Essen. Große Liebe oder nur ein unverbindlicher One-Night-Stand? Immer mehr junge Menschen nutzen sogenannte Dating-Apps wie Tinder. Das schnelle Kennenlernen per Smartphone benötigt aber jede Menge persönliche Daten. Digitale Partnerbörsen bezweifeln außerdem ein Interesse an festen Partnerschaften.
Auf dem kleinen Smartphone-Bildschirm erscheint ein Bild, weiß umrahmt, einem Polaroid-Foto nachgeahmt. Es zeigt Christian, 24 Jahre alt. Lockige, blonde Haare, Sonnenbrille auf der Nase, auf seinem T-Shirt prangt ein riesiges Katzengesicht. Jetzt die Entscheidung: "Nope" oder "Like" – Interesse zeigen oder lieber nicht?
Dating-Apps wie "Tinder" verbreiten sich derzeit rasend schnell, vor allem unter jungen Menschen. Mit einem Facebook-Profil kann sich jeder, der mindestens 17 Jahre alt ist, kostenlos beim digitalen Flirt-Portal anmelden. Das soziale Netzwerk liefert der App den Vornamen sowie ausgesuchte Bilder und das Alter.
Exakte Standortdaten abrufbar
Ohne Facebook-Account geht es nicht, ebenso wenig wie ohne die genaue Standort-Angabe. Auch die Handynummer ist erforderlich. Zur ersten Anmeldung fragt die App einen Code ab, der vorab per SMS übermittelt wurde. Im eigenen "Tinder"-Profil kann der Nutzer nun angeben, in welchem Umkreis die Flirt-App suchen soll, bis zu 160 Kilometer sind möglich. Die Funktion brachte das Dating-Portal für die mobilen Betriebssysteme Android und iOS im vergangenen Jahr bereits in Schwierigkeiten. Wie das Sicherheitsunternehmen Include Security mitteilte, konnten monatelang die exakten Standortdaten der Mitglieder abgerufen werden. Die Sicherheitslücke wurde gegen Ende des Jahres behoben.
Dennoch, die Standortangabe ist notwendig, nur dann können Nutzer Bilder von anderen "Tinder"-Mitgliedern erhalten. Der erste Blick entscheidet: Per Kreuz ("Nope") oder Herz ("Like") wird die Zu- oder Abneigung bekundet. Erst wenn beide Seiten Interesse aneinander haben, öffnet sich ein Chat-Fenster. Das Kennenlernen kann beginnen. Nach diesem Prinzip arbeitet zum Beispiel auch der kostenlose Flirt-App-Konkurrent "Lovoo": GPS-Suche, Bilder bewerten und Nachrichten schreiben. Mit einem Steckbrief können Nutzer die Mitglieder-Suche jedoch weiter eingrenzen.
Rund 35 Matches pro Tag
Bereits nach kurzer Zeit bei "Tinder" ploppen die ersten gemeinsamen Herzen auf: "Es passt! Du und Tim steht aufeinander", zeigt das Display an. Nach gut einem Tag "tindern" kommen rund 35 sogenannte „Matches“ zustande - heißt, man findet sich attraktiv. Die Auswahl ist groß. Persönliche Nachrichten flackern hingegen nur selten auf. Die einen versuchen es mit einem neutralen „Hi“, mal mit, mal ohne Smiley. Andere gehen direkt in die Offensive: „Hallo, auch auf der Suche nach Spaß?“
Dating-Apps haben schon lange den Ruf, lediglich ein Portal für eine schnelle Nummer zu bieten – ein paar Klicks und schon wird ein Single in der Nähe angezeigt. Das Download-Programm zur "Tinder"-App im Apple App-Store zeigt unter anderem an, dass "Szenen mit erotischen Anspielungen" häufig bis stark ausgeprägt seien. Dennoch: „Auch das Motiv für einen One-Night-Stand ist eine Suche nach Liebe und Nähe“, sagt der bekannte Flirtexperte Phillip von Senftleben. Der Berufsflirter und Autor sieht das unverbindliche Antexten über das Smartphone als Möglichkeit, sein Flirtverhalten zu trainieren. „Sensible Menschen üben auf diese Weise etwa emphatisches Denken, indem sie schnell merken, was beim Flirtpartner gut ankommt und was nicht. Das hilft dann auch enorm beim "normalen" Dating:“ Als Einstieg sei Online großartig, aber "sich mit Worten und vielleicht versandten Bilder abzutasten, kann nur das Vorspiel zu einem echten, physischen Daten sein.“
Fester Partner unerwünscht?
10 Millionen Mal wurde "Tinder" bereits weltweit im Google Play Store heruntergeladen, steht dort auf Platz eins der Dating-Apps neben "Lovoo", "Hot-or-Not" oder "Zoosk". Im Internet fest etablierte Partnerbörsen wie "eDarling" erkennen in den Flirtalternativen sowohl eine Chance als auch eine Gefahr für den Dating-Markt. "Tinder" zum Beispiel „setzt als kostenloses Angebot auch die traditionellen Anbieter unter Druck", sagt David Khalil, "eDarling"-Geschäftsführer. Er findet jedoch auch andere Worte: „Wir finden "Tinder" super und sind vom Erfolg der App sehr beeindruckt.“ Die Online-Partnerbörse grenzt sich stark von Dating-Apps ab, setze unter anderem mit umfangreichen Fragebögen eben auf die Vermittlung langfristiger Partnerschaften.
"ElitePartner"-Geschäftsführer Dr.Jost Schwaner sieht das ähnlich. Apps wie "Tinder" und Co. seien absolut relevant, „weil sie dem Bedürfnis vor allem jüngerer Singles entsprechen.“ Um feste Beziehungen ginge es seiner Meinung nach dabei jedoch nur selten. Auch Marktführer "Parship" sieht die mobilen Alternativen nicht als "eine ernstzunehmende Option und damit Konkurrenz".
Das klassische Flirten stirbt vorerst nicht aus, persönliche Treffen bleiben wichtig, resümiert Flirtcoach Phillip von Senftleben. "Das digitale Flirten ist vielleicht der Beginn der Industrialisierung von Liebe und Flirt." Aber am Ende stehe doch die körperliche Nähe. "Der biologische Aspekt hinter aller Flirterei ist nun einmal der Fortpflanzungsaspekt." Und dieser sei neben dem Überlebenswillen der stärkste Trieb des Menschen.