Bochum. . Anonym unterwegs im Internet – das geht tatsächlich. Wer seine Verbindungen richtig verschlüsselt, bereitet den Überwachern immense Schwierigkeiten.

Im Internet ist niemand sicher; die NSA liest alles mit; schreibe nie Vertrauliches in eine E-Mail. Für uns alle sind das – spätestens seit Edward Snowdens Enthüllungen – traurige Gewissheiten. Das Internet scheint auf die totale Transparenz zuzusteuern, auf die Durchleuchtung aller Individuen, die sich in ihm bewegen. Aber: So ganz stimmt das nicht. Denn es gibt erstaunlich gute Möglichkeiten, sich praktisch unsichtbar im Netz zu bewegen. Auf der sicheren Seite des Internets. Man könnte auch sagen, auf seiner dunklen Seite. Agenten nutzen sie, Menschenrechtler und politisch Verfolgte, aber auch Drogenhändler, Waffenschieber, Auftragsmörder: die Anonymisierung per TOR. Das ist kein kompliziertes Werkzeug für verschrobene Informatiker, sondern eine kinderleicht zu installierende Software. Dauert ein paar Minuten und kostet nichts. Einziger Nachteil: Das Aufrufen von Seiten dauert länger. Sicherheit frisst Sekunden.

Zu den Vätern der sicheren Internet-Verschlüsselung gehören der US-amerikanische Kryptologie-Professor David Chaum sowie die „Cypherpunks“ (Chiffrier-Punks), die sich bereits vor 30 Jahren dem Datenschutz verschrieben. Chaum erforschte früh, wie E-Mails anonym verschickt werden können. Seine Idee: Zwischen den Absender einer Mail und den Empfänger wird ein Sender („MIX“) geschaltet, der eingehende Mails sammelt und in zufälliger Reihenfolge (also gemischt) wieder rausschickt. Die Verfeinerung dieser Methode war, mehrere „MIXE“ hintereinander zu schalten.

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Und die Verfeinerung dieser Ketten-Verschlüsselung ist TOR. Internet-Nutzer können sich die Softwaren unter www.torproject.org herunterladen. Thorsten Holz, Professor für Systemsicherheit an der Ruhr-Uni Bochum, erklärt, was es mit der TOR-Verschlüsselung auf sich hat: „Weltweit gibt es rund 5700 TOR-Server, von denen für jede Web-Anfrage drei nach dem Zufallsprinzip ausgewählt werden. Der Inhalt der Anfrage ist für Beobachter nicht einsehbar, ihre Daten werden verschlüsselt von Server zu Server geschickt. TOR ist die Abkürzung für ,The Onion Router’ (Zwiebelrouter). Wie durch die Schichten einer Zwiebel bewegen sich die Daten durchs Netz, von Tor-Knoten zu Tor-Knoten. Keiner der drei eingesetzten Server erkennt den Absender der Anfrage und gleichzeitig den Empfänger.“ Das Ergebnis ist absolute Sender-Anonymität. Es gilt als sicher, dass US-Geheimdienste und andere staatliche Behörden selbst einige dieser Server betreiben. Aber die Wahrscheinlichkeit, als Nutzer gleich an drei dieser Server gleichzeitig zu geraten, ist minimal.

Die andere Seite der Medaille

Angestoßen wurde das Projekt TOR durch die US-Marine, finanziert wird es durch die US-Regierung und Privatleute. Eine Handvoll Experten, darunter der amerikanische Internet-Aktivist Jacob Appelbaum und britische IT-Experten von der University of Cambridge entwickeln es weiter.

TOR ist nicht gut und nicht böse, sondern nur ein technisches Angebot. Der chinesische Regimekritiker, der Bilder von prügelnden Polizisten aus Tibet schicken will, wird ebenso dankbar sein dafür wie Türken, die die Facebook- und Twitter-Verbote ihrer Regierung umsurfen möchten. Umgekehrt ist so viel Internet-Freiheit ein Alptraum für Assad, Kim Jong-un & Co.

Die andere Seite der Medaille ist rabenschwarz. In den Tiefen des so genannten „Darknets“ hat das Böse viele Kaufläden eröffnet. Versteckte Dienstleister verkaufen Kinderpornografie, Pässe, Falschgeld, Kreditkarten, Crystal Meth oder Granatwerfer.

Waffen, Falschgeld, gestohlene Kreditkarten 

Im „Hidden Wiki“ , einem Internetseiten-Verzeichnis, findet man die Adressen dieser Dienste. Ihre Adresse endet auf „.onion“ – ein Hinweis auf den Zwiebelrouter. Das berühmte Wikileaks ist dabei und Riseup.net, das politische Aktivisten nutzen. Daneben gibt es Dutzende Seiten, deren Namen für sich sprechen: UK Guns, Drug Market, Counterfeit USD (gefälschte Dollar)... Und in der tiefsten Schmuddelecke des dunklen Internets hat sich die sexuelle Perversion eingerichtet.

Crack, Heroin, Cannabis

Die düsteren „Hidden Services“ sind das Werk zwielichtiger Gestalten wie Ross Ulbricht. Der betrieb unter dem Decknamen „Grausamer Pirat Roberts“ (Dread Pirate Roberts) zwischen 2011 und 2013 das Verkaufsportal „Silk Road“ (Seidenstraße), eine Art Amazon oder Ebay für Drogen und andere verbotene Waren. Der „Pirat“, von manchen als Netz-Anarchist und Freiheitskämpfer bewundert, wurde mit diesem Geschäft in kürzester Zeit reich. Denn ihm gelang die Kombination zwischen dem anonymen Anbieten einer Ware und dem ebenso anonymen Bezahlen mit einer virtuellen Währung. Bei jedem Kauf von Heroin, Crack oder Cannabis über die Plattform „Silk Road“ floss Geld auf Ulbrichts Internet-Konten. Insgesamt soll allein auf diesem versteckten Markt über eine Milliarde Dollar umgesetzt worden sein.

Prof. Holz: „Bitcoin ist eine elektronische Währung, die nicht von einer echten Bank, sondern de­zentralisiert mittels eines Peer-to-Peer-Netzwerkes im Internet erzeugt und mit digitalen Signaturen verschlüsselt wird.“ Wie jede Währung, lebt der Bitcoin von der Akzeptanz der Nutzer. Und die wird immer größer. Es ist möglich, mit Bitcoins Waren im Internet zu kaufen, und es ist möglich, Bitcoins in „echte“ Dollar oder Euro zu verwandeln. „Inzwischen gibt es sogar Geldautomaten, zum Beispiel in Berlin und Vancouver, an denen man Bitcoins eintauschen kann“, sagt Thorsten Holz. Ein Bitcoin entspricht derzeit rund 460 Euro.

Ross Ulbricht, heute 30, sieht aus wie einer, der kein Wässerchen trüben kann: ein schüchterner junger Mann aus Texas, studierter Physiker, dem es furchtbar unangenehm ist, im Mittelpunkt zu stehen. Seine Kurzzeit-WG-Mitbewohner in New York beschrieben den Physiker aus Texas als „freundlich“ und „still“.

Am Ende der Seidenstraße 

Hinter der Fassade verbirgt sich ein anderer Ross Ulbricht: der Manager des erfolgreichsten Drogen-Umschlagplatzes im Internet. Einer, der nicht einmal vor Auftragsmord zurückschreckt, als ihn ein Mitarbeiter ungefragt um Bitcoins erleichtert. Einer, der sein Geschäft in den Monaten vor seiner Festnahme immer ungenierter betreibt.

Im Oktober 2013 verhaftet das FBI den „Grausamen Piraten“ in einer öffentlichen Bibliothek in San Francisco. Ulbricht hatte Spuren hinterlassen. Nicht im sicheren „Darknet“, sondern in dem Bereich, in dem das Internet sehr öffentlich ist. Der Cyber-Dealer warb immer offensiver für seine Plattform, arbeitete mindestens einmal mit seiner echten Mail-Adresse, vernetzte seinen Google+-Account mit illegalen Seiten, und der angebliche Killer, den er kaufen wollte, war ein FBI-Agent.

Das Ende von Ulbrichts „Seidenstraße“ stimmte Ermittler in den USA und Großbritannien euphorisch.

Es gab in der Folge weitere Festnahmen, und der britische Chefermittler Keith Bristow schwang sich zu einer kühnen Ansage auf: „Das versteckte Internet kann sich nicht verstecken, es gibt keine Anonymität. Wir finden Euch, wir wissen, was Ihr tut, und wir kriegen Euch.“

Vieles spricht dafür, dass Bristow damit falsch liegt. Aus den Snowden-Dokumenten geht auch hervor, wie schwer sich die NSA damit tut, die TOR-Verschlüsselung zu knacken. Die „Hidden Services“ blühen und gedeihen. Den US-Behörden gelingt es offenbar nicht, den Geist, den sie selber aus der Flasche ließen, wieder einzufangen. Es dauerte nur wenige Wochen, bis eine zweite Version von „Silk Road“ an den Start ging.

Auch Niederländer im dunklen Netz

Niederländische und deutsche Ermittler nahmen im Februar 2014 vier Betreiber des illegalen Internet-Verkaufsportals „Utopia“ fest. Sie hatten unter anderem Drogen und Waffen verkauft. Die Server für ihre kriminellen Aktivitäten standen in Bochum und Düsseldorf. In Bad Nauheim verhafteten Beamte des BKA im Anschluss den 21-Jährigen deutschen Mitbetreiber von „Utopia“. Gegen ihn lag ein Haftbefehl der niederländischen Behörden vor. Zeitgleich verhafteten niederländische Polizisten zwei Männer in Enschede, 30 und 31 Jahre alt, und einen 29-Jährigen in Utrecht Die Männer sollen nicht nur das Portal „Utopia“, sondern auch dessen Vorgänger „Black Market Reloaded“ entwickelt und verwaltet haben. Die Polizei stellte Bitcoins im Wert von 500.000 Euro sicher.

Ein erster Verdächtiger (46) war der niederländischen Polizei bereits Im Oktober 2013 ins Netz gegangen. Der Mann brachte die Behörden auf die Spur des blühenden Internet-Handels. „Black Market Reloaded“ hatte den Ruf, noch skrupellosere Kunden zu bedienen als „Silk Road“. Es galt als Portal für Kunden, die „keinerlei Moralvorstellungen“ haben. Vieles deutet darauf hin, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist. BKA-Sprecherin Marianne Falasch zu dieser Zeitung: „Es gibt definitiv andere Darknet-Portale, ganz klar.“

Viele Dollar aus den Bitcoins machen

Fest steht, dass im Darknet viel Geld zu verdienen ist. Eine erste Versteigerung von 30.000 Bitcoins, die auf „Silk Road“-Servern lagerten, erbrachte in diesem Sommer einen Erlös von 19 Millionen Dollar für die US-Behörden. Weitere Versteigerungen folgen. Es heißt, dass noch 140.000 Bitcoins aus den Beständen von Ross Ulbricht vorhanden sind.