Wuppertal/München. Die Gefahr, durch einen Stich zu erkranken ist bei uns gestiegen, sagt ein Forscher. Er nennt Zecken ein „Erfolgsmodell der Evolution.“

Das zeitweise sehr warme Wetter dieses Frühjahrs hat die Zeckensaison bereits früh starten lassen - schon im Februar. Dass es jüngst in NRW noch mal Winterwetter gab mit teils frostigen Temperaturen hat keinen großen Einfluss auf ihre Aktivität. „Zecken sind gefährlich“, warnt die Wuppertaler Zoologin Prof. Gela Preisfeld: „Sie übertragen weit mehr Krankheiten als jede andere Gruppe der Gliedertiere.“

„Weithin bekannt ist, dass Zecken FSME auslösen können und Lyme-Borreliose.“ Doch Preisfeld nennt „viele weitere bakterielle und virale Infektionen, die durch Zecken übertragen werden können: zum Beispiel Typhus, Mittelmeer-Zeckenfieber, Krim-Kongo-Fieber, Babesiose und die humane granulozytäre Anaplasmose“, letzteres eine Infektionskrankheit, bei der das Robert-Koch-Institut (RKI) davon ausgeht, dass es eine hohe Dunkelziffer bei Erkrankungen bei uns gibt.

Zecken: Warum die Impfung gegen FSME empfohlen wird

Borreliose kann laut RKI Nervenschäden auslösen, leichte Lähmungen, auch Herzentzündungen sind möglich. Gegen Borreliose helfen Antibiotika. Noch gefährlicher ist FSME - Frühsommer-Meningoenzephalitis, die in ganz geringen Fällen sogar tödlich enden kann.

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Bei FSME können lediglich Symptome behandelt werden, aber man kann das Erkrankungs-Risiko senken, in dem man sich gegen FSME impfen lässt. Krankenkassen übernehmen die Kostenfür die Impfung in der Regel, wenn man in einem Risikogebiet lebt oder nachweisen kann, dorthin zu reisen.

Ist man erkrankt, „kann es nach drei bis 28 Tagen, im Durchschnitt acht Tage nach dem Stich einer infizierten Zecke zu einer ersten Krankheitsphase mit grippeartigen Symptomen, Erbrechen, Schwindelgefühl und mäßigem Fieber kommen“, erklärt das österreichische Gesundheitsministerium auf seiner Website: „Darauffolgend ist eine relativ beschwerdefreie Phase von etwa einer Woche möglich, nach der es zu einem weiteren Befall des zentralen Nervensystems mit Symptomen wie Kopfschmerzen, Lichtscheu, Schwindel, Konzentrations- und Gehstörungen für Wochen oder Monaten kommen kann.“ Bei etwa zwei Dritteln der Patienten treten Lähmungen der Arme, Beine oder Gesichtsnerven auf und es komme zu bleibenden Behinderungen.

Experte warnt: FSME kann nicht nur in Risikogebieten auftreten

Das Risiko, sich über einen Zeckenstich mit FSME anzustecken, sei bereits im vergangenen Jahr gestiegen, sagt Forscher Gerhard Dobler, Leiter Nationales Konsiliarlabor für FSME am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München. Seit 20 Jahren beschäftigt sich Dobler mit Zecken und gilt als der Experte in Deutschland zu zeckenübertragenen Viren.

Zecken lauern mit aufgestelltem Vorderbein auf Beute und lassen sich dann bei Berührung abstreifen. Von Bäumen fallen sie nicht.
Zecken lauern mit aufgestelltem Vorderbein auf Beute und lassen sich dann bei Berührung abstreifen. Von Bäumen fallen sie nicht. © dpa | Patrick Pleul

Vor allem in den Risikogebieten, wie dem gesamten süddeutsche Raum und auch z.B. Österreich, Italien oder der Slowakei. In NRW gilt aktuell nach der Definition des Robert-Koch-Instituts (RKI) nur die Stadt Solingen als FSME-Risikogebiet. Vor drei Jahren war es auch mal die Düsseldorf. Weil sich FSME-Fälle dort auffällig gehäuft hatten und die Krankheit meldepflichtig ist. Dobler aber warnt: „FSME kann in ganz Deutschland auftreten.“

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„Die insgesamt milden Winter führen dazu, dass mehr Zecken überleben und damit im Frühjahr aktiv werden können“, sagt Dobler. In NRW sind nach Auskunft des Landeszentrums Gesundheit (LZG) in Bochum in diesem Jahr bis dato - Ende April - noch keine FSME-Fälle gemeldet worden. 2023 waren es insgesamt sieben, 2022 waren es neun. „Das heißt aber nicht, dass sich die Erkrankten auch in NRW angesteckt hatten“, erklärt ein LZG-Sprecher. Erfasst würden die Daten nach Wohnort. Nach Angaben von Gela Preisfeld waren im vergangenen Jahr 27 FSME-Fälle außerhalb der Risikogebiete gezählt worden.

Zecken bei Stich „unbedingt aus der Haut ziehen“

Bundesweit wurden 2023 insgesamt 475 FSME-Erkrankungen gemeldet. Am höchsten sind die Fallzahlen in Süddeutschland: In Bayern gelten 94 der 96 Städte und Landkreise als FSME-Risikogebiet. „In den Rekordjahren 2017 bis2020 sowie 2022 und 2023 wurden jeweils über 200 Infektionen für Bayern gemeldet“, teilt das dortige Landesgesundheitsamt mit. In Baden-Württemberg wurden 2023 insgesamt 125 FSME-Fälle gemeldet. Ein 54-Jähriger starb gar an FSME. Mehr als 91 Prozent der Erkrankten seien ungeimpft gewesen, berichtet das dortige Landesgesundheitsamt. Bereits in diesem März wurden in Bayern fünf und in Baden-Württemberg ein neuer FSME-Fall gemeldet.

„Panik hilft uns nicht weiter“, sagt Gela Preisfeld: Mag das Risiko, durch einen Zeckenstich schwer zu erkranken in NRW eher niedrig sein, sollte man sich dennoch mit der Bedrohung beschäftigen: „Also schützende Kleidung wählen, wenn man sich in Wald und Flur aufhält und Pflege der Haustiere, sowie eventuell Schutzmaßnahmen ergreifen durch pharmazeutische oder natürliche Mittel.“

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Merkt man, dass eine Zecke in der Haut steckt, warnt die Wuppertaler Zoologin: „Sie müssen unbedingt herausgezogen werden“ - möglichst schnell und ohne dass der Kopf abreißt. Dazu geeignet sind etwa Zeckenkarten, die in Apotheken erhältlich sind, oder Pinzetten, auf keinen Fall aber Klebstoff oder ähnliches, weil die Tiere dann in ihrem Todeskampf nur noch mehr Viren absondern.

Zecken können auch für Haustiere gefährlich sein, etwa Hunde

Auch wenn nur zwischen 0,5 und 5 Prozent der Zecken FSME-Viren in sich tragen, sie werden bereits mit dem Stich in die Blutbahn übertragen, erklärt das RKI. Bei Borreliose-Bakterien muss die Zecke mehrere Stunden in der Haut stecken, bis sie übertragen werden. Trotzdem gilt auch hier: Nach dem Aufenthalt in der Natur am besten den Körper auf Zecken absuchen, gründlich.

NRW und Norddeutschland gelten so gut wie nicht als Zecken-Risikogebiet. Dennoch warnen Experten: Man kann sich überall mit FSME anstecken, die Wahrscheinlichkeit ist nur unterschiedlich hoch.
NRW und Norddeutschland gelten so gut wie nicht als Zecken-Risikogebiet. Dennoch warnen Experten: Man kann sich überall mit FSME anstecken, die Wahrscheinlichkeit ist nur unterschiedlich hoch. © dpa | Patrick Pleul

Zecken können winzig sein, man sieht sie nicht leicht auf der Haut, zumal sie sich gerne an weniger sichtbare Stellen am Körper verkriechen bis sie zustechen: „Der Gemeine Holzbock wird zwischen 2,5 und 4 Millimeter groß, Nyphmen und Larven, die auch Blut saugen, zwischen 1 bis 1,5 Millimeter, erkärt Gela Preisfeld. Hylomma-Zecken, die über Zugvögel aus Afrika und Südeuropa eingeschleppt werden, sind etwa zwei Zentimeter groß und können unter anderem das Krim-Kongo-Fieber übertragen. Bisher sind sie bei uns nicht heimisch, sagt Forscher Gerhard Dobler.

Auch für Haustiere - besonders Hunde - können Zecken gefährlich sein, sagt Preisfeld. Hundehalter sollten Tiere deshalb immer sorgfältig auf Zecken hin absuchen. Denn Zecken könnten auch Hundemalaria auslösen; diese „Babesiose“ führe zur Zerstörung der roten Blutkörperchen und könnte tödlich enden, „wenn man sie nicht behandelt.“ Hunde könnten auch Borreliose bekommen, sagt Preisfeld - „man merkt es nur schwerer als beim Menschen: Harn kann sich rot verfärben.“

Trockene Sommer haben auch ihr Gutes - Zecken sterben ab

Inwieweit sich der Klimawandel auf die Zecken-Population auswirkt, „ist Spekulation“, meint Gerhard Dobler: „Die trockenen Sommer führen in den letzten Jahre zu einem verstärkten Absterben der im Frühjahr hohen Zecken-Populationen“, erklärt der Zecken-Experte. „Insgesamt gibt es im Frühjahr mehr Zecken und viele davon sterben im Sommer durch die Trockenheit. Damit bleibt die Zahl der Zecken insgesamt gesehen weitgehend gleich.“

Je nach Zeckenart werden die Tiere bei unterschiedlichen Temperaturen aktiv, sagt Dobler: „Wir rechnen damit, dass der Holzbock ab etwa 5 °C aktiv wird. Die Auwaldzecke wird aktiv, sobald die Temperatur über 0°C liegt und kein Schnee vorhanden ist.“ Meist seien Zecken am Morgen und in der Nachmittags-/Abendstunden aktiv, „wenn die Luftfeuchtigkeit entsprechend ist. An nicht so heißen Tagen ganztägig“, sagt Dobler: „Wenn die Temperatur zu hoch wird, dann sinkt die relative Luftfeuchtigkeit. Der Holzbock ist bei einer Luftfeuchtigkeit unter 85 Prozent nicht aktiv.“

Für die Wuppertaler Zoologie-Professorin Gela Preisfeld sind Zecken aber nicht nur Plagegeister, sondern haben „in der Natur auch ihren Sinn: Als Parasiten halten sie Populationen klein, bzw. regulieren diese, etwa bei Rehen oder Wildschweinen und anderen Waldbewohnern“, sagt Preisfeld. Und: „Es wird daran geforscht“, sagt die Wissenschaftlerin der Bergischen Universität: „Viele potentielle Arzneistoffe könnten dank Zecken entwickelt werden.

Forscherin: Auch Zecken haben Fressfeinde in der Natur

Fressfeinde haben Zecken übrigens auch, erklärt Preisfeld: „Vögel und andere kleine Tiere. Und dann werden sie selbst von Parasiten befallen, wie kleinen Fadenwürmern oder Erdwespen.“ Gehen Zecken auf Jagd, dann sitzen sie im Unterholz und auf Gräsern in Wiesen und lauern mit aufgestelltem Vorderbein“, beschreibt Gela Preisfeld: „Man streift sie beim Vorbeigehen ab, sie laufen nicht auf einen zu und attackieren, außer der Hyalomma-Zecke, die können sehen und laufen aktiv auf die Beute zu.“

Dass Zecken Beute finden, liegt am „Hallerschen Organ“, erklärt Gela Preisfeld: „Eine Ansammlung von unter anderem Chemorezeptoren an ihren Vorderbeinen, mit denen sie Kohlendioxid, Ammoniak, Schwefelwasserstoff oder in Atem oder Schweiß ihrer Wirtsarten befindliche Substanzen wahrnehmen. Weitere chemorezeptorischer Sinneshaare auf den Tastern. Auch Erschütterungen, Wärme, Berührung können Zecken wahrnehmen“, sagt Preisfeld.

Den Stich einer Zecke merkt man nicht, zumal Zecken am Körper Stellen aufsuchen, die schwer einzusehen sind;  zum Beispiel in den Kniekehlen, Achselhöhlen oder auf dem Kopf geschützt von Haaren.
Den Stich einer Zecke merkt man nicht, zumal Zecken am Körper Stellen aufsuchen, die schwer einzusehen sind; zum Beispiel in den Kniekehlen, Achselhöhlen oder auf dem Kopf geschützt von Haaren. © ZB | Patrick Pleul

Biologen gehen davon aus, dass es weltweit etwa 900 Zeckenarten gibt, die meisten davon zählen zu den „Schildzecken“, wie etwa der bei uns weit verbreitete „gemeine Holzbock“, sagt Gela Preisfeld. In Deutschland spielen hauptsächlich nur drei Gattungen eine Rolle in Bezug auf Krankheitsübertragung: Taubenzecken, Braune Hundezecke und die Gattung der Holzböcke. Insgesamt kommen hier 15 Arten vor“, erklärt Preisfeld.

Zecken sind seit der Dino-Zeit bis heute „fast unverändert“

Eine Zecke kann drei bis fünf Jahre alt werden. Während Männchen nach der Paarung sofort sterben, legen Weibchen zuvor noch die Eier ab, die dann eine mögliche Infizierung an die nachfolgende Generation weiter geben.

Für Gerhard Dobler sind Zecken „ein Erfolgsmodell der Evolution.“ Denn es gibt sie seit ca. 350 Millionen Jahren. Und seit etwa 100 Millionen Jahren - als noch die Dinos lebten - haben sich Zecken „nicht mehr entscheidend verändert.“ Das führe dazu, dass es „aktuell sehr schwierig sei, eine Zecke von einem Dinosaurier von aktuell vorkommenden Zecken zu unterscheiden.“

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(dae)