Erkrath. Die Impfwoche ist gestartet. Sie erinnert an einen Schutz, den viele ignorieren. Das Sicherheitsgefühl ist nicht immer gerechtfertigt.
Masern, Mumps und Röteln wären ausgerottet, wenn sich jeder impfen ließe. Doch davon sind wir weit entfernt: Fast 650.000 Kinder in Europa erhalten laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht die erste Dosis des Masernimpfstoffs, um die Bedingungen für den grundlegenden Impfschutz zu erfüllen. Deshalb soll die Europäische Impfwoche, die am Sonntag startete, daran erinnern: Ein Piks kann Leben retten. Denn selbst die oft verharmlosten Masern können tödlich sein. 2014 starben nach WHO-Angaben 114.900 Menschen an den Folgen.
Warum sind Impfungen sinnvoll?
Seit der Entwicklung des ersten Pocken-Impfstoffes durch Edward Jenner 1796 tragen Impfungen dazu bei, Infektionskrankheiten einzudämmen oder sogar auszurotten. „Wissenschaftler halten die Schutzimpfungen für eine der sichersten und wirksamsten Vorsorgemaßnahmen, über die die Medizin heute verfügt“, sagt Dr. Monika Stichert. Die Expertin, die eine arbeits- und reisemedizinische Praxis im Rheinland hat, muss mit ihren Kollegen allerdings immer wieder Menschen davon überzeugen. Denn es gibt in Deutschland keine Impfpflicht, sondern nur Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko).
Dr. Burkhard Rieke, Arzt für Innere Medizin mit der Zusatzbezeichnung Tropenmedizin und Infektiologie, nutzt gern das Bild eines Schirms, den man aufspannen sollte. „Hat fast jeder einen, wird niemand nass, da Einzelne noch beim Nachbarn unterschlüpfen können. Aber heute wollen zu viele nur noch unterschlüpfen, ohne selbst zum Schutz beizutragen“, erklärt der Experte im Hinblick darauf, dass viele Deutsche mit „Impflücken“ leben. Eine gefährliche Situation, so der Experte. Denn: Weil dank der Impfungen viele Erkrankungen erst gar nicht mehr auftreten, haben sie offenbar ihren Schrecken verloren.
Was passiert im Körper?
Als Situation, die einer Infektion ähnelt, beschreibt Burkhard Rieke die Vorgänge im Körper: „Bei einer Impfung geben wir ein Antigen, also zum Beispiel ein Stück eines Keims. Es wird von Zellen aufgenommen, die es dem Immunsystem mithilfe eines Gefahrensignals als gefährlich präsentieren. Dadurch entsteht eine Art Alarmstimmung, in deren Folge sich Antikörper entwickeln, die den Menschen schützen.“ Dies geschieht laut Rieke, indem sich eine sogenannte Gedächtniszelle das Wissen merkt, mit dessen Hilfe die Krankheit in Schach gehalten wird. Die Immunreaktion, die sonst erst durch Infektion entsteht, wird vorgezogen – so können Krankheitssymptome später gar nicht erst entstehen.
Es gibt sehr unterschiedliche Arten von Impfstoffen: von abgetöteten Krankheitserregern bis zu den seltenen Lebendimpfstoffen, die Rieke zufolge eine abgemilderte Form der Krankheit und damit eine Abwehrreaktion im Körper hervorrufen.
Welcher Schutz ist unverzichtbar?
Mumps, Masern und auch die Röteln könnten ausgerottet werden, „wenn sich möglichst alle, also 95 Prozent der Bevölkerung, dagegen impfen ließen“, erklärt Monika Stichert. „Die Keime, die diese Erkrankungen auslösen, sitzen ausschließlich im Menschen. Aber sie sind extrem infektiös und finden die Ungeimpften in der Bevölkerung, wenn es mehr sind als fünf Prozent.“ Das Ziel der WHO ist es, diese Viren bis zum Jahr 2020 auszurotten.
Burkhard Rieke weist darauf hin, dass beispielsweise die Masern nicht verharmlost werden sollten: „Sie sind einer der wesentlichen Gründe für Blindheit, gerade in Afrika, weil sich die Hornhaut bei Masern quasi abrubbelt.“ Zu den weiteren wichtigen Impfungen zählen laut Monika Stichert die Diphtherie-, Keuchhusten- und Tetanus-Impfungen, die regelmäßig wieder aufgefrischt werden müssen. Eine viermalige Impfung gegen Polio (Kinderlähmung) gilt nach ihren Worten als Schutz für den Fall, dass diese in Deutschland ausgerottete Erkrankung wieder zurückkehren sollte. Auch gegen Pneumokokken (Lungenentzündung) und Windpocken (Varizellen) sollte man vorsorgen.
Für Menschen ab dem 60. Lebensjahr und Personen mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Herz- und Lungenerkrankungen oder einer HIV-Infektion, ist auch die jährliche Grippeschutzimpfung empfehlenswert. Das gilt auch für medizinisches Personal, Laboranten und Pfleger, die sich zudem gegen Hepatitis A und B impfen lassen sollten.
Wie können Reisende Erkrankungen vorbeugen?
Wer eine Reise plant, sollte vorab seinen Impfstatus überprüfen. Spezialisierte Reisemediziner wissen, welche Impfungen im jeweiligen Ein- und Durchreiseland vorgeschrieben sind. Fehlt etwa die Gelbfieber-Impfung im Impfpass, können manche afrikanische Staaten die Einreise verweigern. Zudem gibt es je nach Reiseziel empfohlene Reiseimpfungen. Dazu gehören die gegen Typhus, Hepatitis A/B oder Tollwut. Selbst wer in Deutschland reist, benötigt manchmal eine spezielle Impfung – zum Beispiel, wenn er in ein Risikogebiet für die durch Zecken übertragene Frühsommer-Hirnhautentzündung (FSME) reist.
Wie sieht es mit Impfschäden aus?
Es kommt vor, dass Impfungen nicht vertragen werden – das Paul-Ehrlich-Institut, Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, verzeichnet Fieber, Kopfschmerzen und Übelkeit als häufige Nachwirkungen. Burkhard Rieke sieht das Risiko als gering an im Vergleich zu dem Gewinn. Er tritt Bedenken entgegen, was gravierende Folgen betrifft: Drei schwerer wiegende Fälle, die er melden musste, hat er in der Praxis erlebt. Das Infektionsschutzgesetz, das zu Zeiten der gefährlichen Pockenimpfungen noch eine wichtige Rolle beim Ausgleich von Impfschäden spielte, habe seine Bedeutung heute weitgehend verloren. Rieke: „Es gibt jährlich um die 30 anerkannte Anträge nach Impfschäden.“