Bochum. Charlotte Brandis Album „An den Alptraum“ ist ein gut geglücktes Experiment. Die aus Dortmund stammende Singer/Songwriterin kommt nach Bochum.

Sie geht neue Wege: Charlotte Brandi hat die LP „An den Alptraum“ veröffentlicht. Ein Werk, an dem kein Mann beteiligt war. Ob Songwriting, Texte, Instrumente, Produktion oder die Abmischung: Alle Prozesse waren Frauen oder nicht-binären Personen vorbehalten, einmalig für ein in Deutschland gefertigtes Pop-Album. „Ich wollte herausfinden, was das mit mir als Person und als Musikerin macht, und was das mit der Musik macht, wenn kein Mann im Raum ist. Das hat gut geklappt und ich bin stolz drauf“, fasst die aus Dortmund stammende und in Berlin lebende Sängerin zusammen. Das sieht die Kritik ähnlich: So kürte die renommierte Fachzeitschrift „Musikexpress“ „An den Alptraum“ zum Album des Monats.

Was Brandi, die die Platte selbst produziert hat, als besonders positiv empfand: „Ich war diesmal nicht abgelenkt. Immer, wenn ein Mann im Studio mitgemacht hat, wollte ich ihm gefallen und das Gefühl geben, dass er etwas kann, was ich nicht kann. Habe so getan, als würde ich etwas nicht wissen, was ich eigentlich wusste. Es war anstrengend, darauf zu achten, diesmal aber kein Thema.“ Hier und da war es nur schwierig, die nötigen Positionen zu besetzen: „Zwei Drittel der Kontakte für die Arbeiten hatte ich schon, weil wir in Berlin nun mal sehr gut vernetzt sind und ich dort nach zwölf Jahren viele kenne. Es gibt nur Positionen, die schwerer zu besetzen sind als andere, vor allem Schlagzeugerinnen, Mix und Produktion. Deswegen habe ich die Platte selbst produziert. Da hat man schon gemerkt, dass hierzulande noch einiges unterfüttert ist, was „Nicht-Männer“ angeht.“

Charlotte Brandis Ex-Musikpartner hat den Kontakt abgebrochen

Einen Namen in Feuilleton- und Indie-Kreisen machte sich Brandi in den 2010er-Jahren mit der Formation Me And My Drummer. Nach zwei Alben und mehr als 300 Konzerten quer durch Europa löste Schlagzeuger Matze Pröllochs die Band 2018 auf. „Er wollte keinen Kontakt mehr. Wir hatten uns intensiv aneinander aufgerieben. Das Thema ist für mich wie eine sehr schlimme Scheidung. Es war wichtig, jahrelang Funkstille zu haben. Es kann sein, dass wir uns irgendwann nochmal annähern, aber ich weiß es nicht.“

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Solo lotet die Wahl-Berlinerin seither die Grenzen zwischen Chanson, Folk-Pop, Indie und Dream-Pop aus. Ihre wandelbare Stimme klingt dabei mal kräftig und emotional, mal flüsternd oder säuselnd. „An den Alptraum“ folgt auf das Solodebüt „The Magician“ (2019) und die EP „An das Angstland“ (2020). Mittlerweile textet Brandi über Sexismus, Politik, Geld und ihre Ängste auf Deutsch: „Ich mag das Manierierte in der deutschen Sprache, so wie in Schuberts ,Winterreise’ oder bei Hildegard Knef. Deutsch kann sehr erhaben klingen, wenn man es richtig nutzt.“

Über doofe Jungs und konservative Wiener

Das hört man in vielen Songs, unter anderem im Opener „Ekel“, in dem sie Sexismus thematisiert. Die Inspiration kommt da aber nicht von Hildegard Knef & Co. : „Ich habe da etwas Seltsames geträumt. Ich stand in Dortmund auf dem Schulhof, dann waren da Jungs, die auf mich gezeigt und ‚Iiih, du bist eklig! Charlotte ist eklig!‘ riefen. Kinder sagen das noch, Erwachsene eher nicht. Ekel ist so eine starke Abneigungsempfindung. Da habe ich einen Text geschrieben über Sachen, die nie jemand zu mir gesagt hat, die aber im Raum standen, wenn ich das Gefühl hatte, dass Ablehnung mir gegenüber im Raum stand, in dem Fall misogyne Ablehnung.“

Lang lang ist’s her: Me and My Drummer tourten in den 2010er-Jahren durch Europa.
Lang lang ist’s her: Me and My Drummer tourten in den 2010er-Jahren durch Europa. © IKZ | Privat

Gehobene Sprache nutzen tut sie des Weiteren in der Singleauskopplung „Wien“. Vier Monate lebte Brandi in Österreichs Hauptstadt und ging mit gemischten Gefühlen zurück nach Berlin. Sie lernte „tolle Menschen“ kennen, liebt die Architektur sowie die Kunst von Gustav Klimt und Egon Schiele. Das Resümee fiel nach ihrer Berlin-Rückkehr aber eher durchwachsen aus: „Ich wollte mit dem Song einfach mal damit aufräumen, dass die Deutschen vor dieser Wiener Szene immer so buckeln. Es ist gut, was daher kommt, aber auch nicht soooo toll, wie es oft gemacht wird.“

Hinzu kamen Erfahrungen mit homophoben, rassistischen und misogynen Personen. „Da habe ich vieles als konservativ erlebt, Berlin danach viel mehr zu schätzen gelernt.“ Die Abrechnung gibt es auf „An den Alptraum“ in Songform, gehalten im passend imitierten Dialekt mit Zeilen wie „Du bist ‘ne komische, nicht ganz angenehme, politisch verklemmte Frau“.

Immer wieder gern im Ruhrgebiet

Da fühlt sich die 37-Jährige im Ruhrgebiet doch deutlich wohler, wenn sie zu Gast ist: „Ich bin immer an Weihnachten da, insgesamt zwei- bis dreimal im Jahr für mehrere Wochen. Ich verbinde mit Dortmund intensive Gefühle, hatte eine lustige, aufgewühlte Kindheit.“ Die typisch bodenständige, ehrliche Attitüde hilft ihr nach eigenen Angaben auch im oft nicht moralisch einwandfreien laufenden Musikgeschäft: „Da laufen viele Schaumschläger, Narzissten und Luftpumpen rum“, so ihr Fazit nach etwas mehr als einem Jahrzehnt in der Branche.

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Frust hegt Brandi zudem gegenüber der Politik. Zuletzt zog es sie gar zu den Demonstrationen nach Lützerath. Von dem Entscheid, das Dorf abreißen zu lassen, ist das Grünen-Parteimitglied schwer enttäuscht: „Ich glaube, wenn man etwas wirklich will oder nicht, findet man einen Weg, das durchzusetzen. Ich denke, Habeck hätte das schaffen können. Ich weiß aber nicht, wie mauschelig und interdependent es in der realen Tagespolitik ist und wie solche Entscheidungen getroffen werden.“ Mittlerweile überlegt sie, aus der Partei auszutreten: „Die Grünen sind für mich dadurch nur noch ein kleineres Übel gegenüber anderen Parteien. Ich hatte echt Hoffnungen in sie gesteckt, seit Lützerath ist das gekippt. Das war einfach ein Schlag.“

Dem Theater weiterhin treu

Da bereiten ihr Kunst und Kultur doch bessere Laune, neben ihrer Musikkarriere spielt Charlotte Brandi auch regelmäßig Theater und erhielt zuletzt gar mehrere Stipendien, was sie nach eigenen Angaben zur Corona-Hochphase „ganz gut über die Runden kommen ließ“. Nun aber kann sie endlich wieder touren, unterstützt von zwei Mitmusikerinnen. Zu hören gibt es viele Songs von „An den Alptraum“, aber vielleicht auch Stücke von Me And My Drummer. „Da habe ich noch gar nicht drüber nachgedacht. Ich überlege es mir.“

Charlotte Brandi live: 31.3. Bochum (20 Uhr, Christuskirche). Karten auf www.reservix.de für ca. 24 €.