Familie Reutter liebt Look und Sound nostalgischer Jukeboxen. Am Wochenende treffen sich die Freunde von Wurlitzer & Co. in Herne.
Möbel? Werden überschätzt, finden Petra und Jupp-Willi Reutter. Im Erdgeschoss ihres Hauses in Recklinghausen sucht man Schränke und Sofas vergeblich. Ambiente gibt’s hier dennoch reichlich – es stammt aus einer Zeit, als Elvis noch der King und Spotify Science-Fiction war: Musikboxen aus Chrom, Glas und buntem Licht beamen den Besuch der Reutters mit ihrem Look gleich beim Eintreten ins Amerika der 50er- und 60er-Jahre.
Rock-Ola, Seeburg oder AMi prangt auf den Jukeboxen, wie man die Automaten inzwischen auch bei uns nennt. Und natürlich: Wurlitzer, der bekannteste Hersteller. „Der war vor allem in den 40ern sehr erfolgreich“, weiß Jupp-Willi Reutter (68, kl. Foto).
50 Boxen sind es insgesamt, im ganzen Haus verteilt – dazu nochmal 50 in einer Lagerhalle. „Sogar im Schlafzimmer haben wir zwei“, verrät Petra Reutter. Neben einem Bett natürlich – ganz auf Möbel verzichten wollen die Eheleute dann doch nicht.
Sie ahnen es sicher schon: Die Reutters sammeln Musikboxen – und das seit 35 Jahren. Angefangen hat es damals mit einer deutschen Tonomat. „Sie stand in einer Kneipe in Castrop-Rauxel, ausrangiert“, erinnert sich Jupp-Willi Reutter. Für 300 Mark trennte sich sich der Wirt von dem defekten Kasten – und bald schon war die Sammelleidenschaft entfacht.
Tausende Singles im Keller
„Die Tonomat haben wir noch reparieren lassen“, so der pensionierte Fotograf, „aber bei den anderen haben wir dann selbst Hand angelegt.“ Funktionsfähig ist nämlich keine Musikbox, wenn sie zu den Reutters kommt: „Es ist immer alles kaputt. Wir haben unglaublich viel geschraubt in unserem Leben.“ Und das tun sie immer noch, die Reutters – inzwischen mit familiärer Unterstützung: Sohn Paul (38. gr. Foto li.) ist buchstäblich inmitten von zerlegten Musikboxen aufgewachsen und bastelte von Kindesbeinen mit. Die Eltern freut’s, so ist der Fortbestand der europaweit bedeutenden Sammlung gesichert.
Auch im Musikboxenverein, den die Reutters 1997 gründeten, haben Eltern wie Sohn Ämter inne: vom Sprecher über die Schatzmeisterin zum 2. Vorsitzenden. Und wenn am Wochenende wieder einige Prunkstücke zum Jahrestreffen nach Herne (s.u.) geschafft werden müssen, packen alle mit an.
Etwas leichter zu transportieren: die 45er-Singles – das Futter für die Musikboxen. Auch davon gibt’s reichlich im Hause Reutter, es dürften etliche Tausend sein, die im Keller die Regale füllen. Die Auswahl ist groß – Stones, Elvis, ABBA, die Bee Gees, auch Schlager der 50er-, 60er- und 70er liegen bereit. Beim Befüllen ihrer Boxen können die Reutters also aus dem Vollen schöpfen. Eine haben sie aktuell einfach mal mit Singles eines einzigen Interpreten befüllt – mit denen von Elton John. Auf solche Ideen kann man kommen, wenn man ein paar Musikboxen zur Auswahl hat ...
Wo am Wochenende die Jukeboxen rocken
378 Mitglieder hat der Musikboxenverein e.V., in dem auch die Reutters ihr Hobby mit Gleichgesinnten teilen. Sie stammen nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus dem angrenzenden Ausland. Einmal im Jahr treffen sich die Vereinsmitglieder – zumindest viele von ihnen – zum Jahrestreffen in Herne. Doch nicht nur sie sind geladen, auch alle anderen Interessierten dürfen vorbeischauen – und das bei freiem Eintritt.„Junge Menschen kennen Jukeboxen in der Aufstellung ja gar nicht mehr“, so Jupp-Willi Reutter. Das Event sei eine der seltenen Gelegenheiten, die bunt leuchtenden Stimmungsmacher aus einer anderen Zeit in Aktion zu erleben. Rund 20 Musikboxen aus verschiedenen Jahrzehnten werden im Veranstaltungszentrum des Revierparks Gysenberg zu bewundern sein. Wer das nötige Kleingeld hat, kann davon die eine oder andere zudem erwerben.
Neben Jukeboxen bringen die Aussteller und Vereinsmitglieder aber auch andere Schätzchen aus der analogen Unterhaltungswelt vergangener Dekaden mit – etwa Flipper, Verkaufsautomaten und viele, viele Kisten mit Schallplatten. Dazu wird noch einiges mehr an Sammelwürdigem aus dem Rock-Pop-Bereich ausgetauscht.
2.+3.11. Jahrestreffen des Musikboxenverein e.V., Sa 11-18 Uhr, So 11-17 Uhr, VZG – Veranstaltungszentrum Gysenberg (ehem. Freizeithaus), Am Revierpark 40, Herne. Eintritt frei.
SCHON GEWUSST?
10.000 bis 25.000 € können gut restaurierte Musikboxen der Top-Marken kosten, natürlich gibt’s weit günstigere Einsteigermodelle. Familie Reutter verkauft einige ihrer Musikboxen, zum Beispiel am Wochenende – aber nur Modelle, die sie doppelt besitzt. Über die Homepage www.musikbox-plusplus.de bietet Petra Reutter (gr. Foto re.) auch andere Nostalgieobjekte wie Spielzeug und Kaugummiautomaten an.
Wurlitzer war der bekannteste Hersteller von Musikboxen und prägte den Look mit ihren farbenfrohen Modellen im Art-déco-Stil. 1960 gründete sich als Tochterunternehmen die Deutsche Wurlitzer im ostwestfälischen Hüllhorst. Hier wurden auch noch Musikboxen gebaut, nachdem der US-Mutterkonzern die Produktion 1974 bereits eingestellt hatte.
Soundies hießen die Vorläufer der Musikvideos, die in den USA der 40er-Jahre auf speziellen Film-Jukeboxen liefen: dreiminütige Musikfilme von Stars wie Louis Armstrong, die für 10 Cent abgespielt wurden. Der Siegeszug des Fernsehens verhinderte eine weitere Verbreitung der Technik.