Berlin. 1915 fanden Torfstecher eine Leiche. Mit modernsten Methoden ist es gelungen, die Geschichte eines 5000 Jahre alten Mannes zu erzählen.
Vor rund 5200 Jahren fand ein Mann in Dänemark ein sehr gewaltsames Ende. Mit einem stumpfen Gegenstand wurde ihm der Schädel wortwörtlich eingeschlagen. Mindestens acht Hiebe ließen von seinem Kopf nur noch Bruchstücke übrig.
Seine Überreste versenkten die Täter in einem Torfmoor an der Nordspitze Dänemarks, nahe dem kleinen Dorf Vittrup. Dort überdauerten die Knochen des Getöteten die Jahrtausende, bis Torfstecher sie im Jahr 1915 fanden – zusammen mit einem Holzknüppel. Jetzt haben Forscher in zwei Studien den Lebensweg des Vittrup-Mannes nachgezeichnet. Sie erzählen eine erstaunlich wendungsreiche Lebensgeschichte eines Menschen aus der Jungsteinzeit.
Schon die Form des Schädels weist darauf hin, dass er sich „von der Mehrheit der zeitgenössischen Bauern in Dänemark abhebt“, schreibt das Team um Anders Fischer und Karl-Göran Sjögren im Fachmagazin „Plos One“. Sie ähnele mehr denen von Jägern und Sammlern, die Skandinavien in den vorangegangenen Jahrtausenden bevölkerten und später Richtung Schweden und Norwegen verdrängt wurden. Ihre Vermutung: Der Vittrup-Mann ist der älteste bekannte Immigrant Dänemarks.
Vom Fischer zum Bauern
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Mit modernsten Mitteln der Anthropologie und kamen die Wissenschaftler der Geschichte des Mannes auf die Spur. Sie untersuchten unter anderem die DNA seiner Knochen sowie Isotope seiner Zähne und fanden heraus, dass der Vittrup-Mann im Laufe seines Lebens den Wohnsitz gewechselt haben muss.
Seine Jugend verbrachte er in einem kälteren Klima als seine Erwachsenenjahre; ausgehend von ihren Untersuchungen glauben die Forscher, dass der Mann in einer Küstenregion im Norden Skandinaviens zur Welt kam, wo er seine Jugend unter Jägerinnen und Fischern verbrachte.
Dann muss er seine Heimat verlassen haben: Die Forscher fanden in den in seinen Zähnen erhaltenen Proteinen Hinweise auf eine Ernährungsumstellung. Hatte er sich offenbar lange von Fisch, Wild und Robben ernährt, lösten diese später landwirtschaftliche Erzeugnisse ab. Bis zu seinem Tod im Moor standen unter anderem Ziege und Schaf auf dem Speiseplan.
Jugendlicher Seefahrer
Vermutlich ist er mit einem Schiff oder Boot auf Reisen gegangen. Die kürzeste Route zwischen der Westküste Schwedens und der Nordküste Dänemarks beträgt rund 75 Kilometer über das offene Meer. Stammte der Vittrup-Mann aus Norwegen, dann hätte er mindestens 100 Kilometer Seeweg hinter sich bringen müssen – in jedem Fall eine außerordentliche Leistung, die nicht nur ein hochseetaugliches Schiff, sondern auch umfassende nautische Fähigkeiten voraussetzt. Möglich sei, dass er selbst am Ruder stand.
Sogar den ungefähren Zeitpunkt seiner Einwanderung können die Forscher nachvollziehen. Die Analyse eines seiner Zähne zeige, „dass sein Wechsel zwischen einer Jäger-Sammler-Gesellschaft und einer landwirtschaftlichen Gesellschaft gegen Ende seiner Teenager-Zeit stattfand“, schreibt das Team in „Plos One“. Als er in Dänemark ankam, dürfte er nicht älter als 17 Jahre gewesen sein.
Damit hätte er die Hälfte seines Lebens, vielleicht ein bisschen mehr, in seiner neuen Heimat gelebt, bis es ein brutales Ende fand. Die Forscher schätzen sein Alter zum Todeszeitpunkt auf etwa 30 bis 40 Jahre.
Grausige Todesumstände
Wie er seine Zeit im Norden Dänemarks verbrachte, können die Forscher nicht mit Bestimmtheit sagen. Auch nicht, warum er seine skandinavische Heimat verließ. Er könnte ein Händler gewesen sein – zwischen den Kulturen in der Region wurden verschiedene Waren wie Äxte gehandelt – oder ein Sklave, der verschleppt und verkauft wurde.
Auch die Umstände seines Todes bleiben letztlich blanke Theorie: Es sei möglich, dass er bei einer Fehde das Leben ließ oder bei einem Überfall. Allerdings deutet der Fundort seiner sterblichen Überreste auf ein wesentlich grausigeres Ende hin.
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Tausende von Tieren, Menschen und Wertgegenständen sind in Dänemark und Südschweden bereits aus Mooren gezogen worden, die dort als Teil spiritueller Rituale landeten. So könnte es auch beim Vittrup-Mann gewesen sein, glauben die Forscher. „Es ist wahrscheinlich, dass er geopfert wurde.“
An der Todesursache besteht hingegen kein Zweifel. „Seine Wunden waren ganz offensichtlich tödlich“, er ist also nicht ins Moor gestolpert und ertrunken. Auch die Tatwaffe dürfte mit großer Sicherheit feststehen. „Der hölzerne Knüppel, der neben den Überresten gefunden wurde, ist eine Waffe, mit der solche Wunden herbeigeführt werden können“, schreibt das Forscherteam.