Essen. Psychothriller-Autor Sebastian Fitzek stellt ab November sein neues Buch „Mimik“ vor. Im Interview verrät Fitzek, wovor er sich fürchtet
Wer ein Interview mit Sebastian Fitzek führt, sieht sich mit seinem ganz persönlichen Psychothriller konfrontiert: Die Transkription im Anschluss. Und das liegt nicht nur daran, dass der Meister der gedruckten Psychospielchen gerne mal ausschweift, sondern dass man es als Redakteurin ebenso gerne zulässt. Der 50-jährige Berliner erzählt nämlich genauso wie er schreibt: fesselnd. Mit Maxi Strauch sprach der vierfache Familienvater über eigene Ängste, Ausgleiche und „Fifty Shades of Fitzek“.
Damit wir das direkt geklärt haben, und ich zitiere aus einem anderen Interview: Muss man nicht einen an der Klatsche haben, um solche Bücher zu schreiben?
Die Frage ist, wie man das definiert. Wenn man fragt, muss man nicht selbst ein Psychopath sein, dann widerspreche ich heftig. Wäre ich ein Psychopath, also hätte ich keine oder kaum Empathie, dann könnte ich mich in diese dunklen Abgründe gar nicht hineinversetzen. Ich würde kein Mitleid empfinden, weder mit meinen Figuren noch mit meiner Umwelt. Das würde ein sehr kurzer Roman werden. Insofern kann ich das ausschließen.
In der Ankündigung zu Ihrem neuen Buch „Mimik“ stellen Sie eine Frage: „Hast du schon einmal Angst vor dir selbst gehabt?“ Und, hatten Sie?
Jüngst beim Anblick in den Spiegel (lacht). Meine Verlobte Linda hat, als sie mich kennengelernt hat, gedacht, so ein Psychothriller-Autor, der muss doch irgendeinen Spleen haben – und war dann relativ enttäuscht, dass ich ganz normal am Schreibtisch sitze. An einem Abend habe ich dann gesagt: „Du, ich schreibe noch, es wird ein bisschen länger.“ Als ich ins Bett wollte, habe ich gemerkt, dass ich ganz trockene Lippen habe. Ich bin wieder aufgestanden, habe aber im Bad nicht das Licht angemacht, trotzdem den Labello gefunden. Den dann benutzt und mich wieder hingelegt. Am nächsten Morgen wachte sie zuerst auf, sah mich und dachte, jetzt geht’s wirklich los. Method Writing oder sowas. Ich hatte zu einem Farblabello gegriffen, und meine Lippen komplett verschmiert, die waren knall-pink.
Aber das ist ja auch schon wieder lustig …
Also ich kann mir im Dunkeln auch selbst gut Angst machen. Statistisch gesehen, weiß ich natürlich, dass ich eher vor einer Polizeiwache, aus der gerade ein verurteilter oder freigelassener Täter rauskommt, ermordet werde als nachts im Wald. Das wäre ein großer Zufall, wenn da rein zufällig der Sittlichkeitsverbrecher stehen würde, der sich den Hintern abfriert und auf mich wartet ... Das ist völlig unwahrscheinlich. Trotzdem habe ich nachts im Wald Angst, alleine indem ich mich frage: Was wäre, wenn? Eigentlich die Grundausgangsfrage von meinen Thrillern.
Also hat auch ein Psychothriller-Autor Angst?
Das sind die Ur-Emotionen. Ich glaube, das hängt auch mit unserem Selbsterhaltungstrieb zusammen, dass wir alle auf bestimmte Dinge getriggert sind oder Dinge, die uns triggern, wie Dunkelheit. Wenn auf einmal etwas nicht mehr so ist, wie wir es gewohnt sind. Wenn wir allein unterwegs sind, wenn der Weg sich verändert hat und wir gezwungen sind einen anderen zu nehmen. Meine größten Sorgen, meine größten Ängste durchleben meine Helden und Heldinnen immer wieder, stellvertretend quasi. Das ist, wenn jemand in eine Situation kommt, auf die er oder sie nicht vorbereitet ist, ins kalte Wasser geschmissen wird, und sich das Leben von einer Sekunde auf die nächste ändert. Das ist eigentlich eine sehr realistische Angst.
Warum konfrontieren wir uns immer wieder mit solchen Ängsten, indem wir zum Beispiel Ihre Bücher lesen?
Darauf gibt es – das haben mir unglaublich viele Leserbriefe gezeigt – keine universelle Antwort. Es gibt viele unterschiedliche Motivationslagen. Das eine ist tatsächlich Eskapismus, ich möchte meinen Kopf frei bekommen. Ich möchte von dem, was mich im Alltag bewegt, vielleicht auch erschöpft, Abstand gewinnen. Mir hat mal eine 15-jährige Leukämiepatientin geschrieben, dass sie während einer Behandlung große Angst hatte und dann in die Krankenhausbibliothek gegangen ist und dort meine Bücher entdeckt hat. Sie hat sich später bei mir bedankt, weil sie einfach mal nicht an ihre Krankheit gedacht hat. Das kann aber auch jemand sein, der zum Beispiel in Hochzeitsvorbereitungen steckt und dann zu einem kompletten Kontrastprogramm greifen möchte.
Wie sieht’s denn bei Ihnen aus, lesen Sie zum Ausgleich auch mal was anderes als Thriller?
Querbeet, es sind häufig Thriller, aber auch Romane. Jetzt lese ich zum Beispiel gerade „Der Gesang der Flusskrebse“. Aber da war dann auch schon wieder eine Leiche auf den ersten Seiten. Manchmal gehe ich in eine Buchhandlung und suche mir etwas aus, mit dem ich erst einmal gar nichts anfangen kann. Zum Beispiel: „Literatur für Frauen“. Ist schon ein paar Jahre her, aber da habe ich Jojo Moyes gelesen, „Ein ganzes halbes Jahr“, und fand es super. Man muss sich wirklich dazu zwingen, Bücher zu lesen, die einen erstmal nicht ansprechen vom Cover her. Wenn man immer dieses Mehr vom Gleichen sucht, dann wird es schwierig, überrascht zu werden. Ich probiere das auch, indem ich ein bisschen das Genre wechsle.
Sie haben ein Kinderbuch geschrieben, einen Ratgeber …
Ich bin sehr impulsgesteuert und wenn ich merke, das fasziniert mich, habe ich ein Urvertrauen, dass es mir gelingt, die Faszination auch anderen begreiflich zu machen. Das ist auch, wenn mich junge Autoren und Autorinnen fragen, was wird denn gerade im Markt gebraucht? Dann sage ich: Gar nichts. Die Frage ist viel eher, was interessiert dich denn? Ich wollte beispielsweise in meinem Leben nie ein Buch über Ackerbau auf dem Mars lesen. Dann habe ich der „Marsianer“ gelesen und war hellauf begeistert. Und warum? Weil ich gemerkt habe, der Autor brennt dafür. Aber selbst dann ist es nicht einfach, einen Bestseller zu landen.
Für ihr Erstlingswerk „Die Therapie“ kassierten Sie erst einmal nur Absagen. Wie haben Sie sich motiviert, weiterzumachen?
Zunächst einmal hilft es sehr, sich zu vergegenwärtigen, dass es völlig normal ist, wenn man abgelehnt wird. Und das hängt auch mit dieser unglaublichen Fülle an Büchern zusammen. Die vielen Lektorinnen und Lektoren oder Verlagsleute sind nicht blöd. Trotzdem haben etliche Verlage beispielsweise Harry Potter abgelehnt. Ich habe mal einen Verlagsleiter im Zug getroffen, der sagte ganz stolz zu mir: Ich bin der einzige Verleger, der Harry Potter zweimal abgelehnt hat. Er hat einfach geguckt: 600 Seiten, das liest kein Kind. Mehr Zeit für die Entscheidung war gar nicht.
Jetzt landet jedes Ihrer Bücher auf der Bestsellerliste.
Mittlerweile ja, ich habe sicher ein paar Vorschusslorbeere, die man ernten kann. Meine Bücher sind in der Regel länger auf der Bestsellerliste, aber das kann wie beim Film ganz schnell abebben. Am Startwochenende gehen noch alle rein. Wenn der Film aber Murks ist und es den Leuten nicht gefällt, dann kann man Marketing betreiben, wie man will. Der Weitererzähl-Effekt muss einsetzen. Wenn die Leute das Buch nicht weiterempfehlen, dann geht das ganz schnell vorbei. Es kommt im Kern immer auf die Geschichte an. So dass sich Kritikerinnen und Kritiker wahrscheinlich wundern, wenn „Fifty Shades of Grey“ jahrelang auf der Bestsellerliste steht.
Haben Sie es gelesen?
Nein, ich habe es nicht gelesen. Ich habe aber versucht, den Film zu sehen. Und ich muss sagen, ich verstehe den Erfolg und das liegt nicht am Sex. Es ist die Geschichte von jemandem der glaubt, eine andere Person verändern und ein Trauma überwinden zu können. Dieses Grundmuster findet sich in vielen Thrillern wieder. Auch das negative Ereignis in der Kindheit des Helden, das ist typisches Psychothriller-Setting.
Müssen wir uns auf ein „Fifty Shades of Fitzek“ einstellen?
Auf gar keinen Fall. Tatsächlich wird mir aber häufig der Vorwurf gemacht, dass Liebesbeziehungen in meinen Büchern etwas zu kurz kommen. Das stimmt, aber in der extremen Situation fände ich es auch albern, wenn da noch Raum für die Entwicklung eines Love Interest wäre. Das ist einmal passiert im „Augensammler“, aber das hat sich so ergeben. Grundsätzlich ist das etwas, womit man nicht rechnen sollte. Das heißt nicht, dass mich Liebe überhaupt nicht interessiert, aber ich halte emotionale Konflikte, die sich im Angesicht einer Gefahr auftun, einfach für spannender.
Ihr neues Buch erscheint im Oktober, allerdings sind Sie für eine hohe Erscheinungsdichte bekannt. Ist schon etwas Neues geplant?
Ich habe tatsächlich ein Projekt in der Mache. Ich habe ja mit „Der erste letzte Tag“ ein Buch geschrieben, das kein Thriller ist. Und das wurde von den Leuten aus unterschiedlichen Gründen sehr gemocht, meistens gar nicht wegen des Humors, sondern weil ich da zwei unterschiedliche Charaktere zusammengeworfen habe und sie über bestimmte Dinge habe reflektieren lassen, die auch mich bewegen. Und damit habe ich einen gewissen Nerv getroffen. Ich beschäftige mich gerade wieder mit einem Nicht-Thriller. Aber jetzt erscheint erst einmal ein klassischer Psychothriller.
>>> Info:
Fitzek Live 2022, 23.11., 20.03 Uhr, Mitsubishi Electric Halle, Siegburger Str. 15, Düsseldorf. Karten ab ca. 26 €.
Sebastian Fitzek bei Mord am Hellweg: 10.11., 19.30 Uhr, Festsaal Maximilianpark, Alter Grenzweg 2, Hamm. Mehr Infos zum Programm finden Sie hier.