Berlin. Wie leben Berber? Geschichte und Bräuche der marokkanischen Ureinwohner erfährt, wer sich von ihnen in ihre Heimatdörfer führen lässt.
Frauen in langen Gewändern und Kopftüchern wirbeln in der Küche umher. Die jüngsten sind noch Teenager. Einige von ihnen tragen ihre Babys in Tüchern, die sie sich um den Körper gewickelt haben. Zwei Frauen kümmern sich um die Tagine, das ist ein Tongefäß mit einem spitzen Deckel, in dem Gemüse auf offener Flamme gart, daneben ein großer Topf mit Couscous. In einer Nische neben der Kochstelle haben sich die Frauen einen Ofen aus Stein gebaut, in dem sie ihr Brot backen. Es scheppert und klirrt und brodelt und dampft, Babys weinen, Kinder laufen umher. Nach und nach kommen auch die Männer heim.
Mitten in dem Gewusel gönnt sich Fatima einen Moment Ruhe. Sie ist das Oberhaupt der Berbergroßfamilie, die hier in diesem kleinen Ort Imi n tala im Hohen Atlas, in einem einfachen Haus aus Lehm lebt.
An den kühlen Abenden trifft sich die Großfamilie am Küchenofen
Auf rund 1400 Meter Höhe liegt das Berberdorf auf einer Anhöhe am Ufer des Amezmiztales. Der Boden hier ist lehmig und feucht. Viele Einwohner betreiben hier Ackerbau, andere fahren täglich nach Marrakesch, treiben dort Handel und kehren abends wieder Heim.
Auch im Frühjahr und Sommer, wenn in dem knapp 80 Kilometer entfernten Marrakesch längst Frühling beziehungsweise Sommer ist, kann es im Hohen Atlas noch empfindlich kalt werden. Eine richtige Heizung gibt es auch bei Fatima nicht, obwohl ihr Clan der reichste im ganzen Dorf ist. Und so versammelt sich in den kühlen Abendstunden die ganze Großfamilie vor Fatimas Wärme spendendem Holzofen in der Wohnküche.
Für die Wanderer, die hier auf ausgetretenen Maultierpfaden im Hohen Atlas unterwegs sind, hat Fatima in einem Anbau zwei Gruppenschlafräume hergerichtet. Die Einrichtung ist spartanisch, aber die Matratzen sind gemütlich, und Wolldecken gegen die Kälte hat Fatima stapelweise vorrätig. Einen Telefonanschluss oder gar eine Homepage hat Fatima nicht. Aber nahezu alle Wanderführer kennen „Mama Fatima“ und ihre Gastfreundschaft und kehren hier gern mit ihren Touristengruppen ein. Von der Dachterrasse, die sich über den Schlafräumen befindet, haben sie einen guten Blick über das Dorf und über die Berge.
Wer sich nach einem anstrengenden Wandertag aufwärmen und stärken möchte, der ist in Fatimas Küche herzlich willkommen. Gegen ein paar Dirham bietet sie auch Hennazeremonien an und backt noch ein paar Brote mehr. „Wir kochen ja ohnehin für eine Großfamilie, da kommt es auf ein paar Menschen mehr oder weniger auch nicht an“, sagt die Mitte 40-Jährige und zwinkert fröhlich mit den Augen.
Hier wird aus einfachsten Mitteln ein schmackhaftes Essen gemacht
Wie viele Menschen eigentlich hier mit ihr unter einem Dach leben, darüber scheint sie sich ohnehin gar keine Gedanken zu machen. Auf die Frage weiß sie jedenfalls nicht sofort eine Antwort. „Babys mitgezählt oder nicht?“ Die bisweilen uneingeschränkte Aufmerksamkeit, die Kinder in Deutschland erfahren, ist den Berbern fremd. Denn so richtig mitgezählt werden sie im Grunde erst, wenn sie auch mit anpacken können. Bis dahin sind sie einfach nur da und schlummern in den Tüchern, die sich die Erwachsenen oder Heranwachsenden umwickeln.
Für europäische Touristen, die von zu Hause Einbauküchen, Cerankochfelder und Kaffeevollautomaten kennen, ist es beinahe kurios, mitzuerleben, wie hier mit den einfachsten Mitteln aus ein bisschen Couscous und buntem Gemüse ein üppiges und schmackhaftes Abendessen entsteht.
Obwohl es diverse Anbieter für die Wandertouren im Hohen Atlas gibt, bewegen sich die Besucher hier doch größtenteils abseits der Touristenströme in Marrakesch, Essaouira, Rabat und Casablanca. Die wenigen Wanderer, die sich dieses Gebiet aussuchen, sind auf Wanderführer angewiesen. Ausgeschilderte Pfade gibt es nur selten. Dafür haben die Guides – viele von ihnen sind selbst in einem der Berberdörfer groß geworden – viel zu erzählen. Über die Pflanzen und Kräuter, die in frischen Tees oder in der Tagine Verwendung finden, und über die Geschichte der Berber, die hier zu Hause sind.
Viele fahren täglich nach Marrakesch zum Arbeiten
„Die Berber sind dafür bekannt, dass sie alles können und hart im Nehmen sind“, erzählt der Wanderguide Mubarak, selbst in einer Berberfamilie ein paar Dörfer weiter aufgewachsen. Und so komme es, dass viele der Berbersprösslinge ihre Dörfer zumindest unter der Woche verlassen und zum Arbeiten nach Marrakesch fahren, um Geld für die Großfamilie zu verdienen. Die meisten Berber leben noch immer in Armut, viele ganz ohne Strom und Wasser. Weil sich Touristen selten in ihre Dörfer verirren, sind sie meist etwas scheu und schauen neugierig auf die mit Trinkflaschen, Rucksäcken und Goretex-Jacken ausgerüsteten Menschen, die für einen kurzen Moment eine fremde Welt in ihre Kultur bringen. Eine Kultur, die sich seit Hunderten von Jahren kaum verändert hat.
Die Berber – abschätzig auch als „Barbaren“ bezeichnet – zählen zu den Ureinwohnern Nordafrikas. Sie waren hier, bevor die Römer kamen und die Araber und die Franzosen und viele ander Eroberer. Etwa zwei Drittel der Bewohner Marokkos sind Berber. Ihre Heimat sind der Hohe und Mittlere Atlas sowie einige Vorsahara-Regionen. Ihre selbst gefertigten Waren haben es von hier aus zu Bekanntheit auf der ganzen Welt geschafft.
Ihre Berberteppiche und ihr Kunsthandwerk findet man auch auf vielen Märkten, den „Souks“, der marokkanischen Städte. Lange Zeit wurde mit der Marke „Berber“ zwar Geld verdient, das Volk selbst aber war kaum in die Gesellschaft integriert. „Erst mit König Mohammed, der seit Ende der 90er-Jahre das Land regiert, wurden unsere Rechte wieder gestärkt“, sagt Wanderführer Mubarak. „Unser Alphabet wurde zum Beispiel schriftlich festgehalten und offiziell anerkannt.“
Brotstreifen, zwischen die Finger geklemmt, dienen als Besteck
Rund 300 Berberstämme leben im Königreich Marokko. Sie sind größtenteils nach einer einheitlichen Struktur organisiert. Der Stamm (auch Kabila oder Taqbilt genannt) ist in mehrere Fraktionen unterteilt. Jede davon setzt sich wieder aus mehreren Sippen und Großfamilien zusammen. Oberhäupter sind jeweils die ältesten Stammesangehörigen, die wiederum die Ratsversammlung bilden. Frauen haben in den Berberfamilien traditionell mehr Rechte als bei den Arabern. So müssen sie in der Öffentlichkeit beispielsweise auch kein Kopftuch tragen und sind häufig die gesellschaftlichen und sozialen Oberhäupter der Clans.
So wie Mama Fatima. Sie hat im Dorf eine bürgermeisterähnliche Stellung. Lange Jahre hat sie in Nordfrankreich verbracht, kennt somit die europäische Kultur und weiß, was die Touristen wünschen. Zum Beispiel ein Heim, das mehr ist als eine schmucklose Lehmbude. So ein Heim hat sie hier im Nirgendwo geschaffen. Als das Essen fertig ist, lassen sich die Familie und die Touristen um den großen Tisch herum nieder. Das Brot klemmen sie in Streifen zwischen ihre Finger und benutzen es als Besteck.
Nebenher läuft eine Art Berber-TV im Fernsehen. In der Serie tragen die Darsteller westliche Markenklamotten und leben in amerikanisch aussehenden Häusern. Eine andere Welt, die sie wohl nie selbst erfahren werden. „Ein Ausreisevisum zu bekommen, ist schwierig und für die meisten auch unerschwinglich“, sagt Fatima. Viel geredet wird sonst nicht beim Essen.
Es ist etwa 19 Uhr, und mittlerweile sind alle schon ziemlich müde. Die Berber stehen mit der Sonne auf, gehen früh zu Bett und gehen dazwischen ihrer täglichen Arbeit nach. Heute, morgen und an jedem anderen Tag.
Tipps & Informationen
Anreise z. B. von Hamburg mit Germania nonstop, mit TAP Portugal über Lissabon oder mit Lufthansa über Frankfurt nach Marrakesch.
Von Frankfurt/Hahn fliegt Ryanair.
Pauschal z. B. achttägige Reise „Marrakesch – sportlich und intensiv“, 11. bis 18. Oktober, ab 1109 Euro inkl. Flug, buchbar über Frosch-Reisen, www.frosch-sportreisen.de; Übernachtung in Marrakesch zum Beispiel im Riad Chorfa in der Altstadt, Ü/F ab 49 Euro, www. riadchorfa.com
Restaurant Marokkanische und mediterrane Küche und ein sensationeller Blick über die Stadt bietet z. B. das Café Arabe (184 Rue Mouassine). Meist gut besucht von Touristen aus dem Westen, besser vorher reservieren.
(Diese Reise wurde ermöglicht durch Frosch-Sportreisen.)