Berlin. Pickel ausdrücken, Wunden aufkratzen – was Betroffene gegen das zwanghafte Skin Picking tun können, verrät eine Psychologin.

Knibbeln, Kratzen und Drücken – wenn Menschen den Drang spüren, immer wieder ihre Haut zu bearbeiten, nennt man das Skin Picking. Eine Krankheit, die bis zu fünf Prozent der Bevölkerung betreffen könnte und dennoch bei vielen unbekannt ist. Ob einen Pickel ausdrücken oder an den Fingern knibbeln. Das alles kann ein Anzeichen für Skin Picking sein. Menschen mit der SkinPickingDisorder brauchen allerdings oft keinen Anlass, um ihre Haut zu bearbeiten. Was genau hinter der Krankheit steckt, erklärt die Psychologin Linda Mehrmann.

Skin Picking ist, wenn Menschen ihre eigene Haut bearbeiten, quetschen und knibbeln. In der Fachsprache wird das als Dermatillomanie bezeichnet. „Das muss nicht unbedingt ein Pickel im Gesicht sein. Es kann zum Beispiel auch das Aufknibbeln von Wunden sein, die sich wieder öffnen und dadurch nicht heilen können“, erklärt die Psychotherapeutin Linda Mehrmann, die mit Alexander Gerlach 2020 einen Ratgeber zu Skin Picking veröffentlichte. Viele Betroffene würden vor allem im Gesicht, an den Händen und Fingern knibbeln. Dermatillomanie kann allerdings alle Körperstellen betreffen.

Skin Picking: Das steckt hinter dem Zwang

Als Krankheit wird Skin Picking meistens bezeichnet, sobald es das Leben der Betroffenen beeinflusst und einschränkt. „Wenn sie darunter leiden, wird es bedenklich“, erklärt Mehrmann. Die meisten von Skin Picking betroffenen Menschen sind Frauen, wie Studien zeigen. Je nach Untersuchung unterscheiden sich die Zahlen zwischen 60 und 90 Prozent. Allerdings sind auch Männer unter den Betroffenen. Das Knibbeln fängt oft in der Pubertät an und hört nicht wie gewöhnlich mit dem Erwachsensein auf. Viele begleitet es sogar bis ins hohe Alter.

Zwanghaftes Knibbeln kann gefährlich werden

Was die genauen Ursachen dieser Krankheit sind, ist oft nicht eindeutig. Viele bearbeiten ihre Haut, um Stress oder Anspannung abzubauen. Oft spüren Betroffene einen Leistungs- oder Zeitdruck und kompensieren diesen dann durchs Knibbeln. Das kann allerdings einen regelrechten Teufelskreis aufbauen. „Durch das Knibbeln entsteht neuer psychischer Druck, wenn man merkt, was man sich da angetan hat. Dieser Druck verleitet dann dazu, noch mehr zu knibbeln“, erklärt Ingrid Bäumer von der Selbsthilfegruppe Skin Picking Köln. Die Folge: Es entstehen oft klaffende Wunden und Narben.

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Das kann auch gefährlich werden. Und zwar dann, wenn es das Leben der Menschen stark einschränkt. „Ich habe mich, wie viele Betroffene, sehr für meine Haut geschämt, bin nicht mehr schwimmen oder tanzen gegangen. Bei mir ging es so weit, dass ich mich nicht mehr zur Arbeit traute, ohne vorher zwei Stunden lang alles überschminkt zu haben“, sagt Bäumer. „In den schlimmsten Zeiten bin ich ungeschminkt nicht einmal mehr zum Briefkasten gegangen und habe dem Paketboten nicht die Tür geöffnet.“ Doch soziale Isolation ist der perfekte Nährboden für Schamgefühle, Druck und Unverständnis des Umfelds. Laut Bäumer sollte man nicht zögern, sich frühzeitig Hilfe zu suchen. Damit es erst gar nicht zu psychischen Folgeerkrankungen – beispielsweise schweren Depressionen – kommt.

Zwanghaftes Pickel ausdrücken: Wie man mit Betroffenen umgehen sollte

Dabei sei es besonders wichtig, dass Angehörige behutsam mit dem Thema umgehen. Betroffene müssten sich laut der Psychotherapeutin Linda Mehrmann ohnehin schon verharmlosende Sprüche anhören und stießen oft auf Unverständnis. Deshalb sollten Angehörige lieber vorsichtig mit dem Thema umgehen. Zum Beispiel, indem man den möglichen Betroffenen behutsam auf das Thema anspricht und Hilfsangebote zeigt. „Das kommt aber natürlich auch immer darauf an, wie die Beziehung zu der Person ist“, betont Mehrmann. Angehörige könnten Betroffene auch zu Hilfsangeboten begleiten oder Infomaterial besorgen. Das alles jedoch am besten in Absprache mit der Person.

Wichtig sei auch, dass sich Betroffene Hilfe suchen. Spätestens wenn die Krankheit das tägliche Leben einschränkt, meint Mehrmann. Behandelt wird Skin Picking durch Dermatologinnen oder Psychotherapeuten. Auch wenn letztere oft wenig über die Krankheit wissen, kann eine kognitive Verhaltenstherapie helfen. Dabei werden zum Beispiel andere Wege gefunden, um Stress und Druck abzubauen.

Stress kann ein Auslöser für Skin Picking sein. Mancher greift zum Stressball, andere knibbeln an den Fingern.
Stress kann ein Auslöser für Skin Picking sein. Mancher greift zum Stressball, andere knibbeln an den Fingern. © Shutterstock | Andrey_Popov

Da es in Deutschland aktuell jedoch schwer ist, einen Platz bei einer Psychotherapeutin zu bekommen, betont Mehrmann die Wichtigkeit von Selbsthilfeangeboten. Oft kann es schon helfen, sich an Vertrauenspersonen zu wenden. Ebenso wichtig sind laut der Expertin Selbsthilfegruppen oder Online-Communities. So zum Beispiel eine Online-Selbsthilfe, die von Mehrmann und Kollegen erstellt wurde. So wollen sie Menschen schon niedrigschwellige Hilfsangebote machen.

Skin Picking: Eine wenig bekannte Krankheit

Auch Ingrid Bäumer unterstreicht die Notwendigkeit dieser Angebote. In der Selbsthilfegruppe „Skin Picking Köln” besprechen Betroffene jede Woche ihre Erfahrungen, Tipps und Probleme. Dazu wollen sie durch ihren Internetauftritt auf Skin Picking aufmerksam machen. Nach wie vor gäbe es zu wenig spezialisierte Therapeuten für die Krankheit. Obwohl Skin Picking laut Schätzungen zwischen ein bis fünf Prozent der Bevölkerung betreffen könnte, ist die Krankheit lange unbekannt gewesen. Bis 2013 wurde Skin Picking nur als Impulskontrollstörung eingestuft. Durch die Aufnahme ins DSM-5, ein US-amerikanisches Klassifikationssystem für psychische Erkrankungen, wurde die Disorder dann als Zwangsspektrumsstörung definiert.

Von der Weltgesundheitsorganisation wurde die Krankheit bisher nicht in die internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) aufgenommen. In der 11. Version soll das nun geschehen. „Das würde die Abrechnung für Psychotherapeutinnen und Therapeuten erleichtern und das Interesse für Studien erhöhen”, erklärt Mehrmann. Aktuell muss die Krankheit noch in einer Nebenkategorie definiert werden. Dabei könnten auch die BFRB Tage (engl.: body-focused repetitive behaviors) Ende September helfen. Dort sollen sich Betroffene und Fachleute vernetzen und in den Austausch zu kommen, damit Skin Picking in Zukunft noch besser behandelt werden kann.