Essen. . Wer online anonym bleiben will, nutzt das Darknet. Es bietet Menschenrechtlern Schutz, aber auch Kriminellen. Das Land beschäftigt 100 Spezialkräfte.

Wie dunkel ist die Schattenseite des Internets? Seit dem Amoklauf in München mit neun Opfern, für den sich der Täter Ali S. eine Waffe anonym im sogenannten Darknet besorgt hatte, wird die Gefahr verschlüsselter Kommunikationsdienste im Internet neu diskutiert. Bundes- und Landeskriminalamt setzen auf Spezialisten, die Drogenhändler und Kinderpornografie im Darknet verfolgen. Netzpolitiker mahnen indes, die Technologien dürften nicht rundweg verteufelt werden, weil sie vor dem Ausspähen schützen.

Darknet.png

Im regulären Internet bleibt nichts unbemerkt. Jeder Nutzer bekommt beim Einloggen eine Nummer, IP-Adresse genannt. Mit dieser Nummer kann im Fall einer Straftat ermittelt werden, wo ein Computer steht. Anders im Darknet: Die Nutzer verbinden ihre Computer über spezielle Technologien, so dass eine IP-Adresse kaum noch zurückzuverfolgen ist. Herunterladen kann diese Dienste jeder, die Netzwerke sind quasi abgeschottet: Der Einzelne bleibt unentdeckt, die Kommunikation ist verschlüsselt. Tibor Jager vom Horst Görtz Institut für IT-Sicherheit an der Ruhr-Uni Bochum, einem der europaweit größten Institute in diesem Spezialbereich, sagt: „Das Darknet ist eine Art Club, an dem jeder teilnehmen kann.“

85 Verfahren wegen Waffenhandels

Auch Kriminelle bedienen sich genau dieses Schutzes, um Schwarzmärkte im Internet aufzubauen – dort werden kinderpornografische Inhalte angeboten, Drogen gehandelt und auch Waffen. Laut Bundeskriminalamt (BKA) liege die An­zahl dieser Fälle zwar noch auf einem niedrigen, nicht näher bezifferten Level, gleichwohl steige sie. Aktuell laufen allein 85 Verfahren gegen Verdächtige, die im Darknet Waffen oder Sprengstoff anboten.

In Nordrhein-Westfalen beschäftigt sich eine Sondereinheit des Landeskriminalamts Köln (LKA) mit Kriminalität im Netz, englisch Cybercrime, und auch dem Dark­net. Rund 100 Polizisten, IT-Forensiker und Ingenieure ermitteln verdeckt in sozialen Netzwerken wie Facebook, aber auch auf digitalen Schwarzmärkten nach Drogenhändlern und Sexualstraftätern. Dabei steuern sie gezielt Seiten an, die eine Suchmaschine wie Google nie finden würde. Wie die Beamten konkret online auf Streife gehen, verrät LKA-Sprecher Frank Scheulen aus taktischen Gründen nicht. Aber er gesteht ein: „Verschlüsselte Kommunikationen stellen uns immer wieder vor Schranken.“

40 Millionen Euro Schaden

Auch außerhalb des Dark­nets gibt es Kriminelle, die das Internet für Computerbetrug nutzen: Das Bundeskriminalamt (BKA) dokumentiert einen Schaden von über 40 Millionen Euro durch 45 793 solcher Fälle für das Jahr 2015 – etwa acht Prozent weniger als 2014. Für NRW nennen die Cybercrime-Experten des Landeskriminalamts Köln 16 645 Fälle und damit etwa 20 Prozent weniger als 2014. Die Dunkelziffer liege weitaus höher, betonen die Behörden: Privatpersonen merkten es oft nicht, dass sich ein schadhaftes Programm auf dem Rechner befindet, Firmen würden aus Sorge um Imageverlust Hackerangriffe oft nicht melden. BKA-Chef Holger Münch appelliert: „Wir brauchen die Strafanzeigen der Bürger.“

Als einfachsten Schutz rät der IT-Sicherheitsexperte Tibor Jager bei der E-Mail oder Internetseite zu ei­ner guten Portion Skepsis: „Laden Sie keine Programme von nicht vertrauenswürdigen Quellen herunter und überlegen Sie genau, wo Sie welche Daten eintippen.“ Bankdaten etwa könnten gestohlen und für Online-Überweisungen genutzt werden, was Phishing genannt wird.

Beispielhaft erzählt er von dem Fall eines etwa siebenjährigen Jungen im Käfig, dessen Foto in einem Netzwerk für Kinderpornografie aufgetaucht war. Eineinhalb Jahre haben Ermittler die Spur durchs dunkle Netz verfolgt, das Computer in ganz Europa gespannt hatten. „Am Ende stand der Rechner in Alabama, das Kind wurde gerettet.“

Angesichts solcher Fälle warnen Akkteure des Chaos Computer Clubs vor einer Verteufelung des Darknet. Denn dessen Kern sei ein positiver, sagt Sprecher Falk Garbsch. „In repressiven Staaten bieten Verschlüsselungen Menschenrechtlern Schutz. Reporter können so sicher mit ihren Quellen kommunizieren.“

Er erinnert an die Enthüllungen des Ex-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden im Jahr 2013, der veröffentlichte, dass Nachrichtendienste E-Mails unbescholtener Bürger mitlesen können. „Das könnte auch ein Telefonanbieter.“ Verschlüsselungen böten einen Schutz der Privatsphäre. Den Anteil der Kriminellen im Darknet schätzt Garbsch als so gering ein, „dass sie gar nicht auffallen“. „Internetkriminalität gibt es, aber auch im normalen Netz.“

Internetspezialist Tibor Jager vom Bochumer Horst Görtz Institut für IT-Sicherheit meint deshalb sogar, der Name „Darknet“ sei unglücklich: „Aus Marketinggesichtspunkten ist er schlecht gewählt, weil das Darknet erst einmal eine Technik ist, die an sich nicht gut oder böse ist.“