2.45 Uhr. . Michael Schulz aus Wattenscheid verkauft Obst und Gemüse auf Wochenmärkten – in vierter Generation. Doch das Geschäft ist schwierig geworden.
In Wattenscheid ist es an diesem Frühlingsmorgen noch finster, als Michael Schulz in den Lkw steigt. Die paar Kisten mit Resten vom Vortag hat der Obst- und Gemüsehändler längst aus dem Kühlhaus hinter seiner Garage in den Viereinhalb-Tonner geladen. „Der frühe Vogel halt“, lacht der 49-Jährige. Ist nicht auf der Suche nach einem Wurm, aber gern einer der ersten auf dem Großmarkt.15 Minuten von Bochum ins (Frische-)Zentrum Essen? Um diese Uhrzeit ist die A 40 frei. Schulz’ Einkaufsliste beginnt mit Spitzkohl und endet mit Blaubeeren, nicht überall steht die Menge davor; die bestimmt der Preis. 47 Posten sind es insgesamt. Nicht viel heute, sagt Schulz, Wochenmarkthändler in vierter Generation. 2001 übernahm er das Geschäft vom Vater.
Auf dem Großmarkt gibt’s von Avocado bis Zitrone alles
In riesigen, gekühlten Hallen präsentieren die Großmarkthändler von der Avocado aus Israel bis zur Zitrone aus Amalfi schlichtweg: alles, was man an Obst und Gemüse kennt (oder auch nicht). Bis 7.30 Uhr, da beginnen die Auktionen für den nächsten Tag. Schulz lässt Bananen und Gurken liegen: zu grün die einen, zu krumm die anderen; packt Paprika, Spargel und „etwas“ Brokkoli (sechs Kilo!) auf den Hubwagen. Kistenweise folgen Sellerie, Wirsing, Chicorée, Feldsalat, Kräuter, Birnen, Trauben, Erdbeeren – jeder Karton wird geöffnet. „Der Verlust liegt bei mir, wenn eine Kiste halb leer ist oder es da drin schimmelt“, erklärt Schulz.
„Morgen Frankie, noch Wellant da?“, fragt er den Verkäufer. Dessen Daumen geht hoch. Um 1,30 Euro ist das Kilo heute teurer als gestern, die Saison geht zu Ende. Schulz nimmt zwei Kisten. „Schön groß.“ Äpfel kaufe der Kunde stückweise.
Es geht in die nächste Halle. In deren oberer Etage war früher eine Bananenreiferei, heute sitzt da ein Betrieb, der Obst und Gemüse für Restaurant-Küchen schnibbelt. „Spargel?“ fragt Schulz. „3,5“ antwortet der Verkäufer. „Erdbeeren? „Da vorne!“
Stielmus ist an diesem Tag nicht aufzutreiben
Am Ende sind alle Preise verglichen, ist Schulz hin und her gelaufen, hat das eine dort, das andere hier aufgeladen, seine Liste Punkt für Punkt mit dem Stummelbleistift, den er hinterm Ohr trägt, abgehakt; sich von einigen Angeboten verführen lassen; „drei extra große Artischocken“ für eine Stammkundin besorgt. Nur Stielmus ist nicht aufzutreiben. Bei keinem der beiden deutschen Händler, „und die türkischen Kollegen muss ich danach gar nicht erst fragen“, weiß Schulz. Bezahlt wird später, man kennt sich ja. Die Großhändler notieren nur, was Schulz kauft, der sechsmal pro Woche kommt. „Mal lass ich 200 Euro hier, mal 1500“. Der Lkw wird beladen. Nach Chaos-Prinzip, wie Schulz behauptet. Tatsächlich wirkt es sehr überlegt, wie er Kiste um Kiste stapelt, zurecht rückt, die Säcke mit den Kartoffeln zuletzt. Die sollen als erste wieder raus.
Frühstück in „Petra’s Gerüchte-Küche“
Alles ist verstaut. Zeit fürs Frühstück in „Petra’s Gerüchte-Küche“, der Großmarkt-Kantine. „Die entspannteste halbe Stunde des Tages“, meint Schulz. Einzelhandelskaufmann hat er gelernt und sich zunächst bei Steilmann beworben. „Aber nicht mit der nötigen Energie.“ Ein wenig, räumt er ein, habe der Vater ihn auch genötigt, ins Wochenmarkt-Geschäft einzusteigen. Dass er es tatsächlich tat, hat der 49-Jährige jedoch nie bereut: „Ich mache meinen Job gern.“ Seinen Sohn aber wird er zu nichts drängen.
Auf nach Gelsenkirchen. Mittwochs bestückt Schulz den kleinen Markt auf dem Schulte-Im-Hofe-Platz in Ückendorf, samstags verkauft er in Bochum-Günnigfeld, dienstags und freitags findet man ihn auf dem Wattenscheider Hauptmarkt vor dem Gertrudiscenter.
100.000 Handgriffe, bis der Stand steht
Nur der Bäcker ist schon da. Und Schulz’ Verkaufshänger. Den hat er bereits am Vortag hier geparkt. Das unscheinbare Teil ist ein technisches Meisterwerk: Schlanke neun Meter hinterm Lkw misst es auseinandergeklappt 14,5 Meter.
Für die großen Märkte steckt sogar noch ein „Um-die-Ecke-Erweiterungstisch“ drin. Schulz schiebt, faltet, zieht und drückt, bis alles an seinem Platz ist; bringt fünf Waagen, Schubkarre, Besen, Tüten-Bündel, dutzende Paletten, leere Kisten, Verkaufsregale und ein Radio (!) zum Vorschein, zuletzt die Kiste mit den Preisschildern. „100.000 Handgriffe, bis der Stand steht, aber die sitzen im Schlaf“, erklärt Schulz. Müssen sie auch, denn noch immer ist es stockeduster – und der Stromanschluss wird erst jetzt gelegt.
Käsefrau und Geflügelmann rollen an
Schulz’ Frau Sandra (Bild links) trifft ein, zusammen mit den Verkäuferinnen Anja Lork und Silke Zibulski. Kiste um Kiste wird auf die Verkaufsfläche gewuchtet. Schulz’ Lkw wird rasch leerer, der Markt langsam voller: Die Käsefrau rollt an, der Geflügelmann auch; Gewürze, Textilien, Taschen, Fisch, Geflügel, Wurst/Fleisch und Backwaren landen auf anderen Tischen. Es duftet nach frischen Waffeln. Bei Schulz wird sortiert und arrangiert. Anja Lork packt Paprika in Tüten zu je einem Kilo, Silke Zibulski stutzt Blumenkohl-Köpfe, Sandra Schulz bündelt Suppengemüse, ihr Mann gibt den „Erdbeer-Designer“: in den Schälchen dreht er die oberste Lage der Früchte so, dass alle Spitzen nach oben zeigen. „Das Auge kauft mit“, erklärt er.
Opa hatte es leichter, das Geschäft ist schwierig heute
Die erste Kundin verlangt „drei Bananen für Mama“. Mindestabnahme-Mengen gibt’s auf dem Wochenmarkt nicht. Auf Wunsch wird die Ware zudem ins mitgebrachte Tupper-Töpfchen gelegt. „Umweltschutz kann so einfach sein“, meint Michael Schulz.
Silke Zibulski hilft Inge Weilekes, die Taschen zum Auto zu tragen. Die Kundin kommt seit 40 Jahren. „Der Markt“, sagt sie, „hat sowas Dörfliches. Und Obst und Gemüse sind hier frischer.“ Nicht alle denken wie sie und der Discounter ist billiger. „Das Wochenmarkt-Geschäft ist schwieriger geworden“, sagt Schulz. Nur die „Generation Opa“ habe noch gut verdient.
Ehepaar Schulz gönnt sich einen Kaffee in der „Kanne“, dem Café am Markt. Inzwischen ist es acht Grad warm, aber das ist kalt genug. „Im Winter“, erzählt Sandra Schulz, „zieh ich alles an, was ich hab.“ Heute tun es zwei Extra-Paar Strümpfe, Moonboots, lange Unterwäsche.
„Eine Woche Urlaub mehr wäre schön...“
Es regnet. Der Markt leert sich. Einzig Gerti Haglauer, Regenhaube über grauem Haar, schiebt ihren Rollator an den Stand. Mai-Rübchen will sie mitnehmen, „in Butter gedünstet mit Klopsen, das erinnert mich an meine Kindheit“, schwärmt sie. „Grün dran lassen für die Schildkröte?“, fragt Frau Schulz. „Die schläft doch noch! Aber für die Kaninchen vom Nachbarn nehm ich’s mit.“ Rettich, Salat, Beeren, Bananen, Tomaten, Kiwi, Clementinen und Birnen wandern auch in Haglauers Einkaufsbeutel; zum Bezahlen reicht die alte Dame ihr Portemonnaie über die Theke. Dann ruft Sandra Schulz ein Taxi für die Stammkundin. „Fünfmal die acht war das, nicht wahr?“
Vor dem Stand ist es so voll, dass sich dahinter um die Waagen gebalgt wird. Der Chef befindet dennoch: „Bescheiden heute.“ Spätestens übermorgen wird er seine Reste trotzdem verkauft oder selbstaufgebraucht haben. Weggeworfen werde kaum etwas. „Nicht so unser Ding“, behauptet Sandra Schulz. Die 48-Jährige ist Friseurin, lernte erst nach der Geburt des Sohnes den Markt lieben. „Bloß ein wenig mehr Urlaub wäre schön.“ Eine Woche im Winter, zwei im Sommer – mehr ist nicht drin. „Die Kunden würden es nicht verzeihen.“
Fünf Kartoffeln für die Schwiegermutter
. Langsam wird es ruhiger. Michael Schulz beginnt einzupacken: „Das Ganze rückwärts!“. Eine junge Asiatin nimmt den letzten Rettich, eine andere Frau verlangt „fünf Kartoffeln für die Schwiegermutter, die isst nicht soviel“, ein Mann zwei grüne Paprika. Michael Schulz holt sie aus der Kiste ganz hinten im Lkw. Gegenüber wird bereits die Auslage gewienert.
Fünf Pfund Kartoffeln gehen an den allerletzten Kunden des Tages. Was er zahlt, verschwindet wie die Einnahmen zuvor in der hölzerne Kiste, die der Familie seit über 100 Jahren als Kasse dient. Sandra Schulz fegt die Theke sauber, ihr Mann schreibt die Einkaufsliste für morgen.
Die Frauen haben Feierabend. Obst und Gemüse sind auf der Ladefläche des Lasters verschwunden, der Stand verwandelt sich auf magische Weise wieder einen neun Meter langen Hänger. Ein Mann bleibt stehen, offensichtlich fasziniert von dieser Art Tetris.
Feierabend um 14 Uhr, bloß noch die Buchführung
Mit dem Hänger am Haken fährt Michael Schulz heim. Auf dem Rückweg parkt er ihn auf dem Gelände einer Fleischerei. Freitagfrüh wird er ihn wieder abholen.
Zurück in Wattenscheid. Michael Schulz packt die Reste ins Kühlhaus – zum Bier, das von Silvester übrig blieb: „In meinem Job lebst du solide.“ Nach dem Mittagessen wird Buchführung gemacht, vielleicht das Geld zur Bank gebracht. Gegen acht wird der Marktmann schlafen gehen. Viele Freunde gebe es nicht, räumt er ein. Nur mit dem Geflügelhändler treffe man sich gelegentlich.
Der muss ja auch früh raus.