Berlin. Die Toniebox hat Kinderzimmer auf der ganzen Welt erobert. Mit einer neuen Funktion könnten bald Millionen neue Geschichten entstehen.

Ihre würfelförmige Hörbox mit den bunten Spielfiguren steht in über fünf Millionen Kinderzimmern nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Was sich Patric Faßbender und Marcus Stahl vor zehn Jahren mit der Toniebox ausgedacht haben, hilft heute Eltern, ihre Kinder mit Hörgeschichten und Musik zu unterhalten und sie leichter ins Bett zu bringen – so wie früher noch Kassettenrekorder und CD-Spieler.

Im Interview sprechen die beiden Düsseldorfer Gründer über Künstliche Intelligenz (KI) im Kinderzimmer, ein weltweites Lagerfeuer-Gefühl und die andauernde Jagd nach „Tim und Struppi“.

Herr Faßbender, Herr Stahl, gerade testen Sie in Großbritannien eine neue Toniebox-Funktion. Damit können Eltern Kindergeschichten für die Hörbox von KI erfinden lassen. Was versprechen Sie sich davon?

Patric Faßbender: Es geht darum, Eltern, aber auch den Kindern ein Werkzeug an die Hand zu geben, mit dem sie selbst Geschichten kreieren können und ein bisschen Unterstützung durch KI bekommen. Das Spannende dabei ist die Personalisierung: Durch das Einfügen von eigenen Namen aus der Familie oder dem Freundeskreis und eigenen Themenschwerpunkten eine Geschichte zu kreieren, die inhaltlich eine Verbindung zum Kind oder zur Familie herstellt. Das ist extrem unterhaltsam und ein Sprungbrett in eine Geschichtenwelt, die nah an den Kindern ist. Mit den Rückmeldungen aus den Familien sind wir sehr glücklich.

Toniebox: Was die Gründer aus Düsseldorf als nächstes vorhaben

Verspüren Sie Druck, auch bei Produkten für Kinder immer am Puls der Zeit zu bleiben?

Faßbender: Natürlich schauen wir auch links und rechts. Wir sind aber nicht unter dem Druck, uns technisch permanent nach vorne zu entwickeln, nur weil – wie bei Smartphones – irgendwas schneller, heller oder besser geht. Für uns ist die Erfahrung und Rückmeldung der Nutzerinnen und Nutzer das Entscheidende und wichtig für spätere Produkte. Glücklicherweise haben wir aber ein Produkt, das relativ zeitlos ist. Und durch neue Tonie-Figuren, Kreativ-Tonies oder Steiff-Tonies kommen immer wieder neue Aspekte hinzu. Wir machen etwas nicht der Technik zuliebe, sondern um Familien etwas an die Hand zu geben, was sie glücklich macht.

Marcus Stahl: Wir reden immer davon, dass wir die größte digitale Audioplattform für Kinder gebaut haben. Wenn der Test der genannten KI-Funktion erfolgreich ist, ergänzen wir dies in unserem Onlineangebot Mytonies und auf Knopfdruck haben die weltweit über fünf Millionen Kinder mit einer Toniebox eine neue Funktion und wir haben ein sieben Jahre altes System erweitert – mit dem gleichen Charme. Unsere anfängliche Zielgruppe, die kleineren Kinder, sind mit der Box größer geworden. Die neue Funktion ermöglicht dann den heute 5- bis 6-Jährigen, ein eigenes Hörspiel zu bauen und auf ihrer Toniebox anzuhören.

Die Toniebox-Gründer Patric Faßbender (l.) und Marcus Stahl brachten im Jahr 2016 die ersten Tonieboxen heraus.
Die Toniebox-Gründer Patric Faßbender (l.) und Marcus Stahl brachten im Jahr 2016 die ersten Tonieboxen heraus. © Toniebox | Toniebox

Sie sind mal mit 14 Figuren gestartet, heute sind es offiziell über 750. Wonach entscheiden Sie, welche neuen Geschichten und Inhalte den Weg auf die Toniebox finden?

Faßbender: Die ersten 14 Figuren für die Box waren noch die Bücher und Charaktere in den Zimmern unserer eigenen Kinder. Heute kommt es vor, dass wir nochmal Impulse setzen oder Kontakte knüpfen. Aber inzwischen haben wir pro Markt ein Team, das tatsächlich das Portfolio der Figuren plant, das Netzwerk zu den Verlagen und Lizenzgebern aufbaut. Wir sind immer schon früh informiert, wenn neue Themen an den Markt kommen, um Figuren rechtzeitig entwickeln zu können. Das läuft schon sehr strategisch ab. Über Schnittstellen wollen wir auch Themen auf die Box bringen, die in allen Märkten funktionieren. Sehr wichtig sind uns aber auch die vielen Zuschriften aus den Kinderzimmern, welche Figuren noch fehlen. Vor kurzem konnten wir zum Beispiel „Batman“ als weltweit bekannte Marke umsetzen.

Toniebox-Gründer: „Benjamin Blümchen interessiert in den USA keinen“

Gibt es eine Lizenz, an der Sie sich noch die Zähne ausbeißen?

Faßbender: Tim und Struppi! Die Idee entstand durch die Struppi-Figur auf meinem Schreibtisch. Die Audioinhalte wären kein Problem, da sind wir eigentlich durch. Aber die Figurenrechte, das ist zugegeben seit Jahren ein zäher Prozess.

Inzwischen steht die Toniebox längst auch in Kinderzimmern in den USA, Großbritannien oder Asien. Haben Eltern und Kinder außerhalb Deutschlands andere Vorlieben?

Faßbender: Ja, das klassische Hörspiel, wie wir es in Deutschland kennen, existiert in nicht deutschsprachigen Märkten so gar nicht. Das wussten wir aber von Anfang an und hatten das Thema Internationalisierung 2016 zuerst nicht so auf dem Schirm. Deutliche Unterschiede gibt es auch, was die Charaktere und Bücher angeht, auf denen die Tonies basieren. „Benjamin Blümchen“ interessiert in den USA keinen. Was dagegen überall super funktioniert, sind Gute-Nacht-Geschichten und -lieder sowie Meditation. Dass Kinder nach einem langen Tag vor dem Schlafen nochmal etwas hören und zur Ruhe kommen, ist völlig unabhängig vom Markt. Wir alle haben früher mal ums Lagerfeuer gesessen und guten Geschichten zugehört.

Stahl: Ein „Paw Patrol“, „Peppa Pig“ (dt.: „Peppa Wutz“; d. Red) oder etwas von Disney läuft überall, in Europa, USA und auch Asien. In den USA läuft das Thema Bildung wie ein „National Geographic“ sehr stark. Und dann gibt es so ganz nischige Sachen, die man dann ausprobiert, wie den Beethoven-Tonie hier in Deutschland.

Sie sind beide Väter: Welche Rolle spielen Ihre Kinder und Familien bei kommenden Funktionen und Geschichten?

Faßbender: Meine Frau ist Illustratorin und gestaltet sehr viele Designs von Tonies wie „Schlummerbande“ oder Kreativ-Tonies. Insofern sind auch meine Kinder mit 13 und 16 Jahren dort immer noch eingebunden und äußern ihre Meinung. Meine Kinder haben die Toniebox eine Zeit lang gar nicht mehr genutzt und sind auf Smartphone oder Tablet umgestiegen – aber jetzt kommen sie wieder zurück und freuen sich über die Geschichten, die sie vor fünf Jahren gehört haben. So etwas Emotionales bei Kindern auszulösen, war immer mein Traum.

Stahl: Meine Kinder mit 16 und 21 lieben die Musikserie „Unter meinem Bett“, die hören wir in der Familie immer noch zusammen. Aber dass man wie früher strahlend mit den Neuheiten nach Hause kommt und die Kinder einen dafür feiern, das ist vorbei. Meine Tochter ist zwar in Hamburg ebenfalls bei einer Hörspielproduktionsfirma gelandet – aber auch sie hat in ihrem Alter heute ein iPad.

Toniebox-Anfänge: In der Kita ging vor zehn Jahren alles los

Sie beide haben gemeinsam das Unternehmen hinter der Toniebox vor zehn Jahren gegründet, angeblich auf dem Spielplatz. Wie lief das ab?

Faßbender: Entstanden ist die Idee durch meine Kinder, die damals zwischen drei und fünf Jahre alt waren. Wir hatten ständig kaputte CDs zuhause und haben als Eltern nach einer Alternative gesucht. Ich bin Kassettenkind. Einen Rekorder hatten wir tatsächlich noch, aber es gab kaum noch neue Kassetten. Ein Smartphone wollte ich meinen Kindern nicht in die Hand drücken. Dann bin ich auf die Idee gekommen, es einfach selber zu machen. Ich war Kreativdirektor in einer großen Agentur hier in Düsseldorf und habe den Entschluss gefasst, ein Produkt für meine eigenen Kinder zu entwickeln, mit dem sie Hörspiele hören. Der schon genannte „Struppi“ hat mich dann inspiriert, in Figuren zu denken und so hatte ich schnell ein erstes Design. Was mir aber fehlte, war der der Finanz-Hintergrund und ich war kein Ingenieur.

Da kam Ihr Mitgründer Marcus Stahl ins Spiel?

Faßbender: Wir kannten uns aus einer Elterninitiative im Kindergarten. Da lernt man Menschen ziemlich gut kennen – Eltern sind eine sehr spezielle Zielgruppe. Ich kannte seinen beruflichen Hintergrund und habe ihn angeschrieben, ob er Lust hätte, sich meine Idee mal anzuhören – die hat ihn überzeugt. Wir haben beide unsere Jobs geschmissen und losgelegt. Inzwischen sind wir sogar dicke Freunde. Richtig gestritten haben wir noch nie.

An welchem Punkt haben Sie gemerkt: Unsere Erfindung geht durch die Decke?

Faßbender: Mein erster Moment war, als ich mit einem ersten Testmodell der späteren Toniebox nach Hause kam, das Gerät meinen Kindern in die Hand gedrückt habe und sehen konnte, wie sie darauf reagiert haben. Da wusste ich, das funktioniert, das wird Kinder begeistern. In welcher Dimension, habe ich erstmal nicht hinterfragt.

Stahl: Im Oktober 2016 waren wir zum ersten Mal im chinesischen Nanjing in der Nähe von Shanghai, wo wir bis heute die Boxen produzieren. Dort bekamen wir die ersten beiden Boxen vom Band in die Hände. Das war schon ein ergreifender Moment, ein Meilenstein. Plötzlich steht die Box dann hier in Düsseldorf im Spielzeuggeschäft, wo man früher selbst immer alles gekauft hat. Irgendwann steht man dann in Alaska, wo man das eigene Produkt kaufen kann und man wird überall drauf angesprochen. Eine krasse Reise.

Welches Hörspiel würden Sie nie im Leben eintauschen?

Stahl: „Unter meinem Bett“, vor allem die erste Serie. Nicht nur, weil es gut Musik ist, ich habe daran sehr bedeutsame Erinnerungen, die mit meinem Sohn zusammenhängen. Für uns ein sehr emotionaler Tonie. Oder auch „Michel aus Lönneberga“. Die Dinge, die man in der eigenen Kindheit gehört hat, sind für uns beide schon die schönsten.

Faßbender: Natürlich erstmal alle Tonies, die meine Frau designt hat (lacht). Ansonsten gilt „Unter meinem Bett“ für uns beide. Auch den „Grüffelo“ habe ich meinen Kindern hunderte Male vorgelesen. An so einer Figur merkt man einfach, wie wichtig es ist, dass man eine persönliche Beziehung zu den Themen hat.

Zur Person

  • Marcus Stahl (56): Der Ingenieur für Elektrotechnik war bis zur Gründung 2013 für verschiedene Unternehmen aus der Autobranche und 15 Jahre als Manager bei Nokia tätig.
  • Patric Fassbender (53): Der studierte Grafikdesigner hat bis zur Gründung als Kreativdirektor einer Werbeagentur gearbeitet.