Mülheim.

Mit zögerlichen Schritten nähert sich das junge Mädchen dem ersten Raum der neuen „Van Gogh“-Ausstellung im Mülheimer Technikum. Den niederländischen Maler dürfte sie nur aus dem Kunstunterricht der Schule kennen – oder aus Museen, in denen die Betrachter mucksmäuschenstill ihre Runden drehen und an die Wände starren.

Sie geht durch die Tür und ein Lächeln legt sich auf ihr Gesicht. Riesengroße 3D-Sonnenblumen tapezieren die Wände bis unter die Decke. Schnell zückt sie ihr Handy und stellt sich für ein Selfie vor die farbenprächtige Wand. Vom Nachwuchs bekommt „Van Gogh – The Immersive Experience“ also schon mal einen Daumen hoch. Doch auch Kunstkenner und -kennerinnen können im Technikum noch bis zum 15. Januar Neues rund um van Gogh erleben.

Sonnenblumen als Selfie-Motiv

Die Sonnenblumen begegnen den Besuchern und Besucherinnen immer wieder in der Ausstellung.
Die Sonnenblumen begegnen den Besuchern und Besucherinnen immer wieder in der Ausstellung. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Nach dem Gang durch die berühmten Sonnenblumen – die den Besuchern noch öfter im Technikum begegnen – gibt es erstmal Infos zum Maler. Vincent van Gogh: geboren am 30. März 1853 in Zundert im Südwesten der Niederlande. Lange blieb er kein Einzelkind, sondern bekam noch fünf jüngere Geschwister. Besonders zu Bruder Theodorus hatte Vincent eine enge Beziehung. Zwar zeichnete er schon zu Schulzeiten, entschloss sich aber erst 1880 (nach einigen beruflichen Umwegen) dazu, Maler zu werden.

187 Gemälde in 16 Monaten

Drei Jahre später war van Gogh nicht mehr zu bremsen. Der Eigenbrötler malte und malte und malte. Besonders das französische Örtchen Arles kurbelte seine Kreativität an – 187 Gemälde schuf er in 16 Monaten. Eigentlich sollte es nur ein Zwischenstopp auf seiner künstlerischen Reise nach Marseille sein, doch er blieb in dem zypressengesäumten Arles hängen.

Er lebte und arbeitete im „Gelben Haus“, das nun als Kopie des Ölgemäldes im Technikum zu sehen ist. Direkt daneben können Besucher einen Blick ins „Schlafzimmer in Arles“ hineinwerfen. Die Veranstalter von Cofo Entertainment haben kurzerhand das eher spartanisch eingerichtete Schlafgemach des Künstlers in Originalgröße nachgebaut. Glatt ist man geneigt, für einen kurzen Moment ins Bett zu schlüpfen.

Moderne Technik

Wer dem Drang widerstehen kann und den Rundgang fortsetzt, wird nur wenig später mit einem atemberaubenden Erlebnis belohnt. Langsam schiebt sich der dünne Stoffvorhang zur Seite und offenbart den Blick auf einen großen Raum. In der Mitte steht eine hölzerne Pyramide, die zum Hinsetzen einlädt, darum herum stehen Dutzende weiß-gepolsterte Bänke. Ein älterer Herr lässt sich auf eine Bank plumpsen und schaut sich um. Die Wände sind – dank unzähliger Projektoren unter der Decke – überzogen mit der „Sternennacht“ – eines der wohl bekanntesten Gemälde van Goghs.

Das satte Blau scheint den großen Raum und die Menschen darin förmlich zu verschlucken. Dann beginnen die Wände plötzlich zu leben. Sonnenblumenblätter fliegen wie vom Winde verweht virtuell durch den ganzen Raum. Eine sanfte Stimme liest aus den Briefen, die Vincent van Gogh im Laufe seines Lebens an Freunde und Verwandte schrieb, vor. Mit modernster Technik zeichnet der immersive Teil des Ausstellung das Lebens des Künstlers nach und gibt einen Einblick in dessen Psyche, die zugleich genial und gebrochen war.

„Sternennacht“ erwacht zum Leben

Das Schlafzimmer von van Gogh ist ebenfalls in Mülheim aufgebaut.
Das Schlafzimmer von van Gogh ist ebenfalls in Mülheim aufgebaut. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Mit verrenkten Hälsen blicken sich Kunstliebhaber und -liebhaberinnen im Raum um, versuchen jede Animation zu erhaschen. Von ersten Skizzen des Künstlers, die wie von einem unsichtbaren Stift gemalt an den Wänden erscheinen bis zur Japonismus-Phase des Künstlers, die einen regelrechten Kirschblütensturm im Raum auslöst. Und natürlich darf auch sie nicht fehlen, die „Sternennacht“. Schwer legt sie sich über die faszinierten Besucher und läutet ein düsteres Kapitel in der Lebensgeschichte des Niederländers ein.

Der Blick auf das Dorf Saint Rémy mit seinen züngelnden Zypressen und den Alpilles am Horizont offenbarte sich Vincent van Gogh, wenn er aus dem Fenster der Nervenheilanstalt schaute. Was ihn dorthin gebracht hatte, dürfte so ziemlich jedem bekannt sein. Nachdem van Gogh zwei Monate mit Malerkollege Paul Gauguin zusammen im „Gelben Haus“ gelebt und gearbeitet hat, schnitt er sich einen großen Teil seines linken Ohres ab. Als wahrscheinlichster Auslöser der blutigen Handlung gilt ein heftiger Streit mit Gauguin. Untermalt von aufgewühlt-klingender Musik flimmert das Selbstporträt van Goghs mit einem dicken Verband über dem Ohr durch den Raum. Rund ein Jahr nachdem dieses Bild entstanden ist, starb der Maler – er schoss sich vermutlich selbst mit einem Revolver in die Brust.

Allerdings endet der Rundgang durch die Ausstellung nicht auf dieser dunklen Note. Wer noch drei Euro übrig hat, kann mit einer Virtual-Reality-Brille auf der Nase in die Haut des Künstler schlüpfen. Um einmal die Welt mit van Goghs Augen zu sehen, lohnt sich der Griff in den Geldbeutel. Denn immerhin war es der Begründer der modernen Malerei, der einst sagte: „Die Normalität ist eine gepflasterte Straße: man kann gut darauf gehen – doch es wachsen keine Blumen auf ihr.“

Die Infos zur Ausstellung

„Van Gogh – The Immersive Experience“: bis 15.1.23, Di+Mi+So 10-18 Uhr, Do+Fr+Sa+Feiertage 10-20 Uhr, Mo geschlossen, Technikum, Wissollstr. 18, Mülheim.

Eintritt: Je nach Tag Erw. 20-22 €, Jug. 14-16 €, Ki. 11-13 €. Zudem gibt es Kombitickets für Van Gogh und Banksy (die Ausstellung läuft parallel im Technikum)

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