Berlin. Eine Psychiaterin klärt auf, ab wann Schönheits-Eingriffe auf eine Sucht deuten und wie das mit einem Burnout zusammenhängen kann.

Ina Küper-Reinermann  

Beauty-Eingriffe werden immer beliebter – die Gründe dafür sind vielschichtig und können von unrealistischen Schönheitsidealen auf sozialen Medien zu Erkrankungen wie einer Körperdysmorphie reichen. Dr. Stephanie Grabhorn ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Ärztliche Direktorin der Privatklinik Blomenburg bei Kiel, die auf stressassoziierte Erkrankungen spezialisiert ist. Sie klärt im Interview darüber auf, ab wann der Wunsch nach Perfektion zur Sucht werden kann.

Frau Dr. Grabhorn, war der Wunsch nach gutem Aussehen früher auch so stark ausgeprägt wie heute? 

Stephanie Grabhorn: Ich glaube, er war zumindest seit dem Altertum nie kleiner. Neu ist nur die Bandbreite medizinischer Möglichkeiten, die wir heute haben, um an unserem Aussehen etwas zu verändern. 

Schönheits-OPs: „Kardashians sind völlig verformt“

Und mit den Möglichkeiten wächst der Druck, davon Gebrauch zu machen? 

Grabhorn: Wenn es für jedes scheinbare Problem eine Lösung gibt, weckt das Begehrlichkeiten, ja. Hinzu kommen Phänomene wie die Kardashians, die durch Eingriffe ja völlig verformt sind – solche Proportionen gibt es in der Natur nicht, trotzdem beeinflussen sie unser Schönheitsideal. Fairerweise muss man sagen: Auch das ist nicht unbedingt neu. Ähnliche Verunstaltungen gab es schon vor Jahrhunderten in China, wo man Mädchen für sogenannte Lotusfüße die Knochen gebrochen hat. Damals waren es winzige Füße, heute sind es winzige Taillen. 

Kim Kardashian soll sich für ihre Wespentaille Rippen entfernen lassen haben. Senken solche Stars auch gesellschaftlich bestimmte Hemmschwellen? 

Grabhorn: Sie erwecken zumindest den Eindruck, dass Schönheitseingriffe easy sind. Was wir zu sehen bekommen, sind ja keine blutverschmierten Verbände und schmerzenden Körper, sondern scheinbar mühelose Resultate. Dass man im Straßenbild immer öfter starr gebotoxte Gesichter und bizarr große Lippen sieht, liegt aber auch daran, dass sich solche Frauen häufig in Kreisen bewegen, die ein bestimmtes Schönheitsideal teilen. Wer ständig in die gleichen überspritzten Gesichter schaut, hinterfragt sie irgendwann nicht mehr. 

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Soziale Medien können durch Filter und bearbeitete Bilder unrealistische Schönheitsideale befördern. © iStock | grinvalds

Sie sind Ärztliche Direktorin einer psychiatrischen Privatklinik. Geld ist für Menschen, die Sie behandeln, kein Problem. Wächst der Druck, perfekt auszusehen, mit der Gehaltsklasse? 

Grabhorn: Das glaube ich nicht. Sonst gäbe es nicht so viele Menschen, die sich Schönheits-OPs vom Munde absparen. Was ich durchaus beobachte: Der Leistungsdruck, dem hoch bezahlte Frauen und übrigens auch Männer ausgesetzt sind, geht häufig mit erhöhten Ansprüchen an das eigene Aussehen einher. Allerdings ist da weniger Schönheit ein Thema als vielmehr ein vital wirkendes Äußeres, das zur Position passt. Keine Top-Managerin möchte hören, dass sie nach Burnout aussieht – selbst wenn sie einen hat. 

Ab wann Schönheits-OPs zur Sucht werden können

Der Run auf Beauty-Eingriffe, zuletzt immerhin 15 Prozent mehr, ist also auch ein Hinweis auf eine zunehmend leistungsorientierte Gesellschaft? 

Grabhorn: Definitiv. Nicht ohne Grund haben wir so viele Burnout-Patientinnen wie nie zuvor. Oft sind das extrem pflichtbewusste Menschen, die einen lebensbereichübergreifenden, manchmal zwanghaften Hang zur Selbstoptimierung haben. Das beginnt mit dem Gefühl, um fünf Uhr morgens die erste Jogging-Runde absolvieren zu müssen, und endet damit, dass Beauty-Behandlungen keine Option, sondern Pflichtprogramm sind.

Wo verläuft die Grenze zur Sucht?

Grabhorn: Wenn ein Eingriff den nächsten jagt und keiner zufriedener macht. Im Ernstfall liegt eine körperdysmorphe Störung vor: Die Gedanken kreisen permanent um vermeintliche, für Außenstehende unersichtliche Makel und die Frage, wie man die loswerden könnte. 

Psychiaterin: „Schönheits-OPs machen nicht glücklicher“

Aber nicht jede Frau, die etwas machen lässt, ist ein Fall für Psychologen. 

Grabhorn: Stimmt. Dass viele Frauen den Blick für das richtige Maß verlieren, hat verschiedene Ursachen. Soziale Medien, die uns mit Fotos attraktiver Menschen überschwemmen, gehören dazu, genau wie Selfies und unrealistische Filter. Das alles trägt zur Unzufriedenheit bei. Und die ist das denkbar schlechteste Motiv für kosmetische Eingriffe. 

Warum?

Grabhorn: Weil Schönheits-OPs nicht glücklicher machen. Wenn man seit Jahren unter einer sehr kleinen Brust oder stark hängenden Lidern leidet, geht ein gelungenes Ergebnis sicher mit mehr Wohlbefinden einher. Eine gefühlte Leere im Leben, innere Unruhe oder eine unglückliche Beziehung lassen sich dadurch aber nicht lösen. Ich würde jeder Frau, die zum wiederholten Mal über einen Eingriff nachdenkt, raten, die eigene Erwartungshaltung zu überprüfen.

Expertin: Wie Sie mit dem Wunsch nach Schönheits-Eingriffen umgehen sollten

Wie macht man das am besten? 

Grabhorn: Indem man zuerst mit einer guten Freundin spricht, mit einem Arzt oder einer Psychologin. Professionelle plastische Chirurgen erfragen die Motive und sollten realistische von unrealistischen Erwartungen unterscheiden können. 

Es mangelt also auch an umfassender und kompetenter Beratung? 

Grabhorn: Ich halte die meisten Fachärztinnen für kompetent. Aber wer lange genug sucht, findet früher oder später jemanden, der eine überflüssige Prozedur durchführt, im Zweifel wegen der Einnahmen. Umso wichtiger ist es, die eigenen Beweggründe zu hinterfragen. Warum will ich den Eingriff? Was verspreche ich mir davon? 

So geht die Expertin selbst mit dem Druck um

Wie halten Sie es selbst mit solchen verschönernden Eingriffen? 

Grabhorn: Mir geht es mit Mitte 50 wie vielen Frauen: Ein alterndes Gesicht ist furchteinflößend. Die Angst vor Krankheit und Tod beeinflusst uns mehr, als wir uns eingestehen wollen. Solange man jung aussieht, kann man sich leichter der Illusion hingeben, unvergänglich zu sein. 

Sprich: Sie lassen nichts machen?

Grabhorn: Ich war tatsächlich kürzlich bei einem Kollegen, um mich nach Botox zu erkundigen. Er hielt es für verfrüht, also warte ich noch eine Weile. 

Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift „Myself“, die wie diese Redaktion zur FUNKE Mediengruppe gehört.

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