Berlin. Nur jede fünfte Beziehung ist es Wert, sie fortzuführen. Diese kühne These vertritt der Autor Thomas Meyer. Was sagt ein Paartherapeut?
Die These ist so romantisch wie ein Fünf-Gänge-Menü aus Tütensuppen: Thomas Meyer, Autor aus der Schweiz, propagiert in seinem bald erscheinenden Buch mit dem sprechenden Arbeitstitel „Trennt euch“, dass sich vier von fünf Beziehungen auflösen sollten. Liebe reicht für eine dauerhafte Beziehung nicht aus, behauptet er.
Also, weg mit dem höchsten der Gefühle! Vielmehr gehe es darum, dass zwei Menschen zusammenpassen – in punkto Humor, Intelligenz, Sexualität, Weltanschauung und Gemüt. Und wenn das nicht so ist, dann quälen sie sich, und dann sollten sie – wenn es nach Meyer geht – endlich den Schlussstrich ziehen.
„Hört auf, schlechte Beziehungen zu führen!“
„Ich verstehe diese pseudoheroische Idee des Aushaltens nicht. Noch nie hat jemand etwas davon gehabt“, sagte Meyer dem „Tagesanzeiger“. Er ist überzeugt, dass die meisten Paare aus Feigheit zusammenbleiben. Weil es sich eben bequemer lebt, man sich eingerichtet hat in seiner kleinen, flauschigen Beziehungswelt. Seine Forderung: „Hört auf, schlechte Beziehungen zu führen!“
Eine bestechende und einleuchtende Forderung. Der wohl jeder ohne Probleme nachkommen würde – wenn er sich die Welt malen könnte. Doch handelt es sich beim Aufbau einer Beziehung eben nicht um das Zusammenschrauben eines Ikea-Regals, bei dem Schritt eins bis neun zum Erfolg führen. Oder doch?
Paartherapeut widerspricht 20-Prozent-These
Der Paartherapeut Clemens von Saldern glaubt – und das ist auch sein Job – an die heilende Kraft der Beziehungsarbeit. Er widerspricht Thomas Meyers 20-Prozent-These entschieden. „Der Autor schließt da wahrscheinlich mehr von sich auf andere. Für einen Individualisten, der gerne allein lebt, stimmen diese Aussagen vielleicht“, sagt der Berliner Paartherapeut. Aber für die meisten Menschen eben nicht.
Er dreht die These um: „Viele Beziehungen könnten sehr viel runder laufen. Und oft sagen die Partner zu schnell, dass sie nicht zusammenpassen.“ Von Saldern nennt im Kern vier Punkte, die seiner Erfahrung nach entscheidend sind für eine gute Beziehung. Und er verrät, warum der Bestseller „50 Shades Of Grey“ seiner Meinung nach zu den interessantesten Beziehungsratgebern schlechthin gehört.
1. Mehr Sorgfalt: „Die Bücher prüfen“
„Jeder Mensch trifft im Leben zwei Kardinalsentscheidungen: die Berufswahl und die Partnerwahl“, sagt von Saldern. Doch während wir schon in der Schule die Zeit mit berufsvorbereitenden Kursen verbringen, Job-Ratgeber lesen und uns ein Studium generale den Ausbildungsweg ebnet, erklärt uns niemand, wie man eine gelingende Beziehung führt. Obwohl diese mindestens genauso wichtig für ein erfülltes Leben ist wie der Job, der einem liegt. „Ich bin überzeugt, dass wir bei der Auswahl des Partners tatsächlich zu wenig Sorgfalt walten lassen“, sagt der Beziehungsexperte.
Viele Paare lernen sich kennen, hüpfen miteinander ins Bett, bekommen Kinder, entwickeln Routinen – und merken zu spät, dass die Wahl eigentlich ein Griff daneben gewesen ist. „Nicht umsonst gab es früher die Institution der sogenannten Verlobungszeit, in der man sich gegenseitig beschnüffelte“, so von Saldern.
Einer seiner Ratschläge taugt nicht gerade für eine Hollywood-Romanze: Er rät zur „gebotenen Sorgfalt“, einer Risikoprüfung, wie man sie aus dem Geschäftsjargon kennt: „Wenn zwei Firmen fusionieren, dann werden auch zunächst ganz sorgsam die Bücher des künftigen Partnerunternehmens geprüft.“
2. Beziehungen laufen in Phasen ab
Paartherapeuten und Psychologen greifen zu Analogien wie Verliebte nach der Hand des Angebeteten. Auch Beziehungsexperte von Saldern kommt nicht ohne sie aus: „Die Ehe ist ein wenig wie ein Garten, den kann man nicht einmal anlegen, ihn dann wuchern lassen kann und sich nicht mehr kümmert.“
Wahrscheinlich kann man das schon. Nur wuchert dann alles derart, dass es einem über den Kopf wächst. „Wenn das Verliebtsein meist nach einziger Zeit vorbei ist, beginnt der nächste Abschnitt“, sagt der Berliner Paartherapeut.
Ein gängiges Modell unterscheidet fünf Phasen: (1) Zunächst verlieben wir uns, der Partner wird auf einen Podest gestellt, Kritisches wie in einem toten Winkel nicht wahrgenommen. (2) Dann setzen wir die rosarote Brille ab, sehen auch Schwächen und bekommen ein realistischeres Bild vom Anderen. (3) In der nächsten Phase kämpfen die Partner Macht- und Konkurrenzkämpfe aus (4) daraufhin fällt die Entscheidung zum Gemeinsamen, zum großen Wort: dem Wir. (5) In der letzten Phasen sind bereits viele Höhen und Tiefen durchlaufen, Masken fallen, der Umgang ist innig, ehrlich und vertraut.
„In jeder der Phasen hat das Paar die Chance auf ein höheres Erfüllungsniveau zu gelangen“, sagt von Saldern. Nur: Jeder Beziehung kann natürlich weit davor die Luft ausgehen.
3. Narzissmus wirkt wie Gift
Ein gesundes Selbstbewusstsein fördert die Beziehung, Narzissmus dagegen wirkt wie Gift. „Jeder sollte auf sich achten und Freiräume schaffen, etwa eigene Freizeitgestaltung etc.“, rät von Saldern. Wenn sich aber irgendwann alles nur noch um die eigene Person dreht, droht auch die Beziehung zu implodieren. „In Thesen wie jenen von Herrn Meyer sehe ich eine Tendenz zum zunehmenden Narzissmus in unserer Gesellschaft“, urteilt der Experte.
Von Saldern spricht von einer wachsenden Zahl der „Ich-linge“ – Menschen, die es einzig auf das eigene Wohlbefinden abgesehen haben. „Ich spreche gerne von einem iPhone-Phänomen – sobald das neue Modell auf den Markt kommt, erscheint das Alte auf einen Schlag unzureichend zu sein. Viele Leute wollen sofort das Bessere und entledigen sich des vermeintlich schlechteren Alten.“ Doch Menschen sind eben keine Konsumgüter.
Als Ausweg empfiehlt er die Lektüre von die „Fünf Sprachen der Liebe“ des US-amerikanischen Beziehungsberaters Gary Chapman. „Das sind Lob und Anerkennung, Geschenke, Hilfsbereitschaft, Zweisamkeit, Zärtlichkeit“, erklärt von Saldern. „Von Typ zu Typ unterschiedlich ist, wie sehr das Bedürfnis eines Menschen nach einem dieser Bereiche ist.“ Zusammengenommen seien sie aber wie Balsam für die meisten Verhältnisse.
4. Mehr Verhandeln
Interessante Sichtweise: Clemens von Saldern sieht „50 Shades of Grey“ nicht als einen Sex-, Sadomaso- und Erotik-Thriller, sondern als einen, der vor allem die Frage nach den Verhandlungen zwischen Mann und Frau auslotet. „Das spannendste an dem Buch ist, wenn man es aufs Wesentliche herunterbricht, sind die Fragen: Was möchtest du, was möchte ich? Was bietest du mir, was biete ich dir?“, so der Paartherapeut.
Wer bittet, muss auch bieten. Die Protagonistin Ana Steele und der Milliardär Christian Grey befinden sich gewissermaßen während der gesamten Handlung am Verhandlungstisch.
„Verhandelt werden müssen grundsätzlich die zentralen Bedürfnisse des Einzelnen. Und dann besteht die Aufgabe darin, eben diese Bedürfnisse miteinander abzugleichen, in einer Haltung geprägt von Toleranz und Würdigung“, so der Experte weiter. Häufig ließen sich durch das ehrliche Gespräche kleine Wunder bewirken. „Und Offenheit muss nicht beleidigend sein. Es ist auch eine Frage des Tonfalls.“
Deshalb stimmt der Paartherapeut auch dem Buchautor Thomas Meyer in einem Satz zu, den dieser in einem seiner Bücher fallenlässt: „Wo nicht aufrichtig kommuniziert wird, hat es die Liebe schwer“. Das rettet dann auch ein sündhaft teures Fünf-Gänge-Menü nicht mehr.