Essen. Mit Fernwartungssoftware können Hacker auf Privatcomputer zugreifen und sie von außen steuern. Über die Webcam des Rechners gelangen dann intime Aufnahmen aus den Wohnungen der Opfer ins Internet. Diese Art von Computer-Kriminalität nimmt auch in Nordrhein-Westfalen immer weiter zu.

Der kleine Junge in dem Video ist vielleicht fünf, sechs Jahre alt. Er hat strohblondes Haar, ein rundliches Gesicht. Er sitzt vor einem Computer, im Hintergrund ist das Wohnzimmer seiner Eltern zu sehen. Plötzlich flackert auf dem Bildschirm eine Horrormaske auf. Es ist diese Puppe mit dem weißen Gesicht und den tiefen Augenhöhlen aus dem Film Saw. Der kleine Junge schreit, rennt weinend weg.

Wie unzählige Computer weltweit ist auch der des Jungen oder seiner Eltern gehackt worden. Von Menschen, die sich im Internet, in einschlägigen Foren oder unter ihren Youtube-Videos, damit brüsten. Ihre Opfer nennen sie "Sklaven" und prahlen damit, wie viele sie haben, dass sie ihnen hörig seien und wie sie sie schikanieren. "Yeah, ich habe gerade meinen 500. Sklaven", gibt etwa einer an.

Die Hacker haben vollen Zugriff - auf Webcam, Fotos, Videos

Mit Fernwartungssoftware, einem sogenannten Remote Administration Tool (RAT), können die Hacker, Ratter nennen sie sich oft selbst, auf die Privatrechner zugreifen. Ist der Computer einmal geknackt, haben die Eindringlinge den vollen Zugriff - etwa auf die Webcam. Sie können Fotos und Videos stehlen, die auf dem Computer abgespeichert sind, und im Internet hochladen. Sie dringen in das Privatleben der Menschen ein.

Ein Franzose, dunkle Locken, mittleres Alter, sitzt in seiner Küche. Er blickt auf seinen Laptop, direkt in die Webcam. Dann schreckt er zurück. Auf dem Bildschirm erscheint ein Foto von ihm mit dem Untertitel "Tu pues comme un tas de chien." - "Du stinkst wie ein Hundehaufen." Zuvor hatte der offenbar deutsche Hacker extra französische Schimpfwörter im Internet gesucht. Ratting, so nennen die Hacker ihr fragwürdiges "Hobby", gibt es also auch in Deutschland.

Innenminister Jäger: "Cybercrime ist die Kriminalität von heute."

Computer-Kriminalität nimmt auch in NRW immer weiter zu: 22.228 Fälle registrierte das Landeskriminalamt im vergangenen Jahr in NRW. Davon alleine 4373 Fälle von Ausspähen und Abfangen von Daten. Damit hat das Delikt um 34,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zugenommen. "Cybercrime ist die Kriminalität von heute", sagte NRW-Innenminister Ralf Jäger anlässlich der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik 2012. Und offenbar werden auch immer öfter Privatleute Opfer.

Auf dem braunen Sofa sitzt eine Frau mit langen braunen Haaren und einem gestreiften Oberteil, neben ihr ein Mann. Ein Kind spielt in dem Wohnzimmer, es läuft umher. Die Frau nimmt einen Schluck aus einer Getränkedose. Plötzlich fängt ihr Computer an zu sprechen: "Hallo Leute, checkt bitte den Computer." Die Frau springt auf, läuft auf den Betrachter zu. "Schau' dir das an", flüstert sie dem Mann verängstigt zu.

"Raus aus meinem Computer! Ich rufe das FBI!" 

"Raus aus meinem Computer", schreit der Mann, es ist ungefähr Mitte 30, Glatze, schmales Gesicht. "Raus aus meinem Computer!" Der Ratter öffnet einen obszöne Film auf seinem Rechner und spielt die Bilder auf den Bildschirm seines Opfers. Der Mann blickt verstört. Er schreit, dieses Mal noch lauter: "Raus aus meinem Computer! Ich rufe das FBI!"

Wie die Hacker an die Opfer gelangen? Um einen Computer zu infizieren, muss die entsprechende Person nur dazu gebracht werden, eine Datei auszuführen, so schreibt Nate Anderson, stellvertretender Chefredakteur von Ars Technica in einem Artikel. Anderson meint, das sei so einfach, man dürfe diese Leute eigentlich nicht Hacker nennen.

Über Chatrooms, Dating-Seiten und Tauschbörsen gelangen sie an die Opfer

Wer sich in einen fremden Privatrechner einklinken will, findet auch dazu im Internet jede Menge Tipps. In Youtube-Videos zum Beispiel. So werden etwa in Chatrooms Bilder zum Download angeboten. "Ich habe über Dating-Seiten 30 Sklaven in einer Nacht bekommen", brüstet sich ein Ratter. Oft versteckt sich die Software auch hinter Musik- oder Filmdateien in Tauschbörsen. Noch perfider: Unter einigen Youtube-Videos der Ratter fragen Nutzer nach, ob sie die "Sklaven" kaufen könnten.

RAT-Software ist nicht neu. Die Fernwartungssoftware wird in vielen Unternehmen eingesetzt, damit bei PC-Problemen der Anwender direkt auf den Computer zugegriffen werden kann.

Hämische und obszöne Kommentare zu den Videos

Die junge Frau liegt im schwarzen Jogginganzug auf dem Sofa. Ihren Kopf stützt sie mit der Hand ab. Sie wirkt müde. Sie blickt auf ihren Laptop. Was sie nicht ahnt: Ein Unbekannter schaut ihr zu. Er beobachtet sie, nimmt sie auf und stellt das Video ins Internet. Darunter gibt es dann hämische bis obszöne Kommentare.

Frauen scheinen besonders häufig Opfer von Rattern zu werden. Im Blog Kotaku wird etwa davor gewarnt, dass die Ratter über das Spiel "The Sims 3" an ihre weiblichen Opfer herankommen.

Wie kann man sich vor den Angriffen schützen? Anderson rät zum Beispiel zum regelmäßigen Update der Anti-Viren-Software. Auch empfiehlt er, nicht zweifelhafte Foren oder Tauschbörsen zu besuchen und keine unbekannten Anhänge an E-Mail zu öffnen.