Essen. Am 14.10. erscheint die neue Fehlfarben-LP „?0??“. Keyboarder Kurt Dahlke sprach mit uns über den Schaffensprozess und die ungewisse Bandzukunft.
Wie im Refrain ihres größten Hits „Ein Jahr“: Es geht wieder voran bei Fehlfarben – allerdings nach einer längeren Atempause. Sieben Jahre nach „Über...Menschen“ erscheint am 14. Oktober mit „?0??“ ein neues, energisch klingendes Album der Postpunk-Kultband um Sänger Peter Hein. Über den schwierigen Weg dahin, das vergoldete Debütalbum „Monarchie und Alltag“ und die ungewisse Zukunft sprach Patrick Friedland mit Keyboarder Kurt Dahlke (64).
Herr Dahlke, waren Sie und Ihre Bandkollegen zuletzt regelmäßiger tanzen?
Kurt Dahlke: Eher nicht, aber es gibt den Wunsch danach, mal wieder auszugehen (lacht).
Ich frage, weil viele Songs Ihrer neuen Platte stark auf die Tanzfläche zielen.
Ja, auch für mich sind es überraschenderweise viele Uptempo-Nummern. Eigentlich sind bis auf zwei Stücke alle tanzbar. Beim Entstehen der Stücke hatten wir zuerst die schnellen Beats. Wenn wir für neue Stücke zusammenkommen, erhalten wir meist die Vorlage vom Bass-/Schlagzeug-Gespann, die zusammen das Tempo angeben – und dann sagen wir auch nicht „Lass uns das mal langsamer spielen“.
Heißt also: Saskia (von Klitzing, Schlagzeugerin, Anm. d. Red.) treibt die Herrenbande voran.
So ist es (lacht).
Sieben Jahre sind seit der „Über…Menschen“-LP bereits vergangen. Warum hat es mit der neuen Platte so lange gedauert?
Wir erhielten nach „Über…Menschen“ vom Zakk die Anfrage, beim „Lieblingsplatte“-Festival „Monarchie und Alltag“ in Gänze aufzuführen. Das war nicht nur da ein großer Erfolg, unser Booker meinte, dass er so ein Set vielen anderen Veranstaltern verkaufen könnte. Wir gingen auf Tour, spielten zunächst das Album in voller Länge und im zweiten Konzertteil Songs der aktuelleren Platten. Dann sagten wir uns, dass wir in dem Tour-Zeitraum ja an einem neuen Album arbeiten können.
Das scheint nicht wirklich funktioniert zu haben.
Wir hatten neue Stücke gemacht, auch ab und an ins Live-Programm eingebaut, aber so richtig kamen wir nicht voran. Nach dem letzten Tour-Konzert im November 2019 sagten wir uns: „So, jetzt legen wir aber los.“ Dann kam Corona reingebrochen und wir sind erst gar nicht und später sporadisch zusammengekommen, so hat zunächst jeder für sich gearbeitet. Unser Produzent Alaska Winter hatte sich dann sehr bemüht, Basic Tracks aufgenommen und traf sich mit Peter, der sang über vier Stücke drüber.
Normal trafen sich Fehlfarben aber immer, um Alben zusammen einzuspielen, richtig?
Ja. Wir waren mit dieser anfänglichen Vorgehensweise ein bisschen unzufrieden, wollten dann zusammenkommen und die Platte in einem Rutsch, aus einem Guss einspielen. Das ist erst im Januar dieses Jahres passiert, in Überlingen am Bodensee in einem leerstehenden Hotel. Wir sind eben mittlerweile auch weit zerstreut. In Düsseldorf lebt nur noch Thomas, in Köln wenigstens nah dran die Saskia. Bassist Michael und ich leben in Berlin, Peter in Wien und Frank am Bodensee. Es hat sich sehr auseinanderdividiert.
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Immerhin befasst sich „Innenstadtfront“ auf „?0??“ noch mit der alten Heimat.
Der Song ist eine Hommage an die allererste Zeit und weckt Erinnerungen an die alte Heimat, 1977 ursprünglich von der Band Mittagspause geschrieben. Das ist Düsseldorf pur, ganz klar. Ich hatte mit Peter und Michael zwei Galerie-Gigs, wo wir alte Fehlfarben- und Mittagspause-Stücke aufführten. Das hat so viel Spaß gemacht, dass wir damit zu den anderen drei gegangen sind und fragten, ob wir den Song nicht mit der Band spielen wollen. Ihnen macht es scheinbar auch Spaß.
Der Song steht in guter alter Punk-Tradition. Was macht für Sie heute, 45 Jahre später, Punk aus?
Schwer zu sagen. Peter hat sich außer in der allerersten Zeit nie als Punk verstanden. Als die Punks in den Ratinger Hof kamen, lief er da schon im Anzug rum. Die Band hat sich ebenfalls nie als Punk verstanden, wir haben uns eher als New Wave definiert. Der Punk-Szene fühle ich mich auch gar nicht so verbunden, so kann ich dazu nicht viel sagen. Wir werden immer mal wieder eingeladen von Leuten, die uns im Punk-Zusammenhang sehen, aber wir haben uns da nie richtig zuhause gefühlt.
Ein Stück heißt „Brot ohne Spiele“, in einem anderen heißt es „Bühnen ohne Spieler, ein Witz, wo keiner lacht“, dann zitiert Peter Hein an einer Stelle noch die Beastie Boys: „You have to fight for your right to party.“ In der Platte scheint Frust über die vergangenen zweieinhalb Jahre zu stecken.
Das kann man so sagen. Wir mussten die Tour zweimal verschieben und es gibt immer noch keine Garantie, ob uns Corona nicht doch wieder einholt. Da muss als Musiker schon mal Frust raus.
Die drei Fragezeichen im Albumtitel haben vermutlich nichts mit drei populären Jung-Detektiven zu tun.
Nein (lacht). Man kann gar nicht mehr sagen, ob das Album für 2020, 2021 oder 2022 gedacht ist. Es ist eben eine Zeit der Fragen. Kann das Album erscheinen, können wir die Tour spielen? Daraus ergaben sich die Fragezeichen im Titel.
„Es gab nur Etat für ein Video – wir wollten drei“
Ein zentraler Song auf der Platte ist „Europa“, versehen mit einem interessanten Stop-Motion-Video, das Prominenten von Joseph Beuys über Napoleon bis Angela Merkel den Text in den Mund legt. Woher kam die Idee?
Die ist tatsächlich auf meinem Mist gewachsen. Wir wollten drei Videos für drei Singles, es gab nur Etat für ein Video. Wir hatten alle Ideen für „Europa“, aber keine war finanzierbar. Da sagte ich: Lasst mich doch was probieren, ich habe da gerade eine tolle Handy-App“. Das ganze Video ist praktisch mit der Handy-App gefertigt, mit der man den Promis und Figuren Sachen in den Mund legen kann. Dadurch ist das Video schön billig geworden, wir brauchten keine Schauspieler und Ähnliches.
Warum singen unter anderem Brad Pitt und Billie Eilish als US-Bürger ebenfalls mit?
Als ich anfing, suchte ich einfach nur nach den prominentesten Leuten, die zurzeit in der Öffentlichkeit stehen. Als ich das aufgebaut habe, sagten die anderen aber, dass da noch der und der rein müsste und dann, dass mehr Frauen rein müssten. Im dritten Anlauf waren alle zufrieden.
Im vergangenen Jahr erschien die Single „Supergen“. Warum ist diese nicht auf dem Album?
Die war wie „Kontakt“ (B-Seite, Anm. d. Red.) nur als Single geplant. Wir wollten „?0??“ wie gesagt aus einem Guss machen, ein aktuelles Album auf- und keine Stücke reinnehmen, die aus einer anderen Zeit stammen.
Fehlfarben haben allem Kult zum Trotz nie die großen Hallen gefüllt, finanzielle Rücklagen dürften entsprechend überschaubar sein. Wie sind die Bandmitglieder seit Pandemiebeginn über die Runden gekommen?
Ich bin gleichzeitig Musikproduzent und mache Mastering. Saskia spielt in verschiedenen Bands, Thomas ist Gitarrenlehrer. Frank hat ein Hotel und Peter macht Jobs in Wien, wo er – glaube ich zumindest, ich weiß es nicht genau – Buchhaltung macht, so wie bei Rank Xerox früher in Düsseldorf, das kann er einfach. So beißt sich jeder durch.
Von 2017 bis 2019 ging es immer wieder mit „Monarchie und Alltag“ auf Tour. Inwiefern unterschieden sich die Konzerte von anderen Fehlfarben-Shows der Vorjahre?
Das Durchschnittsalter des Publikums war wesentlich höher, die alten Recken kamen und wollten sich nochmal an diese Zeit erinnern. Für uns ist das kein Problem, weil wir auch versucht haben, diese Stücke jeden Abend neu zu entdecken. Wir spielten das nicht runter wie eine Coverband, vielleicht mit Ausnahme von „Ein Jahr (Es geht voran)“, was wir tatsächlich nicht gerne spielen und wo wir immer versucht haben, es zu covern. Bei allen anderen Stücken war es sehr tagesformabhängig, wie gut man das rüberbringt. Wir sind damit auch in bestimmte Veranstaltungsplätze reingekommen, in die wir beispielsweise mit dem neuen Album nicht gekommen wären. Theater, andere besondere Kulturstätten, im Bauhaus Dessau gar mit ZDF-Übertragung.
Die Platte ist also weiterhin eher Segen als Fluch? Ich habe oft den Eindruck, dass Fehlfarben von vielen nur darauf reduziert werden.
Peter sagte einmal, dass sie ein „Mühlstein am Hals“ ist, weil die Leute sie eben immer wieder hören wollen. Andererseits hat uns diese Platte ermöglicht, weiter Musik zu machen. Ohne „Monarchie und Alltag“ würde es die Band wahrscheinlich gar nicht mehr geben.
Hängt die Goldene Schallplatte noch im Wohnzimmer?
Ich weiß gar nicht, wer sie überhaupt noch hängen hat. Franks hängt jedenfalls in unserem Düsseldorfer Lager (lacht).
„Vielleicht ist das jetzt unsere letzte Platte“
Wie sind Sie denn noch mit der alten „Ratinger Hof“-Szene vernetzt?
Wir haben aktuell wieder ganz tollen Kontakt zu Östro 430, mit denen wir zwei Shows spielten. Das war backstage wie damals, als wäre seit 1980 keine Minute vergangen. Ganz wundervoll. Eigentlich wollten wir sie als Vorgruppe für unsere Tour, das hat leider nicht geklappt. Zu den Krupps hat man hier und da auch noch Kontakt und ich freute mich, dass Kuddel von den Toten Hosen zu unserem Auftritt bei dem Abriss-Festival vom Haus der Jugend ins Backstage kam. Wir kommen immer wieder mit den Leuten zusammen und freuen uns dann.
Gibt es Gedanken, wie lange es mit Fehlfarben noch weitergeht?
Ja, tatsächlich haben wir die letzten Jahre gesagt: Vielleicht ist das jetzt unsere letzte Platte und unsere letzte Chance zu touren. Wir werden nicht jünger. Man schaue sich die Stones an, die schaffen es mit 80 immer noch. Aber ob wir mit dem Elan und der Power noch in fünf Jahren dastehen können, wissen wir nicht. Wir bringen die Platte jetzt raus, touren und dann sehen wir weiter.
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Alte Weggefährten sind in Teilen ja schon verstorben, so wie zuletzt DAF-Sänger Gabi Delgado im März 2020. Inwiefern hat Sie das getroffen?
Wenn Leute aus dem direkten Umfeld sterben, ist das immer bitter und schade. Ich hatte die letzten Jahre leider keinen Kontakt mehr zu Gabi, unser letzter direkter Kontakt war bei unserem gemeinsamen Konzert im Zakk 2014. Ich war persönlich also nicht so involviert, aber es war natürlich eine traurige Nachricht.
Ein schönes Zitat von Peter Hein zur Anfangsphase der Fehlfarben war: „Wir wollten nur ein bisschen so sein wie die Engländer … und waren rheinische Deppen. Oder Frohnaturen“. Rückblickend nach 42 Jahren: Hat das geklappt?
Nee, ich glaube nicht. Wir haben unseren eigenen Stil gefunden und uns eher an dem orientiert, was in Düsseldorf passiert und weniger an den Engländern.
>>> INFO: Fehlfarben auf Tour + Comic
„?0??“-Tour: 7.10. Coesfeld (Fabrik), 8.10. Viersen (Rockschicht), 22.10. Bochum (Christuskirche), 23.10. Köln (Gebäude 9), 7.7.23 Meschede (Chillin’ Hennesee). Karten für die Oktober-Termine ab ca. 32 €, der VVK für Meschede startet in Kürze.
Ende Mai erschien der Fehlfarben-Songcomic „Monarchie und Alltag“ im Ventil Verlag. Elf Zeichnerinnen und Zeichner wandelten je ein Lied der LP in Bilder um – das Resultat ist für 25 € im Buchhandel erhältlich.