steht, um das Lebensende so schön wie möglich zu gestalten. „Mit Sandy waren wir sogar bei dem Knochenbrecher Tamme Hanken. Der hat ihr für eine kurze Zeit gut helfen können. Aber er hat es auch vorher gesehen, dass sie irgendwann Probleme bekommt. Er sagte, sie hat hinten mal einen Tritt bekommen.“ So war es dann auch. Der Doggenmischling kommt wenig später nicht mehr hoch, kann das Hinterteil nicht mehr anheben. Zeit, die Hündin gehen zu lassen.
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Kurz darauf zieht der 17-jährige Benni ein, ein Yorkshire-Rüde. „Der war voller Krebs. Der kam nur zum Sterben zu uns und hat nur drei Wochen durchgehalten.“ Vier Wochen lang wartet Vera Flüge auf einen anderen Hund, der sie braucht. Einen alten. Doch da ist nur Selma. „Sie war erst vier Jahre alt. Aber sie hat schwerste epileptische Anfälle. Sie bekommt im Monat 260 Tabletten.“ Bei diesem Hund kommen zwei Sachen zusammen: Damals denken alle, Selma hat keine lange Lebenserwartung. Und es will sie keiner haben. Außer Vera Flüge. Sie lernt, mit den Anfällen umzugehen.
Hündin Selma hat schwere epileptische Anfälle
Die kommen, erzählt sie, in Serien. Mal gehe es monatelang gut. Dann wieder folgt ein Anfall auf den nächsten. „Wenn sie eine Serie hat, dann muss sie in die Klinik. Da wird sie kontrolliert schlafen gelegt in der Hoffnung, dass die Anfälle danach zu Ende sind.“ Das waren sie bislang immer. Dennoch weiß das Paar: „Es kann mit jedem Anfall zu Ende sein. Deswegen haben wir auch nicht damit gerechnet, dass sie so lange lebt.“
Die kleine Hündin ist tough. Sechs glückliche Jahre hat sie nun schon bei Vera Flüge verbracht. Seeluft inklusive. Mittlerweile nämlich hat das Paar auf Texel ein kleines „Chalet“, neudeutsch könnte man auch „Tiny House“ sagen. Dort ist Selma aufgeblüht. „Hier ist sie viel weniger Reizen ausgesetzt. Hier fahren keine Autos am Haus vorbei, keine Busse. Es gibt auch keine Leute, die vorbeilaufen, bei denen sie anschlägt.“ Kurzum, das Tier hat viel Ruhe. „Dadurch geht es ihr deutlich besser.“ Deswegen bleibt Vera Flüge über lange Strecken auf Texel.
Die Motivation: Man muss es fürs Tier tun
Die Idylle aber täuscht die Hundehalterin nicht darüber hinweg, dass es auch ganz schnell gehen kann, dass Selma aus dieser Welt geht. Wie geht man damit um? „Viele Menschen sagen, das könnten sie nie, so oft Abschied nehmen. Die Hauptmotivation muss sein, dass man es für das Tier tut. Deswegen mute ich mir das zu. Das ist der Preis, den ich zahle, dafür, dass es den Hunden gut geht. Mir war immer klar, die Hunde wären alle elendig im Tierheim gestorben. Einfach, weil ein Tierheim das, was wir tun, gar nicht leisten kann.“
Deswegen steht für beide fest, ihre Mission wollen sie fortsetzen. In jedem Fall soll wieder ein Hospizhund einziehen dürfen. „Solange wir können, machen wir das so. Das war nicht nur für vier Hunde so gedacht. Es dürfen auch gerne vierzig werden. Es wird im Tierheim in Erle immer Hunde geben, die unsere Fürsorge brauchen.“