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Der berühmte Watergate-Enthüller Bob Woodward traf sich mit seiner geheimen Quelle „Deep Throat” noch in einer Tiefgarage, um an Informationen zu kommen. Seit Ende 2006 gibt es eine virtuelle Tiefgarage. Auf Wikileaks kann man Geheimes im Schutz der Anonymität veröffentlichen.

Mit der Enthüllung des Videos, das ein Blutbad von US-Truppen an irakischen Zivilisten in Bagdad zeigt, ist das Onlineportal plötzlich weltberühmt. Allerdings ­werfen die Macher mit ihrer virtuellen Kronzeugenregelung bereits seit Ende 2006 ein wenig Licht in die schummrigen Hinterzimmer der Macht.

Die Liste brisanter Ver­öffentlichungen ist prominent: Handlungsanweisungen für das US-Gefangenenlager Guantanamo; Unterlagen, die Steuertricks der Bank Julius Bär offenbaren; Scientology-Dokumente. Nach Infor­mationen der Süddeutschen Zeitung soll eine Veröffent­lichung von tausenden Mails der NPD bevorstehen.

Kein Geld von Unternehmen

Welche Folgen ein Leck – so die deutsche Übersetzung für das englische Wort „leak“ – auslösen kann, zeigt sich auch in Deutschland. Im Zuge des Bombenangriffs im afghanischen Kundus fand ein Feld­jäger-Bericht über Wikileaks den Weg in die Öffentlichkeit. Ein Minister trat zurück, ein zweiter muss sich im Unter­suchungsausschuss unangenehmen Fragen stellen.

Afghanistan spielt auch bei einer der jüngsten Wikileaks-Enthüllung die zentrale Rolle. Ein als CIA-Memorandum gekennzeichnetes Dokument beschäftigt sich mit der Frage, wie man in Deutschland die öffentliche Meinung so beeinflussen kann, dass der deutsche Beitrag zum Nato-Einsatz nicht gefährdet wird. Darin wird der Kundus-Luftschlag als Problem gesehen, weil Kanzlerin Merkel gerade mit Blick auf die Wahl in NRW beim Ausbau des deutschen Beitrags zögern könnte.

Kein Wunder, dass der amerikanische Geheimdienst Wikileaks als Problem betrachtet. Den Strategieplan, wie man das Projekt unglaubwürdig machen will, hat Wikileaks selbst veröffentlicht...

„Wir lassen uns nicht einschüchtern”, betont der deutsche Sprecher Daniel Schmitt im Gespräch mit der WAZ. Sein Name ist ein Pseudonym, das er sich zulegte, als die Bank Julius Bär Privat­ermittler auf ihn ansetzte, um die undichte Stelle zu finden.

Brisante Dokumente frei Haus - täglich

Diese Art der Beobachtung sorgt ihn weniger als ein anderes Problem: Das Projekt ist nicht gewinnorientiert, es nimmt kein Geld von Unternehmen, geschweige denn von Regierungen. „Privatspenden sind unsere einzige Einnahmequelle”, so Schmitt, der selbst vom Ersparten lebt. Weil die Kosten in der Vergangenheithöher waren als die Ein­nahmen, ging Wikileaks für einige Wochen vom Netz, um Spenden zu sammeln. 350 000 Euro kamen zusammen.

Prof. Volker Lilienthal vom Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung an der Uni Hamburg hält eine Einrichtung wie Wikileaks grundsätzlich für nützlich, „eine freie Gesellschaft muss es aushalten, dass ein Amts­geheimnis verletzt wird”. Allerdings müsse man sich bei einer Veröffentlichung immer auch die Frage nach den möglichen Folgen stellen.

Für Schmitt ist eine gewünschte Folge Gerechtigkeit. Und er hofft, dass mehr Menschen diesen Gerechtigkeitssinn entwickeln und sich einmischen. „Es gibt so viele Vorgänge und Entscheidungen, die viel mehr Sonnenlicht vertragen können.”

Der Anfang scheint gemacht. Seit Dezember erhält Wikileaks laut Schmitt rund 30 Einsendungen mit Unterlagen – pro Tag.