Essen. Im Interview verrät Sängerin Eva Briegel, warum es so eine lange Pause gab und wieso der Hit „Perfekte Welle“ Segen und Fluch zugleich ist.

Mit „Perfekte Welle“ und „Geile Zeit“ lieferte die Band Juli Hits, die im Radio und Music-TV rauf und runter gespielt wurden. Auf dem neuen Album „Der Sommer ist“ knüpfen Sängerin Eva Briegel & Co. an den Sound der frühen 2000er an. Wieso sich die 44-Jährige manchmal weniger Rummel gewünscht hätte und „Perfekte Welle“ nicht mehr probt, verrät sie im Interview mit Kirsten Gnoth.

„Der Sommer ist vorbei“ ist das erste Album seit neun Jahren. Woher rührte die lange Pause?

Eva Briegel: Zum einen ist uns das Leben dazwischengekommen. Bei uns ist privat viel passiert, Familie und Kinder. Jeder von uns hat sich auch anderen Projekten gewidmet und plötzlich sind mehrere Jahre vergangen. Zum anderen haben wir uns tatsächlich sehr viel Zeit gelassen und sehr lange daran gearbeitet (lacht). Die erste Single „Fahrrad“ ist bereits 2019 erschienen und wir wollten voll loslegen. Tja, und dann kam Corona und hat uns zurückgeschmissen. Davor haben wir im kreativen Prozess einiges umgeworfen und ein paar Songs neu aufgenommen. Daraus sind wieder neue Sachen entstanden. Vielleicht dürfen wir einfach nicht mehr so viel wegwerfen und müssen mehr Platten rausbringen (lacht).

Das eigene Tempo haben zu können, ist schon ein gewisser Luxus, oder?

Schon, und da bin ich auch stolz drauf, dass wir uns diesen Luxus gönnen. Wir möchten nur nicht so lange abtauchen, dass wir aufs Neue erklären müssen, wer wir eigentlich sind, wenn mal wieder was von uns kommt (lacht).

Hatten Sie bei dem neuen Album Angst, dass das nach der langen Zeit passiert?

Ein bisschen vielleicht. Bei jedem Album müssen wir gucken, ob das, was wir machen, überhaupt noch funktioniert. Gleichzeitig ist es gut, dass wir uns sehr viel Zeit lassen. Ich möchte gar nicht mit einer solch hohen Frequenz und Intensität in der Öffentlichkeit stehen.

Sie persönlich haben die Pause auch genutzt, um Psychologie zu studieren. Hört man das dem neuen Album an?

Überhaupt nicht. Dann würde die Platte vermutlich in Richtung Selbsthilfe oder Lebenshilfe gehen (lacht). Wir suchen nach Themen, die uns in irgendeiner Weise bewegen und dann entsteht ein Gefühl daraus, dass immer stärker wird. Irgendwann entsteht aus diesem Gefühl ein Text.

Für das neue Album sind sie alle im Studio wieder zusammengekommen. Wie war das erste Mal nach der langen Zeit?

So ein richtiges erstes Mal gab es eigentlich gar nicht. Wir hatten seit der letzten Platte kontinuierlich Kontakt. Über die Corona-Zeit hinweg waren wir auch immer unsere Kontaktpersonen – man durfte ja nur eine gewisse Anzahl außerhalb des eigenen Haushalts haben. Wir hatten uns also immer wieder miteinander getroffen, wenn nicht die ganze Band, dann doch zu zweit oder zu dritt, haben geredet und mal was geschrieben. In den Sommern haben wir auch Konzerte gespielt.

Reisen wir ein bisschen in die Vergangenheit. Vor 25 Jahren saßen Sie das erste Mal zusammen im Proberaum. Können Sie sich daran noch erinnern?

Das ist ein bisschen schwierig. Mein erstes Mal mit Simon (Triebel, Gitarre, Anm. d. Red.), Jonas (Pfetzing, Gitarre, Anm. d. Red.) und Dedi (Andreas Herde, Bass, Anm. d. Red.) war ja nicht das erste Mal mit der ganzen Band. Vorher hatten wir einen anderen Schlagzeuger. Das erste Treffen mit der ganzen Band war dann eher pragmatisch (lacht). Marcel (Römer, Anm. d. Red.) sollte bei uns als Schlagzeuger einsteigen und wir haben ihm zwei oder drei Stücke von uns zum Spielen gegeben. Wir haben schnell gemerkt, dass er es ist, weil er der beste Schlagzeuger ist und die Band mit seinem Sound ein Stück weit verändert hat. Man könnte sagen, dass das die Geburtsstunde von Juli war. Kurz darauf haben wir angefangen auf Deutsch zu singen.

Nachdenklich und ernst sind nicht nur die Minen der Bandmitglieder, sondern auch die Texte.
Nachdenklich und ernst sind nicht nur die Minen der Bandmitglieder, sondern auch die Texte. © Amélie Siegmund | Amélie Siegmund

Kaum zu glauben, aber in den frühen 2000ern war das ein Meilenstein.

Ja, wirklich kaum zu glauben. Wir sind Helden und Silbermond waren noch nicht da, es gab nur Rosenstolz. Deutsche Musik war sonst Peter Maffay. Wir kamen selbst aus dem Englischsprachigen, haben Nirvana und Soundgarden gehört. Doch für uns lag es irgendwie in der Luft. Wir hatten das Gefühl, dass es etwas völlig Neues und Abgefahrenes ist, was wir machen. Es war wirklich wild.

Der Erfolg von „Perfekte Welle“ und „Geile Zeit“ bestätigte das Gefühl.

Es ist ein Segen und Fluch zugleich. „Perfekte Welle“ hat etwas losgetreten, dass wir so nicht vorhersehen konnten. Plötzlich saßen wir in einer Fernsehsendung und haben über ein neues Deutsches Bewusstsein gesprochen und darüber, ob man so etwas überhaupt haben darf. Die Rede war auch von Radioquoten – es sollten mehr deutschsprachige Lieder gespielt werden und so weiter. Die Menschen haben sich gesamtgesellschaftliche Gedanken gemacht.

Auf dem neuen Album findet sich im Song „Irgendwann“ auch die Zeile „es war ‘ne geile Zeit“. Da dürften viele Fans schmunzeln. War es denn damals wirklich eine „geile Zeit“?

Das war eine Riesenparty und das muss stehen bleiben. Aber es gab natürlich Momente, in denen ich mir gewünscht habe, es wäre vorbei.

Wieso?

Wir waren danach zweieinhalb Jahre eigentlich dauerhaft auf Tour. Es war körperlich und psychisch extrem anstrengend. Jeden Abend eine Show, jeden Abend eine Party – und wir waren wild entschlossen, uns zu amüsieren (lacht). Wir haben es uns manchmal auch selbst unnötig schwer gemacht. Wir haben uns in den Kopf gesetzt, in jeder Fernsehsendung live zu spielen, während andere das mit Vollplayback gemacht haben. Manchmal hat es super geklungen und manchmal auch nicht. Das ist wie bei jedem Job von der Tagesform abhängig und es gab Momente, die ich versemmelt habe. Bei einem Bürojob sagt man „Schwamm drüber!“ Die Sachen sieht eine ganze Nation – auch heute noch übers Internet. Es gab Tage, da habe ich gedacht, das sei der schlimmste Job der Welt. Aber alles in allem war die Zeit total toll.

Sicherlich stehen „Perfekte Welle“ und „Geile Zeit“ auch auf der Setlist für die neue Tour, oder können Sie die Songs nicht mehr hören?

Ich spiele die Songs immer noch total gerne. Auch für unsere Fans haben die eine ganz große Bedeutung, das sehen wir bei Konzerten immer wieder. Dann prosten sich die Menschen zu oder liegen sich in den Armen. Jeder hat dazu seine eigene Geschichte. Ich habe nur zu den Jungs gesagt, dass ich bis zur Tour „Perfekte Welle“ nicht mehr proben möchte. Das Lied sitzt (lacht). Bei jedem von uns ist es förmlich ins Rückenmark übergegangen. Die Hände, die Füßen und die Stimmbänder bewegen sich von allein.

Wie sehen Sie den Song heute? Immerhin haben Sie ihn vor einer langen Zeit geschrieben.

Ich finde, er ist gut gealtert. Ich denke heute nicht „Oh Gott, was hast du damals mit Mitte Zwanzig geschrieben?“. Wenn man alte Tagebücher liest, hat man ja manchmal solche Momente, aber da gar nicht. Ich kann mich heute damit immer noch identifizieren. Außerdem ist das Lied so eine Art Lebenssong für uns geworden. Damals haben wir überlegt, wie es mit uns weiter geht. Ob wir eine Lehre machen oder es doch mit der Musik versuchen. Mit „Perfekte Welle“ haben wir uns für die Musik entschieden. Das Studium und die Ausbildung mussten warten. Der Song hat uns wie eine Welle getragen und uns ganz viel Positives geschenkt – wie die Band zum Beispiel, die ist meine zweite Familie. Außerdem sind wir immer noch zusammen und machen Musik, auch das ist ein Geschenk.

Das klingt so, als wären Sie ein großer „Perfekte Welle“-Fan?!

Ja, auch der Sound von dem Stück begeistert mich heute immer noch. Wenn es los geht und die Gitarre langsam lauter wird. Das klingt so, als würde man am Strand stehen und die Wellen hören. Ich liebe das Meer und bin oft am Strand – auch, weil wir nicht weit weg von der Ostsee wohnen.

„Der Sommer ist vorbei“ knüpft ein bisschen an diesen Sound an.

Das freut mich zu hören, weil wir versuchen, uns treu zu bleiben. Nur „In Love“ fällt da raus – das war schon sehr experimentell (lacht). Da haben wir mit vielen elektronischen Einflüssen rumgemacht. Aber schon bei „Insel“ wollten wir wieder mehr zum Analogen zurück. Wir wollen mit Instrumenten im Proberaum stehen und gucken, wo noch was hinmuss oder was zu viel ist. Wir wollen uns wieder mehr auf das verlassen, was wir als Musiker können. Wenn alles am Computer optimiert wird, bleibt wenig Platz für Fehler und die möchten wir machen können. Also haben wir die Platte so ähnlich gemacht wie unsere erste.

Eine Frage, die wohl vielen unter den Nägeln brennt: Der Sommer ist doch nicht wirklich vorbei, oder?

Nein (lacht)….mit uns als Band hat das gar nichts zu tun. Wir haben den Titel ausgesucht, weil wir ein Gefühl dazu hatten. Es fühlte sich an, als werden die Zeiten rauer und kälter. Wir mussten alle metaphorisch den Mantel anziehen und haben den Kragen hochgeschlagen. Der Titel kam also auf und alle haben diesen Vibe verstanden. Auch die Musiklandschaft hat sich verändert und wir müssen uns darin erstmal zurechtfinden. Du gehst ins Studio, machst ein Video, dann kommt das Lied im Radio und es gibt einen Fernsehauftritt – heute ist es anders. Vielleicht funktioniert das aber auch ganz wunderbar mit Spotify und anderen Streamingdiensten, wer weiß. Aber vielleicht kommen auch diese rauen Zeiten. Auflösen werden wir uns aber nicht.

Juli auf Tour: